Psychose lässt sich bei jedem Zweiten verzögen oder verhindern

Psychotherapie, Arzneien oder gar Fischöl? Noch ist unklar, womit sich eine Psychose am besten verhindern lässt. Klar ist auf jeden Fall, dass unterschiedliche Therapien greifen und die Psychoserate bei gefährdeten Personen mehr als halbieren. Eigentlich ist die Lage recht eindeutig: „Es gibt eine Menge Daten, dass die Psychoseprävention funktioniert. Jetzt ist es an der Zeit, die Erkenntnisse in die Vorsorge zu übernehmen“, hat Professor Andreas Bechdolf vom Vivantes Klinikum in Berlin auf dem DGPPN-Kongress in der Hauptstadt berichtet. Der Psychiater erinnerte daran, dass nach Ergebnissen einer aktuellen Metaanalyse mit über 2500 psychosegefährdeten Teilnehmern 22% der Betroffenen ohne Behandlung innerhalb eines Jahres eine manifeste klinische Erkrankung entwickeln, nach drei Jahren sind es bereits 32%, und bei noch längeren Zeiträumen entwickeln etwa 40% eine Psychose. Solche Menschen sind meist schon vier bis fünf Jahre vor einer ersten Episode auffällig und haben kurze, selbstlimitierende oder abgeschwächte psychotische Symptome. Dazu zählen eigentümliche Vorstellungen, Sprech- und Denkweisen, magisches Denken oder paranoide Ideen, wobei ein Realitätsbezug noch vorhanden ist. Für ein hohes Risiko sprechen auch eine familiäre Belastung und ein Funktionsabbau, etwa ein sozialer Rückzug oder kognitive Defizite. Die sozialen Probleme sind in dieser Phase oft belastender als die psychischen: „Es sind Menschen, die straucheln, sie fehlen in der Schule oder bei der Arbeit, man merkt, dass der soziale Abstieg gerade beginnt“, so Bechdolf. Wenn solche Personen Hilfe suchen, dann häufig wegen ihrer Funktionseinschränkungen, Behinderung, Ängste und Depressionen. „Hier müssen wir sie unterstützen, damit sie überhaupt zu uns in ein Früherkennungszentrum kommen“, sagte Bechdolf. Erst in einem zweiten Schritt gehe es darum, die Patienten für eine Intervention zu gewinnen, um eine psychotische Episode zu verhindern. Je früher es aber gelinge, psychosegefährdete Personen zu behandeln, umso besser ist die Prognose. Daher lohne es sich, solche Menschen auf eine Therapie anzusprechen. Verhaltenstherapie und Medikamente – beides ist wirksam In den vergangen zehn Jahren, so Bechdolf, wurde gut ein Dutzend randomisiert-kontrollierter Studien veröffentlicht, die den Nutzen einer Intervention im Prodromalstadium belegen. Meist wurden dabei eine kognitive Verhaltenstherapie (KVT), atypische Neuroleptika sowie eine Kombination aus beidem gegen Placebo und ein unspezifisches klinisches Management geprüft. In fast allen Studien war die spezifische Intervention einer unspezifischen Unterstützung signifikant überlegen: Mit Psychotherapie oder Medikamenten entwickelten nur etwa 5 bis 15% der Teilnehmer innerhalb eines Jahres eine Psychose, in den Kontrollgruppen waren es dagegen 20 bis 35%. In der Regel konnte die spezifische Intervention die Psychoserate halbieren bis vierteln. Fasst man diese Daten zusammen, dann liegt die Number Needed to Treat (NNT), um eine Psychose zu vermeiden, damit bei vier bis acht. „Das ist eine super Ergebnis“, so Bechdolf. Bei Medikamenten, die kardiovaskuläre Ereignisse verhindern sollen, habe man oft eine NNT von 60 bis 80. Erst KVT, dann Neuroleptika Noch ist allerdings nicht klar, welche Form der Intervention am meisten bringt. In den Studien waren sowohl KVT als auch Medikamente der unspezifischen Intervention deutlich überlegen, die Kombination der beiden Strategien brachte aber meist keinen zusätzlichen Nutzen. Bechdolf plädiert daher für den Beginn mit einer gut verträglichen psychosozialen Intervention. Erst wenn die Betroffenen darauf nicht ansprechen oder weiter Risikofaktoren hinzukommen, etwa Suizidalität, sollte man zu Neuroleptika greifen. Für interessant hält der Psychiater auch Präventionsstudien mit Omega-3-Fettsäuren. In einer Studie mit 81 Patienten entwickelten nur 5% der Hochrisikopersonen mit einer Omega-3-Therapie innerhalb eines Jahres eine Psychose, ohne waren es 25%. Die Ergebnisse werden nun in einer neuen Studie überprüft. Als Wirkmechanismus vermuten Forscher neuroprotektive Eigenschaften der Fettsäuren. Aufgrund der vielen Hinweise zu einem Nutzen präventiver Therapien bei Schizophrenie schlägt Bechdolf vor, ein Prodromalstadium in den ICD-10 aufzunehmen. Dann ließen sich psychosegefährdete Personen besser versorgen. „Realität ist, dass diese Patienten derzeit in Deutschland meist keine vernünftige Behandlung bekommen oder aus Ratlosigkeit mit Antipsychotika behandelt werden.“ Eine Aufnahme in den ICD-10 würde es auch erleichtern, Leitlinien für eine strukturierte Behandlung psychosegefährdeter Menschen zu entwickeln. Hinweise auf oxidativen Stress Neue Hinweise zum Nutzen der Prävention könnte die noch laufende deutsche PREVENT-Studie liefern, an der sich 300 Personen mit hohem Psychoserisiko beteiligen. In der dreiarmigen Studie erhalten die Teilnehmer an zwölf Zentren in Deutschland entweder eine KVT, eine Therapie mit niedrig dosiertem Aripiprazol oder Placebo. Auf dem Kongress der DGPPN wurden nun Analysen der Basisdaten veröffentlicht. So scheint es gewisse geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Teilnehmern zu geben: Männer sind häufiger arbeitslos, drogen- oder alkoholabhängig als Frauen, zeigen eine stärkere Negativsymptomatik und ein schlechteres Funktionsniveau. Ein Großteil dieser Unterschiede lasse sich aber darauf zurückführen, dass Männer länger warten, bis sie Hilfe suchen und die Erkrankung daher bei ihnen dann im Schnitt schon weiter fortgeschritten ist, sagte Diplompsychologin Liz Rietschel vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. In einer weiteren Analyse der Basisdaten wurden bei Blutuntersuchungen Hinweise auf vermehrten oxidativen Stress bei Prodromal-Patienten gefunden. Allerdings ist noch unklar, ob dieser Stress mit der Erkrankung selbst einhergeht oder eher mit dem oft ungesunden Lebensstil der Betroffenen, bedingt etwa durch einen hohen Tabak- und Alkoholkonsum. Mehr zum Kongress Alle Beiträge zum Kongress finden Sie auch in unserem Dossier "DGPPN-Kongress 2012"!

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