Klin Padiatr 2009; 221(4): 254-255
DOI: 10.1055/s-0029-1233481
Kurzmitteilung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Compliance zur alkoholischen Händedesinfektion in der Pädiatrie und Neonatologie

Compliance of Alcoholic Hand Disinfection in Pediatrics and NeonatologyN. Mönch, M. Behnke, C. Geffers, P. Gastmeier, C. Reichardt
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Publication Date:
23 July 2009 (online)

Die regelmäßige und korrekt ausgeführte Händedesinfektion ist eine der wichtigsten Maßnahmen zur Prävention von nosokomialen Infektionen [Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert-Koch-Institut (Hrsg.): Händehygiene. In: Bundesgesundheitsbl 2000, 43]. Als indirekte Methode zur Bestimmung der Compliance der Händedesinfektion dient als Surrogatparameter die Erfassung des Verbrauches von alkoholischen Händedesinfektionsmitteln (HDM) [Eckmanns T et al. J Hosp Infect 2006, 63: 406–411]. Innerhalb des nationalen Krankenhaus-Infektions-Surveillance-Systems „KISS” ist für diesen Zweck ein zusätzliches Modul „HAND-KISS” entstanden, um so Vergleichsmöglichkeiten zum Verbrauch von alkoholischen Händedesinfektionsmitteln zu schaffen. HAND-KISS ist damit ein Baustein in der deutschlandweiten Kampagne „Aktion saubere Hände”, die mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, eine Verbesserung der Händehygiene zu erzielen. Im Januar 2008 startete die Kampagne und während des ersten Jahres erklärten bereits 460 medizinische Einrichtungen Ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Aktion. Eine Teilnahmevoraussetzung für diese Aktion ist die Erfassung des jährlichen Händedesinfektionsmittelverbrauchs über HAND-KISS, um so den jährlichen Fortschritt in der Händehygiene abbilden zu können. Die Teilnahme an HAND-KISS ist dabei selbstverständlich auch ohne Beteiligung an der „Aktion saubere Hände” möglich. Im Erfassungsjahr 2008 wurde HAND-KISS auf Funktionsbereiche im Krankenhaus und ambulante Einrichtungen erweitert. Weitere Informationen zu HAND-KISS können auf der Homepage www.nrz-hygiene.de nachgelesen werden.

Die Surveillance des HDM-Verbrauchs erfolgt retrospektiv für periphere Stationen und Intensivstationen mit Hilfe von Abrechnungsdaten der Apotheke, des Einkaufs oder des Controllings für das vorangegangene Kalenderjahr und wird einmal jährlich an HAND-KISS übermittelt. Pro Station wird der gesamte jährliche Verbrauch von alkoholischen Händedesinfektionsmitteln ermittelt und durch die jährlich anfallenden Patiententage auf den Stationen dividiert. Um dabei ein möglichst ähnliches Patientenklientel der verschiedenen Stationen zu vergleichen, erfolgt die Auswertung stratifiziert nach den wesentlichen Fachrichtungen und in 2 Gruppen (Intensivstationen und Normalstationen). Erstmalig sind Referenzdaten von HAND-KISS für den Zeitraum des Jahres 2007 veröffentlicht worden. [Tab. 1] zeigt die Referenzdaten der pädiatrischen und neonatologischen Stationen.

Tab. 1 Referenzdaten zum Händedesinfektionsmittelverbrauch in der Pädiatrie und Neonatologie. Stationstyp Anzahl Stationen Patiententage Jahres-Verbrauch in Litern Verbrauch in ml/Patiententag MW*1 Q1*2 Median Q3*3 *1 gepoolter arithmetischer Mittelwert, *2 25%-Perzentil, *3 75%-Perzentil pädiatrische Normalstation 128 623 202 24 454 39 19 32 49 neonatologische Normalstation 15 59 714 2 452 41 17 39 68 pädiatrische Intensivstation 16 48 876 4 610 94 51 107 127 neonatologische Intensivstation 37 134 777 12 291 91 46 69 150

Für die aktuelle Auswertung (Stand vom Februar 2009) konnten Daten von insgesamt 196 pädiatrischen und neonatologischen Stationen eingeschlossen werden. Unter der Annahme, dass pro durchgeführte Händedesinfektion durchschnittlich 3 ml alkoholisches Händedesinfektionsmittel benötigt werden, kann davon ausgegangen werden, dass auf einen pädiatrischen Intensivpatienten durchschnittlich 31 Händedesinfektionen pro Tag entfallen. Dies bedeutet, dass in 24 Stunden etwas mehr als einmal pro Stunde und pro Patient die Hände des medizinischen Personals desinfiziert werden. Auf einer pädiatrischen Normalstation finden etwa 13 Händedesinfektionen pro Tag statt. In der Neonatologie werden auf Normalstation durchschnittlich 14 Händedesinfektionen und auf der Intensivstation durchschnittlich 30 Händedesinfektionen pro Tag durchgeführt. Pro Stunde werden auf der neonatologischen Intensivstation damit etwas mehr als einmal pro Patient die Hände durch das Personal desinfiziert.

Vergleicht man die hier vorliegenden Ausgangsdaten mit Daten aus dem Genfer Universitätsspital, so werden dort auf der neonatologischen Intensivstation vor der Intervention 66,6 ml und nach der Intervention 89,2 ml HDM pro Patiententag verbraucht [Pessoa-Silva C et al.: Pediatrics 2007, 120: 382–390]. Ein neonatologischer Patient würde also bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 3 ml pro Händedesinfektion etwa 22 Händedesinfektionen bzw. etwa 30 Händedesinfektionen pro Tag erfahren, was gut mit den gezeigten HAND-KISS-Referenzdaten korrespondiert. In der italienischen Studie von Capretti et al. werden die Inzidenzen von nosokomialen Infektionen bei Frühgeborenen vor und nach einer Kampagne zur Händedesinfektion untersucht. Hier zeigte sich eine signifikante Reduktion der nosokomialen Infektionen nach der Intervention, welche auch mit einem Rückgang der gesamten Kosten einher ging [Capretti MG et al.: Am J Infect Control 2008, 36: 430–435]. Der Rückgang der nosokomialen Infektionen und damit auch die begleitende Reduktion der Kosten überwiegen wesentlich gegenüber den gestiegenen Kosten für die vermehrte Anwendung der alkoholischen Händedesinfektion.

Bei der Interpretation der HAND-KISS-Daten ist zu beachten, dass die Erfassung des Händedesinfektionsmittelverbrauches eine begrenzte Spezifität hat, denn durch Verwendung des Händedesinfektionsmittels für andere Zwecke können die Angaben zum tatsächlichen Verbrauch für die Händedesinfektion abweichen. Deshalb sind die Daten durch zusätzliche Beobachtungsstudien zu ergänzen.

Es existieren große Unterschiede zwischen den Stationen. Beispielsweise wird in einem Viertel der neonatologischen Intensivstationen weniger als 46 ml HDM pro Patiententag verbraucht, während in einem anderem Viertel mehr als 150 ml HDM pro Patiententag verbraucht werden. Aber auch bei pädiatrischen Intensivstationen und den Normalstationen kann eine große Varianz zwischen den Stationen beobachtet werden ([Abb. 1]).

Abb. 1 Korrelation zwischen dem HDM-Verbrauch (Median pro Patiententag) aller pädiatrischen Allgemeinstationen (paed. ALS) und aller pädiatrischen Intensivstationen (paed. ITS) eines Krankenhauses.

Insgesamt liegen die HDM-Verbrauchsdaten auf den pädiatrischen Stationen wesentlich höher als auf den Stationen für erwachsene Patienten, was in [Tab. 2] gezeigt wird. Dennoch besteht auch hier ein deutliches Verbesserungspotenzial, wie die große Varianz der Ergebnisse der beteiligten Stationen zeigt. Interessant ist, dass eine signifikante Korrelation (Korrelationskoeffizient 0,588, p=0,035) des HDM-Verbrauchs innerhalb der Pädiatrischen Abteilungen zwischen den pädiatrischen Intensiv- und den Normalpflegestationen existiert. Niedrige Verbrauchsdaten in der Intensivtherapie der Abteilungen korrelieren mit niedrigen Verbrauchsdaten in den Normalpflegestationen. Die Sensibilisierung für die ausreichend häufige Durchführung der Händedesinfektion scheint somit ein abteilungsspezifisches Phänomen zu sein. Beim Vergleich der HDM-Verbräuche zwischen pädiatrischen und erwachsenen Allgemeinstationen zeigt sich ebenfalls eine signifikante Korrelation (p<0,001) mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,607 ([Abb. 2]). Es spricht daher einiges dafür, dass der Stellenwert, den ein Krankenhaus oder eine Abteilung dem Thema Händedesinfektion beimisst, Auswirkungen auf die Häufigkeit hat, mit der Händedesinfektionen durchgeführt werden.

Abb. 2 Korrelation zwischen dem HDM-Verbrauch (Median pro Patiententag) aller pädiatrischen Allgemeinstationen (paed. ALS) und aller erwachsenen Allgemeinstationen (erw. ALS) eines Krankenhauses.

Tab. 2 Vergleich der Händedesinfektionsmittelverbräuche in der Pädiatrie/Neonatologie und der Erwachsenenmedizin. Stationsgruppe Anzahl Stationen Patiententage Jahres-Verbrauch in Litern Verbrauch in ml/Patiententag HD/Pat.Tag # MW*1 Q1*2 Median Q3*3 *1 gepoolter arithmetischer Mittelwert, *2 25%-Perzentil, *3 75%-Perzentil, # berechnet aus Mittelwert alle päd. und neonatol. ITS 53 183 653 16 900 650 92 46 87 138 31 alle Erwachsenen ITS 277 1 039 646 77 843 031 75 46 68 91 25 alle päd. und neonatol. Normalstationen 143 682 916 26 905 645 39 19 32 49 11 alle Erwachsenen Normalstationen 1 899 15 222 810 234 014 033 15 10 14 20 5

Die Referenzdaten können deshalb auch benutzt werden, um durch ein entsprechendes Feedback eine Verbesserung der Situation in der eigenen Abteilung und Klinik zu erreichen. Insbesondere Häusern mit geringen Verbrauchswerten ist der Vergleich ihrer Daten mit den Referenzdaten vor Augen zu führen, um Verbesserung anzustoßen. Durch den Vergleich der HAND-KISS Referenzdaten für 2007 und 2008 in diesem Jahr wird zudem eine Aussage über die zeitliche Entwicklung für die Händehygiene und somit inzwischen eingeleiteter Interventionsmaßnahmen in der Pädiatrie/Neonatologie möglich sein.

Die Durchführung einer Surveillance zum Händedesinfektionsmittelverbrauch kann Anhaltspunkte dafür liefern, Problembereiche zu identifizieren und das Bewusstsein zum Grad der Umsetzung der hygienischen Händedesinfektion wesentlich zu verbessern.

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