Erschienen in:
01.01.2015 | Leitthema
Abschätzung von Prävalenz und Behandlungsbedarf psychischer Störungen
Das Problem diagnostischer Schwellen
verfasst von:
Prof. Dr. F. Jacobi, U.B. Barnikol
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 1/2015
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Zusammenfassung
Hintergrund
Randbereichsunschärfen im Bereich schwellenbasierter Diagnosen stellen ein theoretisch ungelöstes, möglicherweise nur mittels mehrdimensionaler Lösungswege einzukreisendes methodisches Problem dar. Pragmatisch wird im Rahmen klassifikatorischer Diagnostik bei der (Weiter-)Entwicklung diagnostischer Systeme wie ICD und DSM zumindest versucht, möglichst reliable und valide operationalisierte Diagnosekategorien zu konstruieren.
Fragestellung und Methoden
Anhand von Modellrechnungen mit epidemiologischen Daten wird veranschaulicht, in welchem Ausmaß beispielhafte Änderungen in Störungsspektrum und diagnostischen Kriterien Fallzahlen beeinflussen. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, wie sich schwellenbasierte Konstrukte wie DSM-IV-Diagnosen hinsichtlich allgemeiner Kriterien von „Krankheitswertigkeit“ verhalten.
Ergebnisse
Die Variationen bei Störungsspektrum und Schwellen ergeben kleine bis moderate Änderungen der Fallzahlen. In Bezug auf Leiden und Beeinträchtigung sind psychische Störungen mit deutlich reduzierter allgemeiner gesundheitsbezogener Lebensqualität und vermehrten Ausfalltagen (aufgrund psychischer und/oder körperlicher Probleme) assoziiert. Mit steigender Belastung steigt der Anteil psychischer Störungen deutlich an; bei den 5 % am stärksten Belasteten und Beeinträchtigten beträgt er fast 80 %.
Diskussion
Trotz notwendiger Unschärfe bilden die schwellenbasierten Diagnosen (DSM-IV) Krankheitswertigkeit (im Sinne von „illness“ und „sickness“) für Prävalenzschätzungen zufriedenstellend (und nachvollziehbar) ab. Es fehlen Definitionen und Instrumente zur Bestimmung von Behandlungsbedarf. Umstritten bleibt, ob die diagnostischen Symptomkriterien auch immer pathologische Störungen („disease“) repräsentieren.