Endlich gute Nachrichten zu Alzheimer: Prävention und Rehabilitation möglich

Eine zunehmende Zahl älterer Menschen mit Alzheimer Demenz (AD), Fortschritte auf Seiten der Diagnose ohne wesentliche Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten und das bisherige Scheitern der Versuche einer Demenz-Impfung – lange gab es wenig Positives rund um die häufigste Demenz zu berichten. Das scheint sich zu ändern. „Wir haben einen Fuß in der Tür“, erklärte Prof. Dr. Konrad Bayreuther vom Netzwerk Alternsforschung der Universität Heidelberg beim Neurologenkongress in Düsseldorf. Grund für den Optimismus sieht er in den Hinweisen auf eine abnehmende Inzidenz der AD in Europa in verschiedenen voneinander unabhängigen Studien [1,2,3]. „Die Anzahl der Neuerkrankungen scheint derzeit in Europa drastisch zu sinken“, berichtete er. „Für Deutschland bedeutet das 620 anstatt bisher 820 Neuerkrankungen pro Tag. Bayreuther sieht als Grund für die positive Entwicklung vor allem die Trends zur Reduktion bzw. erfolgreichen Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren. „Das Herz gratuliert dem Hirn“, meinte er. „Die Abnahme der Neuerkrankungen bei Alzheimer Demenz deutet darauf hin, dass Prävention und Rehabilitation bei AD möglich sind und wir damit Erfolge selbst bei einer der komplexesten Erkrankungen haben können.“ Allerdings bedeutet das noch keine geringere Prävalenz – die Menschen leben mit Demenz dank Rehabilitation und Behandlung der AD bzw. der Komorbiditäten länger als früher. Tipps für das demenzfreie Altern Ein Drittel der AD-Erkrankungen wird nach populationsbasierten Daten durch modifizierbare Risikofaktoren verursacht [4]. Entsprechende Maßnahmen zur Reduktion dieser Risikofaktoren sind ein verbesserter Zugang zu Bildung sowie die Reduktion vaskulärer Risikofaktoren durch mehr Bewegung, Rauchstopp, im mittleren Lebensalter Blutdrucksenkung bei Hypertonie ebenso wie Gewichtsreduktion bei Adipositas, Behandlung des Diabetes und Behandlung bei Depression. Auch ausreichendes Schlafen könnte laut Bayreuther ein gutes Mittel gegen eine Akkumulation des Amyloid-beta42-Peptids und damit gegen ein erhöhtes Risiko für eine AD sein: Nach einer Nacht Schlafentzug stieg in einer Studie am Morgen der Amyloid-beta42-Peptidanteil im Liquor gesunder männlicher Probanden an, während es bei uneingeschränktem Schlaf am Morgen nach dem Aufwachen abfiel [5]. Gesunder Geist – gesunder Körper Dass sich eine gesunde Lebensführung über zwei Jahre hinweg nicht nur günstig auf die physische Gesundheit, sondern auch auf die Kognition auswirkt, zeigte eine randomisierte Studie mit 1.260 Personen im Alter zwischen 60 und 77 Jahren. Alle wiesen aufgrund von sechs Punkten im Demenzrisikoscore CAIDE (Cardiovascular Risk Factors, Aging and Dementia) und leicht unterdurchschnittlichen Werten in Kognitionstests ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz auf [6]. Über zwei Jahre unterzogen sich die Probanden entweder einer vielseitigen Lebensstilintervention (Ernährung, Bewegung, Kognitionstraining und Monitoring kardiovaskulärer Risikofaktoren, n = 631) oder erhielten nur eine allgemein Lebensstilberatung (Kontrollgruppe, n = 629). „Nach zwei Jahren verfügten die Teilnehmer der Interventionsgruppe gemäß einer neuropsychologischen Testbatterie über eine um 25 % höhere allgemeine geistige Fitness als die der Kontrollgruppe. Besonders deutlich wirkte sich der Unterschied auf die Exekutivfunktionen des Gehirns aus – hier lag der Unterschied zwischen den beiden Gruppen bei 83 %. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit war sogar um 150 % gestiegen“, berichtete Bayreuther. Prävention aus der Apotheke? Auch mehren sich Hinweise zu präventiv wirksamen Medikamenten. Bayreuther nannte als Beispiel eine prospektive Kohortenstudie mit fast 150.000 demenzfreien Personen im Alter von ≥ 60 Jahren mit insulinabhängigem Diabetes mellitus, die den Einfluss von Pioglitazon auf die Demenzinzidenz untersuchte [7]. So zeigte sich ohne zusätzliche Pioglitazon-Einnahme bei den Diabetespatienten ein um 23 % erhöhtes Demenzrisiko gegenüber Gesunden (relatives Risiko [RR] = 1,23, p < 0,001), bei einer Dauer der Pioglitazon-Einnahme von bis zu acht Quartalen war das Demenzrisiko vergleichbar (RR = 1.16, p = 0.317) und bei noch längerer Therapiedauer reduzierte sich das Demenzrisiko der Diabetespatienten gegenüber Gesunden sogar um 47 % (RR = 0,53, p = 0,029). Auch das Vorhandensein eines ApoE-ε4-Risikoallels ist kein Grund zur Resignation: Die damit assoziierten hohen Cholesterinwerte und kardiovaskulären Erkrankungen sind ja behandelbar. „Sie haben Medikamente an der Hand“, betonte Bayreuther. Maßnahmen von Anfang an Ist bereits eine leichte Alzheimer-Demenz eingetreten, können rehabilitative Maßnahmen helfen, die Alltagskompetenz möglichst lange zu erhalten. So führte in einer Interventionsstudie ein intensives Doppeltätigkeitstraining mit Übungen für Muskelaktivität und Kraft einerseits und gleichzeitig auszuführenden kognitiven Aufgaben andererseits zu einer 20 %igen Verbesserung bei solchen Doppelaufgaben, während die Kontrollen bei einem unspezifischen körperlichen Training geringer Intensität nur eine Verbesserung von 2,2 % erreichten (p = 0,026) [8]. Seit dem letzten Jahr gibt es auch vielversprechende Daten zur Amyloid-beta-Peptid-Impfung, nachdem zuvor viele Versuche frustran verlaufen waren. Mit monatlicher intravenöser Gabe von 400 mg Solanezumab, einem monoklonalen Antikörper gegen das lösliche Amyloid-beta-Peptid, zeigte sich nach 80 Wochen in zwei randomisiert-kontrollierten Studien konsistent eine statistisch relevante Verzögerung des Krankheitsverlaufs um 30 %, erläuterte Bayreuther [9]. Die Verlangsamung der Progression unter Solanezumab gegenüber Placebo ließ sich sowohl auf der ADAS-Cog*14-Skala (Differenz: 34,3 %), als auch nach dem MMSE** (33,7 %) oder dem Instrument zu Aktivitäten des täglichen Lebens ADCS-iADL*** (17,9 %) zeigen. „Wenn Sie sehr früh in den Krankheitsverlauf eingreifen, können Sie ihn vielleicht um zehn Jahre verschieben“, glaubt Bayreuther. Damit steigen die Chancen für Erkrankte, eine schwerere Form der AD gar nicht mehr zu erleben. Bayreuthers Vision ist deshalb: Sobald eine solche wirksame Therapie der AD verfügbar ist, sollte ab einem Alter von 40 Jahren eine Vorsorgeuntersuchung angeboten werden. Mehr vom Kongress Weitere Beiträge zum Kongress finden Sie im Dossier DGN-Kongress 2015. * Alzheimer's Disease Assessment Scale Cognitive subscale ** Mini Mental State Examination *** Alzheimer's Disease Cooperative Study–Activities of Daily Living functional scale Literatur: [1] Matthiews FE et al. Lancet 2013; 382: 1405-12 [2] Qiu C et al. Neurology 2013; 80: 1888-94 [3] Schrijvers EM et al. Neurology 2012; 78: 1456-63 [4] Norton S et al. Lancet Neurol 2014; 13: 788-94 [5] Ooms S et al. Jama NEurol 2014; 71: 971-7 [6] Ngandu C et al. Lancet 2015; 385: 2255-63 [7] Heneka MT et al. Ann Neurol 2015; 78: 284-94 [8] Schwenk M et al. Neurology 2010; 74: 1961-8 [9] Siemers ER et al. Alzheimers Dement 2015 Aug 1. Epub ahead of print

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Endlich gute Nachrichten zu Alzheimer: Prävention und Rehabilitation möglich

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Antihypertensiva schützen auch alte Menschen noch vor Demenz

Fünf Dinge, die im Kindernotfall besser zu unterlassen sind

Delir kann Demenz begünstigen

Manche Gestagene können das Risiko für Meningeome erhöhen