Für Vergiftungen bei Kindern richtig gewappnet sein

Vergiftung bei Kindern? Früher waren Magenspülung oder induziertes Erbrechen das Prozedere der Wahl um möglichst viel Gift schnellstmöglich zu entfernen. Das hat sich zugunsten der Aktivkohle geändert. Jetzt gilt: Aktivkohle ist „in“, Magenspülung ist „out“. Das Problem ist nicht zu unterschätzen: Insgesamt 36.000 Anrufe gehen jährlich in der Giftnotrufzentrale am Klinikum rechts der Isar in München ein. Davon handelt es sich bei etwa einem Drittel um Intoxikationen bei Kindern, erläuterte Prof. Dr. Florian Eyer, Leiter der Abteilung für Klinische Toxikologie & Giftnotruf in München. Bundesweit liegt die Zahl der jährlichen Anrufe in allen deutschen Giftinformationszentren, die Kinder betreffen, bei 100.000. Haushaltsmittel führen die Liste der Vergiftungsursachen an. Doch schon an zweite Stelle stehen bei Kindern bis zum sechsten Lebensjahr, aber auch bei den Sechs- bis 14-Jährigen, Medikamente; darunter Kontrazeptiva, Analgetika, Antitussiva, aber auch Antihistaminika und Psychopharmaka. An dritter Stelle folgen pflanzliche Giften wie Eibe, Vogelbeere oder Liguster sowie Pilze. Medikamente und Pflanzengifte zusammen machen insgesamt etwa 45% aller Vergiftungsfälle im Kindesalter aus. „Nicht ganz selten“, so Eyer, haben diese Vergiftungen einen suizidalen Hintergrund. Bei immerhin jedem zweiten Patienten, der am Heckscher-Klinikum für Kinder und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in München notfallmäßig aufgenommen wird, handelt es sich um einen Selbstmordversuch – bei insgesamt allerdings sinkenden Zahlen. Absage an Antidote Vergiftungen werden eher symptomatisch als spezifisch behandelt, denn die Zahl der zur Verfügung stehenden Antidote ist begrenzt. Zudem gehen sie mit Nebenwirkungen einher – und sie sind teuer. Gesetzt wird deshalb auf eine kostengünstige, effektive und technisch einfach durchführbare Primärelimination, so Eyer. Wer jetzt an Magenspülung oder induziertes Erbrechen, etwa mit Ipecacuanha-Sirup oder Kochsalz denkt, hinkt der Zeit hinterher. Diese Maßnahmen sind Schnee von gestern. Aus gutem Grund: Schon nach zwanzig bis dreißig Minuten ist die Menge an Gift, die damit entfernt werden kann, gering. Bei der Magenspülung kommt das nicht unerhebliche Risiko der Aspiration hinzu. „Beides hat heutzutage keinen Stellenwert mehr, außer bei extrem protrahiert resorbierten Substanzen“, so Eyer. Aktivkohle: frühzeitig einsetzen und ausreichend dosieren Um für den Fall einer Vergiftung gerüstet zu sein, empfahl er dagegen die Bevorratung mit Aktivkohle, einer Substanz, die bereits seit Langem zur Primärelimination von Giften Einsatz findet. 30 Minuten nach Ingestion des Gifts lässt sich damit noch etwa die Hälfte der Substanz entfernen. Wie wirksam die Therapie letztlich ist, hängt entscheidend vom Zeitraum zwischen Vergiftung und Anwendung der Aktivkohle ab. Dabei gilt: Je früher, umso besser. „Es sollte nicht erst zwei Stunden gewartet werden, bis die Entscheidung für Aktivkohle fällt“, so Eyer. Ebenfalls wichtig ist die Applikation einer ausreichende Menge an Aktivkohle. Und daran sollte nicht gespart werden. Konkret: Das Zehnfache der eingenommenen Giftmenge sollte es schon sein. Hier kann diese Methode allerdings an ihre Grenzen stoßen. Bei einer Paracetamolvergiftung mit 10 bis 30 g des Analgetikums würde das die Zufuhr von 300 g Aktivkohle bedeuten, rechnete Eyer vor. Und machte damit deutlich, dass sich Aktivkohle besonders gut für Substanzen wie Benzodiazepine oder Digitalisglykoside eignet, die schon in kleinen Mengen toxisch wirken. Empfohlen wird in der Regel eine Dosis von 0,5 bis 1 g Aktivkohle pro Kilogramm Körpergewicht. Und: Auch die Anwendung von Aktivkohle ist nicht völlig unproblematisch. Es muss zwingend auf eine ausreichende Vigilanz des Patienten und gesicherte Atemwege geachtet werden. Aktivkohle adsorbiert fast alles Wie aber wirkt Aktivkohle? Aktivkohle hat eine extrem große Oberfläche, die die meisten Substanzen unspezifisch adsorbiert. Unzureichend ist die Wirkung bei Alkohol, sowie bei Lithium und Eisen. „Sonst bindet alles recht gut“, meinte Ehler. Zudem wirkt Aktivkohle, anders als etwa eine Magenspülung, nicht nur im Magen. Sie wird weiter in den Dünndarm transportiert und kann auch dort toxische Substanzen binden. Dadurch lassen sich auch Substanzen entfernen, die enterohepatisch zirkulieren.

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