Kinderanästhesie: Wann wird die Erkältung zur Gefahr?

Besonders Kleinkinder sind sehr oft erkältet. Ihr respiratorisches Narkoserisiko wird in der Praxis tendenziell unterschätzt. Auf dem diesjährigen DAC wurden praxisorientierte Vorschläge präsentiert, die helfen mit dieser Problematik umzugehen. »Kritische Atemwegsinfekte bei Kindern werden zu oft ignoriert,« meint Frau Dr. Karin Becke von der Cnopf´schen Kinderklinik, Hallerwiese. Eine Umfrage zeigte Besorgniserregendes: Nur in 21 % der befragten Abteilungen war es üblich, »meistens« in solchen Fällen auf eine Verschiebung des Eingriffs zu drängen [1]. Die Chefärztin der Kinderanästhesie befürchtet, dass dies meist in Unkenntnis der realen Gefahr geschieht. »Entscheidend ist zu wissen, dass jeder Atemwegsinfekt bei Kindern auch zu einer Hyperreagibilität führt«, betont Frau Dr. Becke. Pulmonale Anamnese Pathophysiologisch erinnert die kindliche Erkältung an das Asthma bronchiale. Es kommt ebenfalls zu einer gesteigerten lokalen Freisetzung von Acetylcholin. Bei Kleinkindern ist dieser Effekt besonders ausgeprägt. Deshalb sind Narkosekomplikationen bei Kleinkindern in der Regel respiratorisch getriggert und oft mit einem Infekt assoziiert. Prophylaktisch sollte aus diesem Grund bei der Prämedikation auch eine pulmonale Anamnese (verstopfte Nase, Schnarchen, Passivrauchen etc.) erhoben werden [2]. Eine positive pulmonale Anamnese erhöht das Risiko eines Laryngospasmus von 2,1 % auf 8,9 %. Das Risiko für einen Bronchospasmus steigt von 0,7 auf 6,3 %. Elternmeinung zählt Als besonders aussagekräftige Prädiktoren für ein erhöhtes Risiko wurden drei klinische Indikatoren identifiziert: eitriger Schnupfen, produktiver Husten und Fieber > 38 °C. Ein weiteres Alarmzeichen ist der spontane Hinweis der Eltern, dass das Kind erkältet sei. Auch dieser scheinbar banale Tipp ist ein signifikanter Prädiktor. »Man muss beachten, dass dann das Laryngospasmusrisiko fast verdoppelt ist«, nimmt Frau Dr. Becke Bezug auf eine entsprechende Studie [3]. Verspätete Gefahr Die Hallerwiesener Kinderanästhesistin warnt vor dem Trugschluss, dass mit dem Abklingen der Erkältungszeichen auch das respiratorische Risiko verschwindet. Die Hyperreagibilität des Bronchialsystems nimmt in den ersten zwei Wochen nach überstandenem Infekt sogar noch dramatisch zu. Die Laryngospasmusrate bei Kindern mit akutem Atemwegsinfekt wird mit 7 % angegeben. Im Zeitraum bis zu 14 Tagen nach Abklingen des Infekts steigt sie auf 17 % an [2]. Salbutamolinhalation Falls Risikokinder trotzdem operiert werden müssen, sollten alle Narkoserisiken vermieden werden. Propofol ist dem Einsatz volatiler Anästhetika vorzuziehen. Besonders ungünstig ist Desfluran. Eine gute Strategie zur Risikoreduzierung ist die präoperative Inhalation mit Salbutamol [4]. Sie sollte unmittelbar vor dem Eingriff erfolgen. Zusätzlich kann die intravenöse Gabe von Lidocain erwogen werden [5]. Hierdurch lässt sich, wie experimentell gezeigt, das Laryngospasmusrisiko reduzieren. »Der beste Schutz vor respiratorischen Komplikationen ist und bleibt aber die Erfahrung. Kinder mit respiratorischen Risiken sind nichts für Anfänger«, betont Frau Dr. Becke. Lesen Sie mehr Weitere Beiträge finden Sie im Dossier zum Deutschen Anästhesiecongress 2014. Literatur [1] Tait, Alan R., Paul I. Reynolds, and Howard B. Gutstein. “Factors that influence an anesthesiologist’s decision to cancel elective surgery for the child with an upper respiratory tract infection.” Journal of clinical anesthesia 7.6 (1995): 491–499. [2] von Ungern-Sternberg, Britta S., et al. “Risk assessment for respiratory complications in paediatric anaesthesia: a prospective cohort study.” The Lancet 376.9743 (2010): 773–783. [3] Schreiner, Mark S., et al. “Do children who experience laryngospasm have an increased risk of upper respiratory tract infection?.” Anesthesiology 85.3 (1996): 475–480. [4] UNGERN‐STERNBERG, Von, et al. “Salbutamol premedication in children with a recent respiratory tract infection.” Pediatric Anesthesia 19.11 (2009): 1064–1069. [5] Erb, T. O., et al. “The effect of intravenous lidocaine on laryngeal and respiratory reflex responses in anaesthetised children*.” Anaesthesia 68.1 (2013): 13–20.

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