Einfach arbeiten ohne Angst vor Regressen

Der AOK-Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung in Baden-Württemberg lässt die Ärzte ihre Arbeit tun – ohne Angst vor Regressen. Doch Vorbehalte gegen den Vertrag bleiben, aus ganz unterschiedlichen Motiven. Auf seiner Visitenkarte steht „Praktischer Arzt, Dr. med. Christoph Kaltenmaier“. Er ist 48, sein Wunschtraum wäre, „die erforderliche Leistung erbringen, Rezept und AU ausstellen, dann die Rechnung schreiben, aus.“ Ansonsten, bitteschön, keine Bürokratie, beschreibt Kaltenmaier seinen Traum, doch die Realität sieht anders aus: „Ich stehe seit über zehn Jahren im Dauer-Regress.“ Kaltenmaier ist verheiratet, hat drei Kinder, betreibt eine Allgemeinpraxis mit ambulanter Chirurgie in Aglasterhausen, zwischen Heidelberg und Mosbach. Der Ort liegt in Nordbaden, 5500 Einwohner. Gelernt hat er Unfallchirurg, das hilft ihm als Unfallarzt der Berufsgenossenschaften. Bei diesem Standort und bei diesem Programm will die Fachgruppe Allgemeinarzt nicht so recht passen. Erst recht nicht, seit in den 90er Jahren die Budgetierung begann. Regresse bedeuten psychische Belastung und hohen Zeitaufwand Zuletzt verzeichnete er hohe Regressforderungen bei Medikamenten und Heilmitteln. Im Jahr 2000 erhielt er einen Regress über 400.000 D-Mark. Die Therapie-Dokumentation seines teuersten multimorbiden Patienten wog vier Kilo. Kaltenmaier gewann den Prozess nach neun Jahren. Er weiß, was Regresse für Ärzte bedeuten: psychische Belastung und hohen Zeitaufwand. So hatte er sich als Student seinen Beruf nicht vorgestellt. Als Heiner Geißler (CDU) 1982 Gesundheitsminister war, studierte Kaltenmaier im 1. Semester Medizin in Hamburg. Später stieg er in die Praxis seines Vaters ein, entschied sich aber 1993, eine eigene Praxis zu eröffnen – und baute. Gerne würde er wissen: Sehen Politiker ihn und seine über 7000 Hausarztkollegen in Baden-Württemberg als Arzt-Unternehmer mit vollem wirtschaftlichem Risiko oder doch eher als Staatsmediziner? Kaltenmaier ist Mitbegründer der Nordbadischen Ärzteinitiative, außerdem KV-Vertreter, Delegierter der Bezirksärztekammer und Mitglied im Medi-Verbund. An den Hausarztverträgen von AOK und BKK lobt er, dass die Abrechnung auf drei DIN-A-4-Seiten passt. Bei der KV-Abrechnung, sagt er, werde aus den drei Seiten ein halbes Buch. Den Fallwert im KV-System gibt er selber mit rund 41 Euro an, die KV nennt für das dritte Quartal 2009 als durchschnittlichen Fallwert knapp 56 Euro. Im AOK-Vertrag dagegen seien es für ihn 90 Euro. Vorbehalte gegen den Vertrag bleiben Dennoch stößt der Vertrag nach wie vor auf Vorbehalte bei Hausärzten. Dabei sind die Motive sehr unterschiedlich. Das hatte ein Streitgespräch im August 2009 gezeigt, für das die „Ärzte Zeitung“ AOK-Chef Dr. Rolf Hoberg und zwei Vertragskritiker an einen Tisch gebracht hatte. Einer der beiden ist Dr. Otmar Carewicz aus Dossenheim. Für ihn sind die Kritikpunkte nach wie vor gültig. Den Hausarzt mit Chirurgie-Qualifikation stört noch immer am AOK-Vertrag, dass er individuelle Leistungen fast nie extra honoriert. Vorhaltekosten für Apparate und die Zusatzqualifikationen werden nach Ansicht von Carewicz in der Honorarstruktur nicht ausreichend abgebildet. So bekomme ein Kollege, der beim Patienten Fäden entfernt, das gleiche Geld wie Carewicz für einen ambulanten chirurgischen Eingriff: „Ich bin kein Gegner des Vertrags, mein Vorbehalt gilt der Systematik.“ Skeptisch geblieben ist auch Dr. Wulf-Dietrich Möhring, seit 27 Jahren Hausarzt in Leutkirch. Noch ein paar Jahre bleiben ihm bis zum Ruhestand. Der Aufwand, in den Hausarztvertrag zu wechseln, erscheint ihm zu hoch. Hätte er noch zehn oder 20 Berufsjahre vor sich, wäre für ihn die Umstellung kein Problem, berichtet er. Inzwischen gebe es Kollegen in der Stadt, die der besseren Honorare wegen am Vertrag teilnehmen. Für Möhring ein nachvollziehbares Motiv, denn „sektorale Verträge haben die Situation für die Hausärzte verbessert und werden in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen.“

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