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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 10.01.2024

Frühgeborenenretinopathie

Verfasst von: Andreas Stahl und Johanna M. Pfeil
Die Frühgeborenenretinopathie (ROP) ist eine seltene Erkrankung, kann jedoch zu einer starken Einschränkung des Sehvermögens bis hin zur Blindheit führen. Frühe Stadien der ROP zeigen häufig eine spontane Regression. Behandlungsbedürftige Stadien müssen durch regelmäßige, systematische Screening-Untersuchungen erkannt werden, damit eine stadiengerechte Behandlung durchgeführt werden kann. Besonders die aggressive ROP (A-ROP) ist dabei aufgrund ihres schnellen Fortschreitens zu ablativen Stadien gefürchtet. Als Behandlungsoptionen stehen derzeit hauptsächlich die Laserkoagulation sowie die Injektion eines Anti-VEGF-Wirkstoffs zur Verfügung. Nach der Therapie mit einer Anti-VEGF-Injektion stellt das Risiko für ein (spätes) Rezidiv Behandler und Eltern oft vor logistische Herausforderungen, weshalb langfristige Nachkontrollen über Monate nach Behandlung bereits im Vorfeld geplant und nach der Anti-VEGF-Therapie konsequent durchgeführt werden müssen.

Definition

Die Frühgeborenenretinopathie (ROP), Retinopathia Praematurorum, ist, wie der Name schließen lässt, eine Erkrankung der Netzhaut, die nur bei Frühgeborenen auftritt. Dabei kommt es durch die zu frühe Geburt zu einer Unterbrechung der physiologischen Gefäßentwicklung der Netzhaut, postnatal gefolgt von einem gestörten, zum Teil überschießenden Wachstum der retinalen Gefäße in den Glaskörper hinein. Im schlimmsten Fall führt der dadurch entstehende Zug an der Netzhaut zur partiellen oder vollständigen Netzhautablösung (Ablatio retinae). Wenn von der Frühgeborenenretinopathie gesprochen wird, wird häufig auch die englische Abkürzung ROP, Retinopathy of Prematurity, verwendet. Zum Teil wird auch noch der Begriff retrolentale Fibroplasie genannt, der bei der Erstbeschreibung geprägt wurde und sich auf die hinter der Linse sichtbar vollständig abgelöste Netzhaut im Endstadium einer unbehandelten ROP bezieht.

Pathophysiologie

Die Pathophysiologie der Frühgeborenenretinopathie ist eng mit der physiologischen Entwicklung der retinalen Blutgefäße während der Schwangerschaft bzw. mit der Unterbrechung dieser durch die Frühgeburt assoziiert. Bei einer normalen intrauterinen Entwicklung ist erst gegen Ende des 3. Trimenons die Netzhaut vollständig vaskularisiert. Die Gefäße wachsen etwa ab Woche 15 durch Vaskulogenese vom Sehnervenkopf ausgehend in die Peripherie der Netzhaut (Hughes et al. 2000). Dem Wachstum der Blutgefäße geht dabei die Entwicklung der neuronalen Netzhaut voraus (Chan-Ling et al. 1995). Die wachsenden neuronalen Zellen führen durch ihren steigenden Bedarf an Nährstoffen zu einer „physiologischen Hypoxie“, aufgrund derer VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) ausgeschüttet wird (Dorrell et al. 2002). Die Gefäße wachsen entlang dieses physiologischen VEGF-Gradienten in die Peripherie, wodurch wiederrum die Versorgungssituation verbessert und die Hypoxie reduziert wird, bis schließlich die gesamte Netzhaut vaskularisiert ist (Smith 2008). Wird die physiologische Entwicklung der Netzhaut durch die Frühgeburt unterbrochen, ist ein Teil der Retina noch avaskulär. Je früher die Schwangerschaft beendet wird, desto größer ist der avaskuläre Bereich der Netzhaut und desto größer ist das Risiko für die Entstehung einer Frühgeborenenretinopathie.
Postnatal kann die Entwicklung der Erkrankung in zwei Phasen eingeteilt werden (siehe Abb. 1): Aufgrund der fehlenden maternalen Versorgung mit bestimmten Faktoren, wie IGF-1 (Insulin-like Growth Factor-1), Erythropoetin und Ω-3-Fettsäuren, sowie dem Überangebot an Sauerstoff an der Raumluft im Vergleich zur Situation in utero, zum Teil noch verstärkt durch eine iatrogene Sauerstoffsupplementation, stoppt in Phase I der Frühgeborenenretinopathie das Gefäßwachstum und bereits bestehende Gefäße bilden sich in manchen (in Deutschland seltenen) Fällen sogar wieder teilweise zurück (Hellström et al. 2013; Smith 2008). Die während des 3. Trimenons normalerweise bestehende „physiologische Hypoxie“ wird durch die externe Hyperoxie nach Frühgeburt unterdrückt und die weitere Entwicklung der retinalen Gefäße damit unterbrochen. In Phase II der Frühgeborenenretinopathie steigt der retinale Metabolismus der sich auch nach einer Frühgeburt weiter entwickelnden neuronalen Netzhaut, sodass mit der Zeit vermehrt VEGF, IGF-1 und Erythropoetin ausgeschüttet werden (Hellström et al. 2013). Diese zunehmende Expression angiogener Wachstumsfaktoren führt in positiven Fällen zu einer Wiederaufnahme der physiologischen Vaskularisation der Netzhaut und zum vollständigen Ausvakularisieren bis zur Ora serrata. Werden aber (in schweren Fällen der Frühgeborenenretinopathie) durch zu große avaskuläre Areale plötzlich zu viele angiogene Wachstumsfaktoren ausgeschüttet, kommt es zur überschießenden und ungerichteten Proliferation der retinalen Gefäße. In diesen Fällen besteht kein physiologischer VEGF-Gradient mehr, der die retinalen Gefäße geordnet im Niveau der Netzhaut in die Peripherie leitet, sondern es befinden sich überall hohe Mengen angiogener Wachstumsfaktoren, unter anderem VEGF, was zur ungerichteten Proliferation von Netzhautgefäßen aus dem Niveau der Netzhaut in den Glaskörper hinein führt. Diese pathologischen präretinalen Proliferationen können sich analog zur schweren diabetischen Retinopathie fibrovaskulär verändern und traktiv auf die Netzhaut wirken. Wenn diese Stadien nicht im Screening erkannt und sehr zeitnah behandelt werden, kommt es zur partiellen oder vollständigen Ablösung der Netzhaut mit im schlimmsten Fall irreversibler Erblindung beider Augen (Hellström et al. 2013; Smith 2008).

Epidemiologie

In Europa schwanken die Raten für eine Frühgeburt, also eine Geburt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche, laut dem aktuellen EURO-PERISTAT-Bericht aus November 2022 zwischen 5,3 und 11,3 % (EURO-PERISTAT 2022). Ein Risiko, eine behandlungsbedürftige Frühgeborenenretinopathie zu entwickeln, haben in Deutschland aber nur Frühgeborene mit einem Gestationsalter von unter 31 Wochen oder weniger als 1500 g Geburtsgewicht oder einem komplizierten postnatalen Verlauf (Maier et al. 2021). Dieses Risiko wird ganz wesentlich von der Qualität und Verfügbarkeit neonataler Intensivmedizin beeinflusst, insbesondere einem wohldosierten Sauerstoffmanagement. Daher sind die Grenzen, welche Kinder auf Frühgeborenenretinopathie gescreent werden müssen, in verschiedenen Ländern unterschiedlich festgelegt. Legt man die o. g. in Deutschland gültigen Screeningindikationen zugrunde, schwankt in Europa die Rate an Kindern, die zwischen der 22. und der 31. Schwangerschaftswoche geboren werden und/oder ein Geburtsgewicht von unter 1500 g aufweisen (und damit ein relevantes Risiko haben, eine Frühgeborenenretinopathie zu entwickeln) zwischen 0,7 und 1,3 % aller Lebendgeburten (EURO-PERISTAT 2022). Bei ca. 5 Millionen Geburten in Europa jedes Jahr gibt es also ca. 35.000 bis 65.000 Kinder, die ein relevantes Risiko dafür haben, eine Frühgeborenenretinopathie zu entwickeln. Von den Kindern, die ins ROP-Screening aufgenommen werden, entwickeln wiederrum nur ca. 3 bis 6 % (also etwa 1050 bis 3900 Kinder europaweit) ein behandlungsbedürftiges Stadium der ROP (Akman et al. 2021; Chmielarz-Czarnocińska et al. 2021; Holmström et al. 2016; Trzcionkowska et al. 2021; Walz et al. 2016). Diese Zahlen mögen gering anmuten, es sollte aber nochmals betont werden, dass für diese 1000 bis 4000 Kinder pro Jahr in Europa bei ungünstigem Verlauf und nicht erkannter Frühgeborenenretinopathie die vollständige, lebenslange, beidseitige Erblindung drohen kann. Die Implementation, Umsetzung und Einhaltung nationaler Screeningprogramme auf Frühgeborenenretinopathie, wie sie in Deutschland vorhanden sind, ist daher wesentlicher Pfeiler zur Vermeidung frühkindlichen, vermeidbaren Sehverlustes.

Risikofaktoren

Der größte Risikofaktor für die Entstehung einer ROP ist die Frühgeburtlichkeit und das damit einhergehende geringe Geburtsgewicht sowie Gestationsalter. Je früher ein Kind geboren wird, desto unreifer ist die Netzhaut und desto höher ist das Risiko für eine Frühgeborenenretinopathie. Kinder, die für ihr Gestationsalter ein geringes Geburtsgewicht aufweisen im Vergleich zu gleichaltrigen Frühchen (auch als small for gestational age [SGA] bekannt) haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko.
Auch rund um die Geburt gibt es bestimmte Faktoren, die das Risiko für eine Frühgeborenenretinopathie erhöhen (siehe Tab. 1) (Alajbegovic-Halimic et al. 2015; Chang 2019; Maier et al. 2021).
Tab. 1
Risikofaktoren für die Entwicklung einer Frühgeborenenretinopathie. (Nach Alajbegovic-Halimic et al. 2015; Chang 2019; Maier et al. 2021)
• Niedriges Gestationsalter
• Geringes Geburtsgewicht (besonders SGA-Kinder)
• Schlechtes postnatales Gedeihen
• Sauerstoffsupplementation für mehr als 5 Tage
• ECMO-Therapie
• Schwankungen in der Sauerstoffsupplementation
• Niedriger APGAR-Score
Sepsis
• Transfusionsbedürftige Anämie
• Systemische Pilzinfektionen
• Lang andauernde parenterale Ernährung ohne Zusatz von mehrfach ungesättigten Fettsäuren
• Ernährung mit Formulanahrung statt Muttermilch, bzw. Frauenmilch
• Genetische Prädisposition

Klinik

Das klinische Bild der ROP manifestiert sich erst mehrere Wochen nach der Geburt. Ab den ersten Anzeichen kann einige Zeit vergehen, bis sich die ROP entweder spontan zurückbildet oder ein behandlungsbedürftiger Befund diagnostiziert wird. Um hier über einen längeren Zeitraum und eventuell verschiedene Untersucher eine vergleichbare Einteilung der Erkrankung zu erhalten, ist ein einheitlicher Standard der Nomenklatur und Klassifikation der Frühgeborenenretinopathie notwendig. Dieser Standard ist seit 1984 die Internationale Klassifikation der Frühgeborenenretinopathie (ICROP, International Classification for Retinopathy of Prematurity), die als Konsens führender ROP-Experten weltweit entwickelt wurde (The Committee for the Classification of Retinopathy of Prematurity 1984). Mittlerweile wurde diese Klassifikation mehrfach erweitert und überarbeitet (‚An international classification of retinopathy of prematurity. II. The classification of retinal detachment. The International Committee for the Classification of the Late Stages of Retinopathy of Prematurity‘ 1987; International Committee for the Classification of Retinopathy of 2005), sodass derzeit (Stand Februar 2023) die 2021 veröffentlichte dritte Edition der ICROP-Nomenklatur Verwendung findet (Chiang et al. 2021).

Zonen

Zur Beschreibung der Lokalisation der Erkrankung, wird die Netzhaut in drei Zonen (I, II und III) eingeteilt (siehe Abb. 2). Zone I ist dabei definiert als ein Kreis um die Papille mit einem Radius, der dem doppelten Abstand von der Papille zum Zentrum der Fovea entspricht. Damit ist die Zone I die am zentralsten gelegene Zone und somit auch die Zone, von der das höchste Risiko ausgeht. Zone II wird ebenfalls als Kreis um die Papille definiert, wobei der Radius hier durch den Abstand zur Ora serrata auf nasaler Seite festgelegt wird. Die Zone II wird zusätzlich unterteilt in einen posterioren und einen anterioren Bereich. Diese Unterscheidung wird gemacht, da eine Erkrankung in der posterioren Zone II möglicherweise gefährlicher ist als in der weiter peripher gelegenen anterioren Zone II. Zone III ist die noch verbleibende Sichel auf temporaler Seite. Nur wenn sichergestellt ist, dass die Gefäße auf nasaler Seite bis zur Ora serrata reichen und in den zwei nächsten Uhrzeiten keine ROP vorliegt, kann von einer ROP in Zone III gesprochen werden.
Generell legt der am posteriorsten gelegene Teil der Gefäßgrenze die Zone fest. Wenn es sich dabei jedoch nur um eine Einkerbung von 1–2 Uhrzeiten (engl. „Notch“) handelt, sollte dies bei der Bezeichnung der Zone kenntlich gemacht werden. Nach ICROP-Nomenklatur spricht man dann von einer „Zone I secondary to notch“. Nach Nomenklatur in der (vor ICROP-3 erschienenen) deutschen Screeningleitlinie bestimmt die Einkerbung, (in ICROP als „notch“ bezeichnet, in der deutschen Screeningleitlinie aber „temporal wedge“ genannt) nicht die Zonenzuordnung. Vielmehr richtet sich die Zoneneinteilung (und ggf. Behandlungsindikation) nach der Vaskularisationgrenze außerhalb des Bereichs einer solchen temporalen Einkerbung. Das bedeutet, dass eine Situation, die nach ICROP mit „Zone I secondary to notch“ bezeichnet wird in Deutschland „Zone II mit wedge“ bezeichnet würde. Diese Unterscheidung hat durchaus praktische Relevanz, da beispielsweise ein Stadium 2 mit Plus Disease in Zone I nach deutscher Leitlinie eine Behandlungsindikation darstellt, in Zone II aber nicht (Abb. 3b).
Wenn bei Verwendung einer 28-Diopter(D)-Linse der nasale Rand der Papille gerade noch sichtbar ist, ist gleichzeitig auf temporaler Seite gerade die Grenze zwischen Zone I und Zone II zu sehen.

Stadien

Die Stadien dienen der Beschreibung der Krankheitsaktivität. Wenn ein Kind zu früh zur Welt kommt, ist die Netzhaut noch unvollständig vaskularisiert. Solange kein Anzeichen für eine ROP vorliegt, spricht man in diesen Fällen von einer unvollständig vaskularisierten Netzhaut unter gleichzeitiger Angabe der Zone, als z. B. unvollständig vaskularisierte Netzhaut in Zone II.
Bei ROP Stadium 1 ist an der Grenze zwischen der avaskulären und der vaskularisierten Netzhaut eine weiße, flache Linie im Niveau der Netzhaut ausgebildet, die sog. Demarkationslinie. In der vaskularisierten Netzhaut können sich posterior der Linie abnorme Gefäßverzweigungen bilden.
Im Gegensatz dazu ist beim Stadium 2 eine prominente Leiste an eben dieser Grenze erkennbar, die sich aus der Ebene der Netzhaut hervor wölbt. Posterior dieser Leiste gelegen können hier mehrere isolierte Gefäßknospen („Tufts“), die sog. Popcorn-Läsionen, zu sehen sein. Diese Gefäßknospen posterior der Leiste stellen allein noch keine „echten“ Proliferationen dar und genügen nicht allein, das Kriterium für ein Stadium 3 zu erfüllen.
Beim Stadium 3 bilden sich auf der prominenten Leiste (häufig an der posterioren Seite) extraretinale neovaskuläre Proliferationen in den Glaskörper hinein. Ein Stadium 3 in Zone I oder der posterioren Zone II kann auch relativ flach aussehen, wenn keine Leiste oder keine Demarkationslinie sichtbar sind. Die Übergänge zur aggressiven ROP (A-ROP, s. u.) sind fließend und manchmal nicht einfach zu trennen.
Vom Stadium 4 wird gesprochen, wenn es zur partiellen Netzhautablösung gekommen ist. Dabei wird nochmal unterschieden, je nachdem ob die Fovea noch anliegt (Stadium 4A), oder ob es sich um eine Netzhautablösung mit Beteiligung der Fovea handelt (Stadium 4B).
Eine vollständige Netzhautablösung bezeichnet man als Stadium 5. Dabei werden je nach Konfiguration des Trichters, in den sich die vollständig abgelöste Netzhaut faltet, unterschiedliche Konfigurationen unterschieden (jeweils auf das anteriore und posteriore Ende des Trichters bezogen): offen-offen, offen-geschlossen, geschlossen-geschlossen, geschlossen-offen. Die Unterscheidung ist in der Regel nur im B-Scan-Ultraschall möglich. Die ICROP-3-Klassifikation unterteilt das Stadium 5 zudem je nach Sichtbarkeit des Sehnervenkopfs und ob Auswirkungen auf den Vorderabschnitt erkennbar sind (siehe Tab. 2).
Tab. 2
Übersicht über die charakteristischen Merkmale der verschiedenen ROP-Stadien
Stadium
Charakteristische Merkmale
Stadium 1
Demarkationslinie; weiße, flache Struktur an der Vaskularisationsfront in der Ebene der Netzhaut
Stadium 2
Prominente Leiste an der Vaskularisationsfront; evtl. mit Popcorn-Läsionen (isolierte Knospen [„Tufts“])
Stadium 3
Prominente Leiste an der Vaskularisationsfront mit extraretinalen, neovaskulären Proliferationen in den Glaskörper hinein
Stadium 4
Partielle Netzhautablösung; weitere Unterscheidung nach Beteiligung der Fovea: 4A – ohne Beteiligung der Fovea, 4B – mit Beteiligung der Fovea
Stadium 5
Vollständige Netzhautablösung; Unterscheidung nach Konfiguration des Trichters: offen-offen, offen-geschlossen, geschlossen-geschlossen, geschlossen-offen (mittels B-Scan-Ultraschall); bzw. nach ICROP-3-Klassifikation: 5A: Sehnervenkopf einsehbar, 5B: Sehnervenkopf nicht einsehbar, 5C: zusätzlich Auswirkungen auf den Vorderabschnitt des Auges
Ein Fortschreiten der Erkrankung zu den Stadien 4 und 5 gilt es durch systematisches Screening der Risikopopulation und durch rechtzeitige Behandlung zu verhindern.
Liegen Anzeichen für verschiedene Stadien gleichzeitig in einem Auge vor, wird das Auge nach dem höchsten Stadium eingeteilt.

(Pre-)Plus Disease

Wenn die Gefäße im Bereich des hinteren Pols um den Sehnervenkopf besonders geweitet (Dilatation) und geschlängelt (Tortuositas) sind, spricht man von der sog. Plus Disease. Ein gewisses Ausmaß der Dilatation und der Tortuositas muss gegeben sein, damit der Befund als Plus Disease bezeichnet werden kann. Um hier eine vergleichbare Schwelle zu setzen, wurde bereits in der ICROP-1 Klassifikation ein Referenzbild eingeführt (The Committee for the Classification of Retinopathy of Prematurity 1984). In der Überarbeitung der ICROP-Klassifikation wurde dann später zusätzlich der Begriff der Pre-plus Disease eingeführt, der einen Zustand beschreibt, in dem die Gefäße zwar etwas dilatiert und geschlängelt sind, diese Zeichen aber geringer ausfallen als auf dem o. g. Referenzbild. In der neuesten Überarbeitung der ICROP-Klassifikation wurde Wert darauf gelegt, den Übergang von keiner Plus Disease über Pre-plus zu Plus Disease als ein Spektrum zu beschreiben, welches von „eindeutig normal“ zu „eindeutig pathologisch“ verläuft und dazwischen graduelle und subjektiv von Untersucher zu Untersucher oft sehr unterschiedlich wahrgenommene Abstufungen enthält (Abb. 4). Die Subjektivität in der Einordnung der Plus Disease stellt in der klinischen Realität eine nicht unbeträchtliche Herausforderung dar, definiert doch die Plus Disease häufig, ob eine Behandlungsindikation vorliegt oder nicht (s. u., Tab. 3). Es sind daher zahlreiche Versuche unternommen worden, die Kategorisierung der Plus Disease mittels objektiver Verfahren vergleichbarer zu machen. Dabei kommen zunehmend auch Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz (Campbell et al. 2016, 2021; Cole et al. 2022; Eilts et al. 2023).
Tab. 3
Behandlungsbedürftige Stadien der Frühgeborenenretinopathie, die mittels Anti-VEGF- oder Lasertherapie behandelt werden sollen. (Maier et al. 2021)
• A-ROP
• Zone I, Stadium 1 +, 2 +, 3 +/−
• Zone II, Stadium 3 + (bereits ab einer betroffenen Uhrzeit möglich; spätestens jedoch ab 5 zusammenhängenden oder 8 nicht zusammenhängenden Uhrzeiten)

Aggressive ROP (A-ROP)

Die Aggressive ROP (A-ROP) ist gekennzeichnet durch eine stark ausgeprägte Plus Disease und ein besonders rasches Fortschreiten der Erkrankung, wobei nicht immer die typischen Stadien der ROP durchlaufen werden. Früher bezeichnete man diese Sonderform der ROP als aggressive, posteriore ROP (AP-ROP), da sie meist in Zone I oder der posterioren Zone II auftritt. Mittlerweile sind jedoch, besonders in Ländern, in denen die neonatologische Versorgung weniger weit entwickelt ist und häufig die Steuerung der Sauerstoffsupplementation weniger fein austariert ist, auch Fälle beschrieben, in denen weiter anterior gelegene Befunde die Kriterien einer aggressiven ROP erfüllen. Seit der ICROP-3 Klassifikation ersetzt daher der Begriff A-ROP den Befund AP-ROP (Chiang et al. 2021). Bei den meisten der im deutschsprachigen Raum klassifizierten Fälle, wird es sich aber weiterhin um eher posterior auftretende Krankheitsbilder handeln, die dadurch charakterisiert sind, dass die Gefäßgrenze zwischen vaskularisierter und avaskulärer Netzhaut ungewöhnlich flach verläuft, bei ansonsten ausgeprägt pathologischen Veränderungen, insbesondere meist einer stark ausgeprägten Plus Disease. Zudem sieht man bei A-ROP sehr häufig stark dilatierte shunt Gefäße entlang der Vaskularisationsfront, die zusammen mit der Plus Disease auf das Vorhandensein hoher Spiegel angiogener Wachstumsfaktoren hindeuten. Eine klassische Leiste ist dagegen regelhaft nicht zu sehen, ebenso können Neovaskularisationen sehr flach und im Niveau der Netzhaut vorhanden sein, wodurch sie schwerer zu erkennen sind als klassische Neovaskularisationen. Hier ist es aufgrund der atypischen Präsentation und der gleichzeitig hohen Aggressivität der Erkrankung besonders wichtig, die korrekte Diagnose zu stellen und eine Behandlung unverzüglich einzuleiten.

Diagnostik

Beim Screening auf das Vorliegen einer Frühgeborenenretinopathie, dem sog. „Frühchenspiegeln“, wird mit Hilfe der indirekten binokularen Ophthalmoskopie der Augenhintergrund beurteilt, die Erkrankung in die o. g. Zonen und Stadien eingeteilt, sowie das Vorhandensein der Plus Disease erfasst. Dabei helfen die Möglichkeit der Rotation und Indentation des Bulbus die Vaskularisationsgrenze sicher zu visualisieren.
Zur Vorbereitung des ROP-Screenings erhalten die Frühgeborenen mydriatische Augentropfen. Um Schmerzen während der Untersuchung zu vermeiden, werden vor Einsetzen des Lidsperrers lokalanästhetische Augentropfen appliziert und zusätzliche nichtmedikamentöse Maßnahmen, wie Saugen oder die Gabe von Glukose oder Muttermilch, angewendet. Während der Untersuchung muss der Kopf des Kindes durch eine zweite Person gehalten werden. Die Untersuchung sollte nach einem standardisierten Schema ablaufen: 1) vordere Augenabschnitte; 2) zentrale Netzhaut; 3) zirkuläre, periphere Netzhaut; 4) Einteilung des Befunds anhand der o. g. Klassifikationskriterien.
Es gibt auch die Möglichkeit, durch Einsatz einer Weitwinkelkamera den Befund zu dokumentieren oder für telemedizinische Befundung zu nutzen.
Generell sollen in Deutschland alle Frühgeborenen mit einem Gestationsalter unter 31 + 0 Wochen, bzw. unter 1500 g Geburtsgewicht (bei unbekanntem Gestationsalter), in das ROP-Screening aufgenommen werden. Zusätzlich sollen alle Frühgeborenen (geboren vor der 37. Schwangerschaftswoche) mit einem erhöhten Risiko für eine ROP regelmäßig untersucht werden. Ein erhöhtes Risiko besteht bei diesen Kindern unter anderem dann, wenn sie mehr als 5 Tage eine Sauerstoffsupplementation erhielten, eine ECMO-Therapie erfolgte, oder relevante Begleiterkrankungen (z. B. bronchopulmonale Dysplasie, Sepsis, oder eine schwere nekrotisierende Enterokolitis) vorliegen.
Die Erstuntersuchung im ROP-Screening sollte in der 6. postnatalen Woche erfolgen, allerdings nicht vor einem postmenstruellen Alter von 31 + 0 Wochen, denn selbst bei den besonders kleinen Frühgeborenen (Gestationsalter 22 bis 24 Wochen) tritt vor diesem postnatalen Alter kein behandlungsbedürftiges Stadium der ROP auf (Miller et al. 2014). Die Häufigkeit der Screening-Untersuchung hängt vom vorliegenden Befund ab und wird entsprechend angepasst. Ein sehr zentraler Befund, oder eine Plus Disease erfordern einen kürzeren Abstand als z. B. ein Stadium 1 in Zone III. Wenn die Netzhaut zirkulär bis in die Peripherie vollständig vaskularisiert ist, oder nach dem errechneten Geburtstermin eine deutliche Regression der akuten ROP beobachtet wird (und keine Behandlung erfolgt ist), kann das ROP-Screening beendet werden. Weitere detaillierte Informationen zur Durchführung des ROP-Screenings finden sich in der ROP-Screening-Leitlinie (Maier et al. 2021).

Differenzialdiagnostik

Aufgrund der Frühgeburtlichkeit, die immer mit einer ROP einhergeht, und der recht klassischen Befunde gibt es wenige Erkrankungen, die mit einer Frühgeborenenretinopathie verwechselt werden können. Allerdings gibt es einige Erkrankungen, bei denen es ebenfalls zu retinalen Blutungen kommen kann, die dem klinischen Bild einer Frühgeborenenretinopathie ähneln können:
  • FEVR (Familiar Exudative Vitreoretinopathy), häufig auch bezeichnet als „ROP ohne Frühgeburtlichkeit“, da das funduskopische Bild einer ROP stark ähneln kann, die betroffenen Kinder aber in aller Regel termingeboren sind
  • NAHI (non-accidental head injury), auch als Schütteltrauma bekannt
  • Incontinentia Pigmenti, oft assoziiert mit einer Retinopathie
  • Bestimmte Leukämieformen

Therapie

Bei Vorliegen eines behandlungsbedürftigen Stadiums der Frühgeborenenretinopathie (siehe Tab. 3) sollte die Therapie in der Regel innerhalb weniger Tage bzw. bei einer A-ROP sogar innerhalb von 24 h erfolgen (Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft e. V. [DOG], Retinologische Gesellschaft e. V. [RG] & Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e. V. [BVA] 2020).
Die in Tab. 3 zusammengefassten behandlungsbedürftigen Stadien der ROP werden in aller Regel mittels Laserkoagulation oder Anti-VEGF-Therapie behandelt.
Eine Laserkoagulation erfolgt meist unter Vollnarkose bzw. tiefer Sedierung. Dabei werden die avaskulären Bereiche der Netzhaut durch nahezu konfluierende Laserherde koaguliert. Als Folge dieser Behandlung können diese Netzhautareale kein VEGF mehr ausschütten, und die proliferativen Veränderungen der ROP bilden sich langsam zurück.
Eine weitere Behandlungsoption stellt die Anti-VEGF-Therapie dar. Seit Ende 2019 ist der Wirkstoff Ranibizumab und seit Ende 2022 auch der Wirkstoff Aflibercept u. a. in Europa für die Behandlung der ROP zugelassen. Die Durchführung der intravitrealen Injektion ist vergleichbar mit der intravitrealen Injektion bei Erwachsenen, allerdings wird mit einer 30- oder 31-G-Kanüle im Abstand von 1,5 bis 2,0 mm zum Limbus injiziert. Da die Augenlinse im Verhältnis zum gesamten Auge bei Frühgeborenen einen größeren Raum einnimmt als bei Erwachsenen, muss die Kanüle zudem bei der Injektion strikt in Richtung zum hinteren Pol ausgerichtet sein, um die Linse nicht zu touchieren.
Die Vor- und Nachteile der Laserkoagulation sowie der Anti-VEGF-Injektion bei der Frühgeborenenretinopathie sind in Tab. 4 zusammengefasst.
Tab. 4
Übersicht über die Vor- und Nachteile von Laserkoagulation, bzw. Anti-VEGF-Injektion bei der Frühgeborenenretinopathie
 
Laserkoagulation
Anti-VEGF-Injektion
Vorteile
• Oft nur ein Behandlungstermin nötig
• Nicht bulbuseröffnend, dadurch kein Risiko für eine intraokulare Infektion
• Kurze Behandlung, deshalb auch in Lokalanästhesie oder kurzer Sedierung durchführbar
• Keine Zerstörung der Netzhaut, die Netzhaut kann theoretisch vollständig ausvaskularisieren
• Keine Gesichtsfeldeinschränkungen zu erwarten
• Schneller Eintritt der therapeutischen Wirkung
• Weniger Kurzsichtigkeit
Nachteile
• Vollnarkose/Sedierung notwendig, da aufwändiger und langer Eingriff
• Hohe Expertise des behandelnden Arztes nötig
• Längere Zeit bis zum Eintritt der therapeutischen Wirkung
• Zerstörung der koagulierten Netzhautbereiche
• Mögliche Gesichtsfeldeinschränkungen
• Risiko für hohe Kurzsichtigkeit
• Nachkontrollen regelmäßig über langen Zeitraum notwendig ➔ späte Rezidive!
• Möglicherweise Re-Injektionen nötig
• Invasiver Eingriff mit (niedrigem) Risiko für intraokulare Infektionen und iatrogene Katarakt
Eine weitere, mittlerweile jedoch sehr selten angewandte Behandlungsoption stellt die Kryokoagulation dar. Dabei wird transskleral mittels Kälteanwendung die Netzhaut ähnlich wie bei der Lasertherapie koaguliert. Die Vor- und Nachteile sind daher mit denen der Laserkoagulation vergleichbar. Die Langzeitergebnisse nach der Laserkoagulation sind jedoch besser als nach der Kryokoagulation (Good und Early Treatment for Retinopathy of Prematurity Cooperative Group 2004), sodass die Kryobehandlung heute nur noch dann eingesetzt wird, wenn die Retina nicht ausreichend gut einsehbar ist, aber eine Koagulationstherapie durchgeführt werden soll.
Ist die Erkrankung zu einem Stadium 4 fortgeschritten, kann eine netzhautchirurgische Therapie (linsenerhaltende Vitrektomie oder eindellende OP) erwogen werden (Hinz et al. 1998; Karacorlu et al. 2017; Prenner et al. 2004). Im Stadium 5 kann eine Vitrektomie versucht werden, in den meisten Fällen führt diese allerdings nicht zu einer funktionellen Besserung (Karacorlu et al. 2017).

Verlauf und Prognose

Eine ROP im Stadium 1 oder 2 zeigt bei einem großen Teil der betroffenen Frühgeborenen ohne Behandlung eine spontane Regression. Wenn jedoch ein therapiebedürftiges Stadium erreicht ist, ist ohne Therapie in 50 bis 90 % der Patienten, je nach vorliegendem Stadium, mit einem ungünstigen Ausgang zu rechnen (Cryotherapy for Retinopathy of Prematurity Cooperative 1996; Cryotherapy for Retinopathy of Prematurity Cooperative Group 2001). Durch eine Therapie wird die Prognose deutlich verbessert. Der Behandlungserfolg liegt je nach Studie, Dosierung der Medikamente, Einschlusskriterien und der Definition von Behandlungserfolg bei etwa 75–94 % für die Anti-VEGF-Therapie und bei 66–80 % für die Laserkoagulation (Stahl et al. 2018, 2019, 2022).
Ist die Erkrankung schon zu Stadium 4 oder 5 fortgeschritten, sind die Erfolgsaussichten deutlich schlechter (Gusson et al. 2019). Es gilt also das Auftreten eines Stadium 4 oder 5 durch systematisches, regelmäßiges Screening der Risikopopulation und Durchführung einer rechtzeitigen Anti-VEGF- oder Lasertherapie so weit wie möglich zu verhindern.
Nach einer durchgeführten Therapie muss der Erfolg in weiteren regelmäßigen Untersuchungen kontrolliert werden. Der Abstand der Kontrolluntersuchungen ist entsprechend des jeweils bei der Untersuchung gesehenen funduskopischen Befunds anzupassen, sowie abhängig von der angewendeten Behandlungsmethode. Nach einer Laserkoagulation kann die Netzhaut nicht mehr vollständig ausvaskularisieren. Allerdings muss auch nach Lasertherapie eine Regression der ROP-Aktivität beobachtet werden und es muss sichergestellt werden, dass alle avaskulären Bereiche tatsächlich koaguliert wurden. Da nach Lasertherapie das bereits produzierte VEGF weiterhin im Auge vorhanden und aktiv ist, wird es einige Zeit dauern, bis ein Rückgang von Plus Disease und Stadium der ROP beobachtet werden kann. Bis die Plus Disease beispielsweise nach Lasertherapie vollständig regredient ist, kann es im Mittel 16 Tage dauern (Fleck et al. 2022). Nach Lasertherapie sollte mindestens so lange nachkontrolliert werden, bis ein stabiler Befund ohne aktive Proliferationen, Traktionen oder Plus Disease vorliegt und sichergestellt ist, dass alle avaskulären Regionen gelasert wurden und keine „skip lesions“, also signifikante ungelaserte Areale, vorliegen.
Anders als nach Lasertherapie müssen nach einer Anti-VEGF-Therapie in den ersten Tagen nach der Behandlung injektionsbedingte Komplikationen, wie z. B. eine Endophthalmitis, ausgeschlossen werden. Auch ist hier mit einem wesentlich schnelleren Wirkungseintritt der Therapie zu rechnen, da die bereits im Auge zirkulierenden freien VEGF-Moleküle durch die Injektionsbehandlung abgefangen werden und nicht mehr ihre proangiogene und vasodilatatorische Wirkung ausüben können. Ein vollständiger Rückgang der Plus Disease sollte bereits im Mittel nach 4 Tagen zu beobachten sein, erste Anzeichen dafür meist schon am ersten Tag nach Behandlung (Fleck et al. 2022). Allerdings sollte betont werden, dass häufig ein gewisser Grad der Tortuositas auch langfristig persistieren kann, der allerdings nicht mit einer persistierenden Plus Disease verwechselt werden sollte. Nach den initialen Nachkontrollen in den ersten Tagen nach Behandlung richten sich alle weiteren Nachuntersuchungen nach dem vorliegenden Schweregrad der funduskopisch beobachteten Netzhautveränderungen. Meist finden die Nachkontrollen in Analogie zum primären ROP-Screening in Abständen von 2 +/− 1 Woche statt. Nachkontrollen müssen allerdings nach Anti-VEGF-Therapie zwingend über mehrere Wochen und Monate erfolgen, um späte Rezidive rechtzeitig zu erkennen (Hu et al. 2012; Mintz-Hittner et al. 2016). Nach anti-VEGF-Therapie können die Nachkontrollen erst beendet werden, wenn die Netzhaut vollständig vaskularisiert ist, oder die verbliebenen avaskulären Netzhautbereiche gelasert wurden und keine ROP-Aktivitätszeichen (Plus Disease oder Proliferationen) beobachtet werden, oder wenn über mehrere Monate, bei verbliebener avaskulärer Netzhaut, keine pathologische Gefäßaktivität mehr beobachtet wird. Diese Nachkontrollen stellen Untersucher und Eltern vor nicht unerhebliche Herausforderungen und sollten bereits bei der Therapieauswahl klar mit den Eltern besprochen werden. Liegen Zweifel an der Durchführbarkeit der Nachkontrollen vor, sollte ggf. eine Lasertherapie bevorzugt werden.
Ehemalige Frühgeborene haben (auch unabhängig vom Auftreten einer behandlungsbedürftigen ROP) häufiger anatomische und funktionelle Probleme der Augen und des Sehens: z. B. Entwicklung einer hochgradigen Myopie, Strabismus, Amblyopie, Optikusatrophie oder zerebrale Sehstörungen. Deshalb sollten alle frühgeborenen Kinder regelmäßige Augenuntersuchungen unter Berücksichtigung der Frühgeburtsanamnese und der ROP-Anamnese erhalten.
Generell ist die die Prognose bezüglich der Sehfähigkeit von Kindern mit rechtzeitig behandelter Frühgeborenenretinopathie vergleichsweise gut. Viele dieser Kinder entwickeln eine Sehfähigkeit, die eine normale Teilhabe am gesellschaftlichen und Berufsleben zulässt (Early Treatment for Retinopathy of Prematurity Cooperative et al. 2010; Geloneck et al. 2014). Wenn man bedenkt, dass dem gegenüber die Gefahr der vollständigen beidseitigen Erblindung zu stellen ist, belegen diese möglichen Therapieerfolge die Wichtigkeit eines gut strukturierten primären Screenings auf ROP, einer zeitgerecht und korrekt durchgeführten Therapie und adäquaten und ausreichend langen Nachkontrollen nach Therapie.

Besondere Aspekte

Von besonderer Bedeutung sind die Nachkontrollen über mehrere Monate nach der Anti-VEGF-Therapie. Können diese nicht gewährleistet werden, gilt dies bei der Abwägung zwischen den Therapieoptionen zu berücksichtigen. In so einem Fall ist dann möglicherweise die Laserkoagulation zu bevorzugen. Um hier zu unterstützen, wurde bei der Aktualisierung der Stellungnahme zur ROP im Jahr 2020 ein ROP-Pass entworfen, der in das gelbe U-Heft der betroffenen Kinder eingelegt werden kann. Hier können alle geplanten augenärztlichen Kontrolltermine erfasst werden, um beim Übergang aus der stationären in die ambulante Versorgung, oder bei einer erneuten stationären Aufnahme des Kindes keine geplanten ROP-Nachsorgeuntersuchungen zu vergessen. Der ROP-Pass kann auf der Homepage der DOG heruntergeladen werden (https://t1p.de/lmu4).

Zusammenfassung

  • Zur Beschreibung der Lokalisation der Frühgeborenenretinopathie wird die Netzhaut in die Zonen I, II und III eingeteilt. Die Stadien 1, 2, 3, 4 und 5 beschreiben die Schwere der Erkrankung. Bei Vorliegen einer Tortuositas und einer Dilatation der Gefäße in der posterioren Netzhaut um den Sehnervenkopf herum spricht man von einer Plus Disease. Die A-ROP (aggressive ROP) ist eine besonders rasch voranschreitende Form der Erkrankung.
  • Stadium 1 oder 2 der Frühgeborenenretinopathie zeigen häufig eine spontane Regression, wenn allerdings ein behandlungsbedürftiges Stadium der ROP erreicht wird, muss meist innerhalb von wenigen Tagen, zum Teil innerhalb von 24 h eine Behandlung erfolgen.
  • Das Voranschreiten der Erkrankung zu einem Stadium mit (partieller) Netzhautablösung (Stadium 4/5) muss durch systematisches, regelmäßiges Screening der Risikopopulation und rechtzeitige Behandlung soweit wie möglich vermieden werden.
  • Laserkoagulation oder Injektion eines Anti-VEGF-Wirkstoffs sind derzeit die beiden Behandlungsmethoden der Wahl.
  • Bei rechtzeitiger Behandlung sind die Erfolgsaussichten bezüglich Eindämmen der Krankheitsaktivität und Erhalt einer alltagstauglichen Sehfähigkeit sehr gut. Demgegenüber steht das Risiko einer irreversiblen beidseitigen Erblindung, wenn behandlungsbedürftige Stadien übersehen werden.
  • Ein behandlungsbedürftiges Rezidiv kann, bei zu später Diagnose und Behandlung, ebenso wie die initiale ROP zu einer Erblindung führen.
  • Besonders nach Anti-VEGF-Therapie müssen langfristige Nachkontrollen gewährleistet sein, da hier Rezidive auch spät (Monate nach Behandlung) auftreten können.
  • Der ROP-Pass von RG, DOG, BVA und GNPI kann helfen, anstehende Verlaufskontrollen für alle Beteiligten gut sichtbar zu dokumentieren und nachzuhalten.
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