Kindernotfall: Wie kommt es zum ALTE?

Der Terminus ALTE („apparent life threatening event“), im deutschsprachlichen ALE („anscheinend lebensbedrohliches Ereignis“), beschreibt ein plötzlich auftretendes, lebensbedrohlich erscheinendes Ereignis bei einem vorher unbeeinträchtigten Säugling mit Zyanose oder Blässe, Tonusverlust oder Steifwerden, Apnoe, Husten und/oder Würgen. Einen neuen Blick auf mögliche zugrundeliegende Pathomechanismen eröffnet eine aktuelle Studie. Ein ALTE wird von den Eltern als extrem traumatisierend empfunden und zieht meist eine umfangreiche stationäre Evaluation nach sich, die mit zusätzlichen Belastungen und erheblichen Kosten verbunden ist. Eine früher hergestellte Assoziation zum Plötzlichen Kindstod, die ihren Ausdruck in der Bezeichnung „Near-miss SIDS“ fand, hat sich bislang nicht bestätigen lassen. Ebenso fehlt überzeugende Evidenz für einen Zusammenhang mit einem gastroösophagealen Reflux, dennoch wird häufig ex juvantibus eine entsprechende Therapie begonnen. Die dem ALTE zugrundeliegenden pathophysiologischen Mechanismen sind naturgemäß schwierig zu untersuchen, da die Ereignisse unvorhersehbar auftreten und so einer genaueren Evaluation kaum zugänglich sind. Die Autoren der vorliegenden Arbeit haben nun in einer aufwändigen, eleganten Untersuchung versucht, Besonderheiten der Schluck-Atmungsinteraktion bei Kindern mit Z.n. ALTE herauszuarbeiten. Dabei wurden thorakale und abdominelle Atembewegungen, Tidalvolumen und nasaler Luftstrom erfasst, gleichzeitig wurde die Ösophagusmotilität mit einem speziell entwickelten Katheter mit insgesamt 7 Druckmesspunkten dargestellt. Besonderes Augenmerk richteten die Untersucher auf das Verhalten während sog. „spontaner respiratorischer Ereignisse“ (SRE), definiert als Apnoe, die länger dauert als das normale, physiologische Atemanhalten während eines Schluckvorgangs (2 sec. bzw. die Länge von 2 normalen Atemzügen). Untersucht wurden 10 ehemalige Frühgeborene (mittleres Gestationsalter 28 Schwangerschaftswochen (SSW)) mit einem ALTE in der Vorgeschichte und 10 Kontrollkinder (mittleres Gestationsalter 30 SSW) ohne ALTE, jeweils etwa zum Zeitpunkt des errechneten Termins (40 SSW). Bis auf niedrigere 1-min.- und 5-min. Apgarscores in der ALTE-Gruppe bestanden keine signifikanten demografischen Unterschiede zwischen beiden Gruppen. In der ALTE-Gruppe traten häufigere (6,2 +/- 2,7 pro h vs. 5,3 +/– 3,5 pro h, p < 0,03) und länger anhaltende ( 15,0 +/– 1,8 sec. vs. 6,1 +/– 2,2 sec., p<0,01) SREs auf, in der ALTE-Gruppe überwiegend als gemischte Apnoen, z.T. mit Schnappatmung, in der Kontrollgruppe mehrheitlich als zentrale Apnoen. Die Säuglinge mit ALTE brauchten insgesamt länger, nach einem SRE ihren normalen Atemrhythmus wiederherzustellen. Die Manometrie zeigte niedrigere Kontraktionen des oberen Ösophagussphinkters als Ausdruck verminderter Schutzreflexe vor und nach dem Schluckakt, häufiger als in der Kontrollgruppe fanden sich unkoordinierte Schluckakte mit ineffektiver Clearance des Ösophagus. In beiden Gruppen waren die SREs überwiegend mit dem Schluckakt, kaum hingegen mit einem Refluxereignis assoziiert. Kinder mit ALTE scheinen also v.a. eine Störung der pharyngealen Schluck-Atmungs-Koordination sowie verminderte pharyngo-ösophageale Schutzreflexe aufzuweisen. Therapeutische Interventionen sollten sich daher eher auf diesen Aspekt als auf einen oft nicht einmal nachgewiesenen gastroösophagealen Reflux konzentrieren. Fazit: Die vorliegende Arbeit eröffnet einen neuen Blick auf mögliche Pathomechanismen bei ALTE. Zu prüfen ist, ob die Beobachtungen auch für reifgeborene Säuglinge in ähnlicher Form gelten und ob die Analyse von SREs möglicherweise dazu dienen kann, Risikokinder für ALTE (und evtl. auch für SIDS?) zu identifizieren.

Springer Medizin

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