Fall Niels H.: Kliniken denken über Vorbeugung nach

Am 26. Februar erging das Urteil gegen den Ex-Pfleger Niels H. wegen Mordes. Doch das ist nur der Auftakt der juristischen Aufarbeitung. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen acht weitere Klinikmitarbeiter. Lebenslänglich Haft wegen zweifachen Mordes, zweifachen Mordversuchs und gefährlicher Körperverletzung. So lautet das Urteil des Oldenburger Landgerichtes über den ehemaligen Krankenpfleger Niels H. (38). „Der Prozess war erst der Anfang“, sagt Gaby Lübben, die Anwältin der Angehörigen einiger der Opfer. Lübben vertritt die Angehörigen von acht weiteren mutmaßlichen Opfern des Pflegers. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft in mehr als 200 weiteren Fällen, bestätigte Staatsanwalt Martin Rüppell Springer Medizin / Ärzte Zeitung. Ein Gutachter prüft alle in Frage kommenden Akten, gegebenenfalls sollen Gräber der Toten geöffnet werden, um die Knochen der Verstorbenen auf Reste des Herzmedikaments Gilurytmal zu untersuchen, des Medikaments, mit dem H. getötet hat. Haben Mitarbeiter weggesehen? Tatsächlich müssen sich jetzt auch die betroffenen Krankenhäuser Gedanken machen. Denn die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt auch gegen insgesamt acht Klinikmitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sechs vom Klinikum Delmenhorst und zwei vom Klinikum Oldenburg, sagt Rüppell. Unter Umständen könnte bei den Klinikmitarbeitern Totschlag durch Unterlassen vorliegen. „Die Frage ist, ob man Hinweise auf die Taten hätte erkennen und vor allem Maßnahmen treffen müssen, die Herrn H. viel früher hätten stoppen können“, so Rechtsanwältin Rüppell. Sonja G. Drumm, bis vor kurzem Geschäftsführerin des Klinikums Delmenhorst, nahm ihre Mitarbeiter noch Ende 2014 in Schutz. „Mit Blick auf meine Mitarbeiter möchte ich ganz deutlich betonen, dass es sich bei den vermeintlichen Taten des Niels H. um die Taten eines fehlgeleiteten Einzeltäters handelt. Den in der Öffentlichkeit immer wieder zu hörenden Vorwurf, dass Mitarbeiter bewusst weggesehen hätten, kann ich nach meinem heutigen Kenntnisstand nicht bestätigen“, so Drumm. Unterdessen baut man im Klinikum Oldenburg vor. Auch hier hatte Niels H. vor seiner Beschäftigung in Delmenhorst gearbeitet. „Bei uns in Oldenburg haben wir insgesamt 12 zweifelhafte Todesfälle“, sagt Dr. Dirk Tenzer, Geschäftsführer des Klinikums, „wir gehen von aktiven Tötungen aus, wissen aber nicht durch wen. Aber wenn es nicht Herr H. gewesen ist – wer sonst?“ Um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu vermeiden, sollen die Mitarbeiter am Klinikum sensibilisiert werden. „Wir werden die Mitarbeiter auf den Stationen durch einen Kriminalpsychologen schulen lassen“, so Tenzer zu Springer Medizin / Ärzte Zeitung. Außerdem will das Klinikum die Todesfallstatistiken mit einer „verfeinerten Methode“ auswerten. Whistleblowing online Schließlich plant man in Oldenburg, „im April ein Online-Whistleblowing-System zu installieren“, so Tenzer. „Damit bekommen wir ein System, das die Hemmschwelle für die Mitarbeiter senkt, auf Missstände aufmerksam zu machen.“ Ein Compliance-Manager des Hauses soll sich dann der Meldungen annehmen. Rechtanwältin Gabi Lübben bleibt skeptisch. „Ein Whistleblower-System bringt nichts. In Delmenhorst wurde auf der Station längst über Niels H. geredet.“ Notwendig sei vielmehr ein externer Prüfer, der sowohl in der Arzneimittelkommission sitzt als auch in anderen Prüfgremien der Krankenhäuser. Lübben: „Am besten wäre es, wenn der Prüfer pro Unregelmäßigkeit eine Provision bekäme.“

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