Bei Atemwegsinfekt raten Ärzte häufig zu Phytotherapeutika

In der Erkältungszeit kommt fast jeder zweite Patient wegen eines Infekts der Atemwege in die Praxis. Viele erwarten eine AU-Bescheinigung. Ärzte raten primär zu pflanzlichen Arzneien, so die Ergebnisse einer Leserbefragung. Während der Erkältungszeit suchen 25 bis 50 Prozent der Patienten die Praxis wegen eines Atemwegsinfekts auf. Diese Quote nannte jeder zweite Teilnehmer einer Umfrage von Springer Medizin. Jeder Fünfte gab sogar einen Anteil von über 50 Prozent an. Gefragt nach den Erwartungen dieser Patienten, kreuzte rund jeder zweite der fast 240 Teilnehmer „AU-Bescheinigung“ an. Oberster Patientenwunsch ist allerdings die rasche Symptomlinderung (84 Prozent) gefolgt von „schnell wieder leistungsfähig sein“ und dem Wunsch nach Verordnung eines wirksamen Arzneimittels (beide 57 Prozent). × Einige Patienten wünschen Antibiotika-Verordnung Etwa jeder dritte Teilnehmer der Umfrage gab an, 5 bis 10 Prozent seiner Atemwegspatienten hätten den Wunsch nach einem Antibiotikum. Ebenso viele nannten einen Anteil von 11 bis 25 Prozent, jeder sechste von über 25 Prozent. Dieser Wunsch wird meist nicht erfüllt: Nur 11 Prozent der Ärzte gaben an, bei Atemwegsinfekten ein Antibiotikum zu verordnen. Zwei Drittel der Ärzte raten vielmehr zu pflanzlichen Arzneimitteln. Es folgen der Rat, kürzerzutreten sowie die Empfehlung unterstützender Maßnahmen wie reichlich zu trinken und zu inhalieren (je 61 Prozent). Eine abschwellende, entzündungshemmende Therapie nannten 41 Prozent, während chemisch-synthetische Schleimlöser mit 20 Prozent der Nennungen nachrangig sind. Antibiotika werden nur gezielt verordnet Werden Antibiotika verordnet, erfolgt es gezielt: 80 Prozent verschreiben sie ihren Risikopatienten, wie jenen mit COPD oder Immunschwäche. Auch bei schwerer Symptomatik über einen längeren Zeitraum greifen 71 Prozent zum Antibiotikum. Bei alten, multimorbiden Patienten tun dies 42 Prozent. Bei Patienten mit grünlich-gelbem Auswurf sind es 38 Prozent. Die Sputumfarbe ist aber kein geeigneter Parameter, um virale und bakterielle Infektionen zu unterscheiden. In einer Studie hatte nur jeder sechste Patient mit gelblich-grünlichem Auswurf einen bakteriellen Infekt (Scand J Prim Health Care. 2009; 27: 70). In dem freien Antwortfeld wurde mehrfach genannt, bei hohem CRP-Wert – als Marker eines bakteriellen Infekts – ein Antibiotikum zu verordnen. Einige Ärzte machen einen CRP-Schnelltest direkt in der Praxis. Ärzte entkräften Patientenwunsch nach Antibiotikum Wie wird Patienten, die mit dem Wunsch nach einem Antibiotikum in die Praxis kommen, dessen Nicht-Verordnung begründet? In dem freien Antwortfeld „Was ist ihr Kernargument gegen ein Antibiotikum“ wurde in vielen unterschiedlichen Varianten genannt: Antibiotika bringen nichts bei Virusinfekten – Atemwegsinfekte sind meist viral verursacht. Oft wird von den Ärzten auch noch auf die Nebenwirkungen einer Antibiose hingewiesen und auch auf die Resistenzbildung. Wie die Grafik zeigt, empfehlen zwei Drittel der Ärzte ihren Atemwegspatienten Phytotherapeutika. Dass sie damit richtig liegen, bestätigt etwa die Leitlinie „Husten“ der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (Pneumologie 2010; 64: 336). Darin wird eine Kombination aus Thymian plus Efeu bzw. Thymian plus Primel (Bronchipret®) als einzige Therapie bei akutem Husten empfohlen. Tipps für die Praxis Bedarfsrezepte und Infos über Resistenzen Viele Ärzte befürworten Bedarfsrezepte für Antibiotika. In der Praxis werden diese aber kaum genutzt. Jeder zweite Teilnehmer (47%) einer Umfrage der „Ärzte Zeitung“ tut dies nur selten, mehr als jeder vierte nie (27%). 14% gaben an, häufig Bedarfsrezepte zu nutzen, aber nur knapp 5% tun dies regelmäßig. Dabei zeigt die Erfahrung, dass ein solches Rezept geeignet ist, den Patienten mit Atemwegsinfekten zusätzlich Sicherheit zu geben. Es dient als Rückversicherung für den Patienten oder im Falle von Kindern, für die Eltern. So ist bereits nach dem ersten Arztbesuch ein Rezept verfügbar, falls das Labor (Blutbild, BSG, CRP) doch auf einen bakteriellen Infekt hinweist. In solchen Fällen informieren die Praxen dann ihre Patienten über das Laborergebnis. Auch wenn „red flags“ auftreten, wie etwa steigendes Fieber oder Husten mit starken Schmerzen hinter dem Brustbein, kann das Rezept eingelöst werden. Meist werden die Rezepte aber gar nicht eingelöst. Übrigens belasten sie dann auch nicht das Arzneimittelbudget. Wissenslücken bei Resistenzen Über die Resistenzsituation am Ort bzw. in der Region wissen rund 30% der Teilnehmer nicht gut Bescheid. Andere informieren sich bei ihrem Mikrobiologielabor (37%), beim Robert Koch-Institut (23%) bei örtlichen Kliniken oder dem Gesundheitsamt (jeweils knapp 10%) und den Referenzzentren (6%). Dabei ist das Wissen um die regionale und lokale Resistenzsituation eine der Voraussetzungen, bei einer bakteriellen Infektion, zum richtigen Antibiotikum zu greifen. Das Mikrobiologielabor, mit dem eine Praxis zusammenarbeitet, sollte die erste Anlaufstelle für Infos zur Resistenzsituation vor Ort sein. Auch die Antibiotika Resistenz Surveillance (ars) am RKI ist eine geeignete Info-Quelle: https://ars.rki.de Interview: "Phytos setzen an mehreren Zielstrukturen an" Ärzte raten bei Atemwegsinfekten zu pflanzlichen Arzneimitteln. „Das ist durchaus evidenzbasiert“, sagt Professor Karen Nieber, Institut für Pharmazie, Uni Leipzig. Springer Medizin: Bei Atemwegsinfekten setzten Ärzte oft Phytotherapeutika ein. Wie evidenzbasiert ist das? Prof. Karen Nieber: Es gibt knapp 30 AWMF-Leitlinien bei Erkältungskrankheiten. Mehrere davon nennen auch Phytopharmaka. Das sind vor allem Thymian, Efeu oder Myrtol, Salbei bei Halsschmerzen. Auch die S2-Leitlinie zu Sinusitis nennt pflanzliche Arzneimittel. In den Leitlinien wird also die Evidenz der Phytotherapie anerkannt. Und überarbeitete Leitlinien werden wohl weitere Phytopharmaka enthalten. Was sind die Vorteile von Phytopharmaka im Vergleich zu chemisch-synthetischen Arzneimitteln? Die generellen Vorteile von Phytotherapeutika sind die sehr große therapeutische Breite und die geringen Nebenwirkungen. Pflanzliche Arzneimittel sind Vielstoffgemische, setzen an mehreren Zielstrukturen an und haben unterschiedliche Wirkungen. Efeu, Thymian, Primel oder Süßholz etwa wirken bronchospasmolytisch. Für einen Pelargonium-Extrakt wurde ein antiinflammatorischer Effekt gezeigt. Neben der entzündungshemmenden haben z.B. Efeu, Thymian oder Primel auch die sekretolytische Wirkung, die bei Atemwegsinfekten eine Rolle spielt. Reizlindernd sind Malve, Eibisch, Isländisch Moss oder Spitzwegerich. Für alle diese Extrakte gibt es gute Studien. Eine ganze Reihe pflanzlicher Arzneimittel ist zudem auch für Kinder zugelassen. Das ist ein sehr positiver Aspekt. Für Kinder wichtig ist auch die oft vorhandene Darreichungsform als Saft. Und Phytotherapeutika können auch längerfristig eingenommen werden. Pflanzliche Arzneimittel sind sehr gut geeignet für leichte und mittelschwere Verläufe, nicht jedoch für schwere Verläufe. Wie sieht es mit einer antibakteriellen oder antiviralen Wirkung aus? In vitro Studien zeigen sowohl antibakterielle als auch antivirale Wirkungen. Wichtiger erscheint mir bei Erkältungskrankheiten aber die Wirkung auf die Atemwegsschleimhaut zu sein. Für Extrakte aus Efeu, Thymian und Spitzwegerich gibt es einige Hinweise für eine positive Wirkung auf die Atemwegsschleimhaut und die Schleimbildung. Hier gibt es ja den Reflexbogen über die Bronchialschleimhaut und den Nervus vagus. Konkret heißt das, es werden über die Rezeptoren der Schleimhaut – etwa bei Reizung – Signale über den Vagusnerv weitergeleitet. Eine direkte antivirale Wirkung sehe ich eher zurückhaltend. Wobei eine solche Wirkung durch in vitro Studien zum Beispiel mit Thymian für mehrere unterschiedliche Virenstämme erzielt wurde. Die antivirale Wirkung soll hier durch Monoterpene erfolgen, die im Thymianextrakt enthalten sind. Praxis-Checkliste Diese Punkte immer wieder überprüfen! Hygienestandards einhalten Sachgerecht adaptierte Antibiotikatherapie, dazu gehören: richtige Indikation (nur bei bakteriellen Infekten geeignet!) Auswahl des Antibiotikums (Basisantibiotika wie Penicilline primär, Reserveantibiotika wie Fluorchinolone nur als Reserve) richtige Dosierung richtige Therapiedauer Impfen (z.B. Pneumokokken, Influenza) Behandlungsalternativen bedenken Patientenaufklärung, inkl.: Hygieneverhalten Wirksamkeit der Antibiotika nur bei bakteriellen Infekten korrekter Einnahmemodus und -dauer). Merkblätter einsetzen (z.B. www.bundesaerztekammer.de/?id=34) Quellen Leserumfrage „Antibiotika – wie vermeiden“ von Springer Medizin, mit freundlicher Unterstützung von Bionorica SE Altiner A et al.: Sputum colour for diagnosis of a bacterial infection in patients with acute cough. Scand J Prim Health Care. 2009;27(2):70-3

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