Betablocker: Nutzen bei stabiler KHK überschätzt?

Betablocker werden bezüglich ihres Nutzens bei stabiler KHK möglicherweise überschätzt. Autoren einer neuen Studie fanden jedenfalls bei vielen KHK-Patienten keine Anhaltspunkte für eine Betablockern nachgesagte kardioprotektive Wirkung. Als Substanzen mit guter antianginöser und antiischämischer Wirkung werden Betablocker in den Leitlinien seit langem als First-Line-Therapeutika bei symptomatischen Patienten mit stabiler KHK empfohlen. Viele sehen zudem gute Gründe dafür, dass Betablocker aufgrund kardioprotektiver Effekte bei dieser Indikation auch die Prognose der Patienten verbessern könnten. Direkte Belege dafür gibt es jedoch nicht. Studien zum prognostischen Nutzen schon älteren Datums Die Wertschätzung als prognostisch vorteilhafte Therapie bei KHK verdankt sich vielmehr den Ergebnissen älterer Studien aus den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, in denen Betablocker bei Postinfarkt-Patienten die Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen nachweislich reduzierten. Eine Metaanalyse dieser Studien kam zu dem Ergebnis, dass auch die Mortalität signifikant verringert wurde. Auch bei chronischer Herzinsuffizienz infolge einer gestörten linksventrikulären systolischen Funktion haben Betablocker in der Folge einen günstigen Einfluss auf Morbidität und Mortalität unter Beweis gestellt. Extrapolation auf stabile KHK Per Extrapolation ist ein prognostischer Nutzen der Betablocker auch bei stabilen KHK-Patienten ohne Herzinfarkt und selbst bei Patienten ohne KHK, aber mit einschlägigen Risikofaktoren, postuliert worden. In den zwei bis drei Jahrzehnten, die seit den Postinfarkt-Studien mit Betablockern vergangen sind, hat sich die Behandlung von KHK-Patienten infolge neuer Therapien einschließlich frühzeitiger invasiver Reperfusion erheblich gewandelt. Neue Studie bestärkt Zweifel Inzwischen mehren sich die Anzeichen dafür, dass Betablocker den ihnen nachgesagten Nutzen bei vielen Patienten mit stabiler KHK womöglich vermissen lassen. Zweifel werden unter anderem durch aktuell publizierte Forschungsergebnisse einer dänisch-amerikanischen Untersuchergruppe um Dr. Charlotte Anderson aus Gentofte bestärkt. Die Gruppe hat bei ihrer Analyse auf Daten eines großen, in der Gesundheitsfürsorge tätigen US-Unternehmens (Kaiser Permanente) zurückgegriffen. Anhand von elektronischen Patientenakten wurden 26 793 Personen identifiziert, die zwischen 2000 und 2008 nach einem ersten KHK-Ereignis (akuter Herzinfarkt, instabile Angina pectoris oder elektive Revaskularisation durch Bypass-Op oder perkutane Koronarintervention) aus der Klinik entlassen worden waren. Davon waren 19.843 (74 Prozent) innerhalb der ersten Woche erstmals auf einen Betablocker eingestellt worden. Weiteren 14 Prozent wurde in den folgenden zwölf Monaten ein Betablocker verordnet. Im Zeitraum der Nachbeobachtung (im Schnitt 3,7 Jahre) zählten die Untersucher insgesamt 6.968 Patienten, die gestorben waren oder einen nicht tödlichen Herzinfarkt erlitten hatten. Nach Adjustierungen für andere potenzielle Einflussfaktoren kamen Anderson und ihre Kollegen zu dem Ergebnis, dass eine Betablocker-Therapie insgesamt mit einer moderaten relativen Abnahme der Mortalität um 10 Prozent und einer Reduktion des Mortalitäts- und Herzinfarktrisikos um 8 Prozent assoziiert war. Vorteil nur bei Patienten mit Herzinfarkt Allerdings bot sich bei Patienten mit und ohne Herzinfarkt ein unterschiedliches Bild. So ging die Betablocker-Therapie nur bei Patienten mit durchgemachtem Myokardinfarkt mit einer signifikanten Reduktion der Mortalität um 15 Prozent und des Sterbe- und Herzinfarktrisikos um 13 Prozent einher. Bei klinisch stabilen KHK-Patienten ohne Herzinfarkt war dagegen weder eine Assoziation mit der Mortalität noch mit der Inzidenz von Herzinfarkten nachweisbar. Ähnliche Ergebnisse aus dem REACH-Register Zu ähnlichen Ergebnissen war eine internationale Forschergruppe bei ihrer 2012 publizierten Analyse von Daten des großen REACH-Register gelangt (JAMA. 2012; 308: 1340-1349). In dieses prospektive Register sind vor rund zehn Jahren knapp 45 000 Patienten mit koronarer, zerebraler oder peripherer Gefäßerkrankung aufgenommen worden. Unter ihnen waren KHK-Patienten, die entweder einen weiter zurückliegenden Herzinfarkt oder noch keinen Herzinfarkt hatten, sowie Patienten ohne manifeste KHK, die nur KHK-Risikofaktoren aufwiesen. Die Analyse stützte sich auf Daten von knapp 22 000 Patienten aus diesen Gruppen. Keine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse In keiner der drei Gruppen war die Betablocker-Therapie mit einer signifikanten Reduktion der Rate kardiovaskulärer Ereignisse (kardiovaskulär bedingter Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall) assoziiert. In der Subgruppe der KHK-Patienten mit Herzinfarkt in der Vorgeschichte betrug diese Rate 16,9 Prozent bei Einnahme von Betablockern und 18,6 Prozent ohne entsprechende Therapie. Perfekte Daten, die definitive Schlussfolgerung zum heutigen therapeutischen Stellenwert von Betablockern bei stabiler KHK erlauben, liefern beide Studien aufgrund ihrer bekannten Limitierungen nicht. In einer idealen Welt ohne finanzielle Schranken wäre der nächste Schritt, den möglichen prognostischen Nutzen von Betablockern bei dieser Indikation im Kontext der modernen KHK-Therapie in einer prospektiven randomisierten Studie zu untersuchen. Auf diese Studie, die ob ihrer erforderlichen Größe immense Kosten mit sich bringen würde, sollte man als Realist aber besser nicht hoffen. Was sind die Konsequenzen für die Praxis? Also gilt es, mit der gegenwärtigen Datenlage zurechtzukommen und daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten. Das versuchen die Kardiologen Professor Gabriel Steg aus Paris und Dr. Ranil de Silva aus London in einem begleitenden Editorial zur aktuellen Studie. Nach ihrer Ansicht sprechen die Ergebnisse der Anderson-Analyse dafür, dass eine generelle Betablocker-Therapie bei allen Patienten mit stabiler KHK aus prognostischen Erwägungen wohl nicht notwendig ist. Betablocker sollten den Leitlinien entsprechend zur symptomatischen Therapie bei KHK-Patienten mit Angina pectoris genutzt werden. Der Mehrzahl der asymptomatischen KHK-Patienten, die in der Regel bereits eine Menge anderer Medikamenten einnehmen müssen, bringe der Wegfall des Betablockers eine Erleichterung. Bei Patienten, die schon einmal einen Herzinfarkt hatten, halten beiden Editorial-Verfasser aber eine routinemäßige Behandlung mit Betablockern nach wie vor für gerechtfertigt.

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