Antibiotika: So bleibt das Schwert scharf

Die WHO bezeichnet Antibiotika-Resistenzen als eines der Top-3-Gesundheitsprobleme weltweit. Von der Regierung bis zur Arztpraxis: Jeder muss seinen Beitrag leisten. In den 60er Jahren frohlockte die Medizin: Im Jahr 2000 sind Infektionskrankheiten besiegt. „Real eingetreten ist jedoch das genaue Gegenteil“, sagte Prof. Dr. André Gessner vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Uni Regensburg. Bei Resistenzen werde meist gleich an MRSA gedacht. „Diese Situation haben wir aber ganz gut im Griff.“ Die Zahlen seien hier eher stabil, so Gessner in München. Sorgen bereiten dem Mikrobiologen vielmehr Vancomycin resistente Enterokokken (VRE) und Beta-Lactamase-bildende Enterobakterien (ESBL). Hier nehmen die Zahlen zu. Auch die Zahlen bei multiresistenten gramnegativen Erregern (MRGN) würden dramatisch steigen. Besonders häufig seien Antibiotika-Resistenzen generell in Süd- und Osteuropa. „Der Grund ist hier die Freiverkäuflichkeit“, so Gessner. Deshalb sei eine Forderung der WHO, Antibiotika weltweit unter die Verschreibungspflicht zu stellen. In Deutschland seien die Verordnungszahlen bei Antibiotika zwar stabil, doch nehme der Anteil von eingesetzten Reserve-Antibiotika kontinuierlich zu. Gessner betonte: „Neu ist nicht besser! Ist ein Keim Penicillin-sensibel, dann nehmen Sie Penicillin!“ Gessner erinnerte daran, dass durch den Einsatz von Antibiotika Resistenzen nicht neu entstehen, resistente Bakterien aber dadurch einen Selektionsvorteil erhielten. „Die Resistenz-Gene in den Bakterien waren schon immer da“, so Gessner. In Proben aus dem Permafrost wurden 15.000 Jahre alte Bakterien isoliert, die bereits Resistenz-Gene gegen moderne Reserve-Antibiotika hatten. Letztlich seien Antibiotika Angriffspunkte im Kampf der Bakterien untereinander, die vom Menschen genutzt würden. „Früher dachte man, dass resistente Bakterien Nachteile haben“, sagte Gessner. Sie galten als weniger fit und weniger pathogen. Eine neue Erkenntnis belegt jedoch, dass resistente Bakterien zum Teil sogar aggressiver seien als nicht resistente – eine beängstigende Tatsache. Zwei Drittel aller Antibiotika werden in Deutschland bei Tieren eingesetzt, teilweise auch illegal in der Tiermast. Der Hintergrund: Antibiotika führen zu einer Verschiebung im Mikrobiom, der Gesamtheit aller Mikroorganismen eines Lebewesens. Die Tiere legen dann schneller Gewicht zu, wenn der Darm von Bakterien besiedelt wird, die die Nährstoffe noch besser verwerten können, so Gessner bei dem Round-Table „Antibiotikaverordnungen reduzieren – zugunsten von Phytotherapeutika als Primärtherapie“. Ähnliches sei für das Mikrobiom von Menschen gezeigt worden. „Im Versuch wurden Mikrobiota von adipösen Menschen auf Ratten übertragen“, beschrieb Gessner das Experiment. „Diese Ratten legten mehr Gewicht zu als jene, die Mikrobiota von Normalgewichtigen erhalten hatten.“ Folgen einer Mikrobiom-Verschiebung durch Antibiotika beim Menschen könnten Adipositas, Diabetes oder KHK sein, so Gessner bei der von Bionorica SE unterstützten Veranstaltung. Neue Antibiotika seien nicht in Sicht, so Gessner. „Die 2020-Initiative ist gescheitert.“ Mit dieser Initiative sollten 20 neue Wirkstoffe bis zum Jahr 2020 entwickelt werden. Dann müssten jetzt aber Studien der Phase 1 und 2 laufen, was nicht der Fall sei. „Die Pipeline ist leer.“ Was also ist zu tun? Drei Punkte nannte der Experte: 1. das Antibiotic Stewardship (ABS), 2. Hygiene und 3. Phytopharmaka für den ambulanten Bereich. Das ABS-Programm zielt dabei auf die Verordnungsqualität von Antiinfektiva in Kliniken. In dessen Rahmen werden etwa in Regensburg nur noch selektive Antibiogramme an den Arzt geleitet. Darin werden gezielt zwei bis drei Antibiotika genannt, die für den Erreger und den Patienten passen, wobei Alter, Geschlecht oder Nierenfunktion berücksichtigt werden. Hygiene wiederum verhindert die Verbreitung der Keime. Gessner erinnerte an die fünf Momente der Händedesinfektion: vor jedem Patientenkontakt, vor aseptischen Tätigkeiten, nach Kontakt mit potenziell infektiösen Materialien, nach Patientenkontakt und nach Kontakt mit der unmittelbaren Patientenumgebung. In der Therapie von Atemwegsinfekten würden aktuelle Leitlinien bei unkomplizierten Infekten auf eine symptom-orientierte Therapie setzen. Da diese Infekte meist viral verursacht seien, sind Antibiotika in der Regel nicht indiziert. Die rationale Therapie von Atemwegsinfekten solle daher eine Multi-Target-Therapie sein, die die Funktion erhält bzw. wieder herstellt, die Symptome lindert, also Ödem und Entzündung reduziert, und das verantwortliche infektiöse Agens bekämpft. „Das schafft kein klassisches Pharmakon, keine Einzelsubstanz“, so Gessner. Hier seien vielmehr Phytotherapeutika als Vielstoffgemische gefragt. Als Beispiel nannte Gessner eine 5-Pflanzen-Kombination (Sinupret® extract) die bei Patienten mit Rhinosinusitis sekrotolytisch wirkt, also die Zilienbewegung und den Schleimtransport fördert, gleichzeitig aber auch antiinflammatorisch sowie antiviral und antibakteriell wirkt. In vitro habe dieser Extrakt die Replikation einer ganzen Reihe unterschiedlicher Viren, darunter Rhino- und Influenza-Viren, um bis zu 89% gehemmt, so Gessner. Wirksamkeit und Verträglichkeit des Präparats sind in klinischen Studien belegt und ein Therapievorsprung von zwei Tagen gezeigt (z.B. Jund R et al. (2015), Acta Otolaryngol 135, 1: 42-50).

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