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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 4/2015

01.11.2015 | Originalarbeit

Neue empirische Befunde zur Sanktionierung der Tötungsdelikte

Unter besonderer Berücksichtigung der Anordnung und Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe

verfasst von: Prof. Dr. Jörg Kinzig

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 4/2015

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Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag informiert über aktuelle, zur Sanktionierung der Tötungsdelikte vorhandene empirische Befunde. Anlass für diese Publikation ist der Umstand, dass derzeit in der Rechtspolitik über eine umfassende Reform der Tötungsdelikte diskutiert wird, deren Fassung noch aus der Zeit des Nationalsozialismus stammt. Erörtert wird dabei nicht nur die so genannte Tatbestandsseite, also die Voraussetzungen für die Ahndung eines Tötungsdelikts, sondern auch die Rechtsfolgenseite, also die Frage einer angemessenen Sanktion für das zu ahndende schwere Unrecht. Besonders im Fokus steht die lebenslange Freiheitsstrafe, die nach derzeitigem Recht bei Begehung eines Mordes (§ 211 StGB) zwingend zu verhängen ist. Im Folgenden werden die rechtstatsächlichen Erkenntnisse zusammengetragen und analysiert, die sich einerseits aus den amtlichen Statistiken (insbesondere der Polizeilichen Kriminalstatistik, der Strafverfolgungs- und der Strafvollzugsstatistik), aber auch aus weiteren Untersuchungen zu dieser Sanktion ergeben. Insgesamt bietet das vorhandene Datenmaterial dazu Anlass, die derzeit rigide Regelung zu überdenken. Insbesondere sollte die lebenslange Freiheitsstrafe nicht mehr obligatorische Rechtsfolge der Begehung eines Mordes sein.
Fußnoten
1
Interview Süddeutsche Zeitung: „Wir müssen den Mordparagrafen ändern“ vom 08.02.2014; das Interview findet sich dokumentiert auf der Website des Ministeriums unter http://​www.​bmjv.​de/​SharedDocs/​Interviews/​DE/​2014/​Print/​20140108_​Sueddeutsche_​Zeitung_​Wir_​muessen_​den_​Mordparagrafen_​aendern.​html?​nn=​1468636.
 
2
Zuletzt: Dessecker, Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen. Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr 2013, 2014.
 
3
Zuletzt: Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010, 2013.
 
4
PKS Fälle Grundtabelle ab 1987; so auch bereits die Befunde des Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts (vgl. BMI/BMJ, Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, 2003, S. 59, 74, 77 ff.) sowie selbige von Laue, Die Entwicklung der Tötungsdelikte in Deutschland, FPPK 2008, 76–84.
 
5
PKS 2014 Zeitreihen Tatverdächtige.
 
6
PKS 2014 Zeitreihen Opfer.
 
7
So bereits H.-M. Weber, Die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Für eine Durchsetzung des Verfassungsanspruchs, 1999, S. 49; ihm folgend Kett-Straub, Die lebenslange Freiheitsstrafe, 2011, S. 75.
 
8
Strafverfolgungsstatistik 2013, S. 158 f.
 
9
Strafverfolgungsstatistik 2013, S. 58.
 
10
Strafverfolgungsstatistik 2013, S. 338 f.
 
11
Strafverfolgungsstatistik 2013, S. 426 f.
 
12
Hier sind auch die Heranwachsenden und Jugendlichen einbezogen.
 
13
Strafverfolgungsstatistik 2013, S. 484 ff.
 
14
Dessecker, 2014, Tab. 1, S. 14 aufgrund einer Auswertung der Daten der Strafverfolgungsstatistik.
 
15
Rechtspflege. Strafvollzug – Demographische und kriminologische Merkmale der Strafgefangenen zum Stichtag 31.3. – 2014, Wiesbaden 2015, S. 15.
 
16
Vgl. dazu auch eine Stichtagserhebung der KrimZ (Dessecker, Lebenslange Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung: Dauer und Gründe der Beendigung in den Jahren 2011 und 2012 mit einer Stichtagserhebung zur lebenslangen Freiheitsstrafe, 2013, S. 31). Zum noch höheren Alter bei Beendigung der lebenslangen Freiheitsstrafe vgl. Dessecker, 2014, S. 12 f., 39.
 
17
Dessecker, 2014, S. 7 ff. auch zu methodischen Fragen; vgl. ders., Wie lange dauern lebenslange Freiheitsstrafen? MschrKrim 95 (2012), 81–92. Eine Zusammenfassung wichtiger Ergebnisse der Erhebung der KrimZ findet sich zudem bei Bernd-Dieter Meier, Strafrechtliche Sanktionen, 4. Aufl. 2015, S. 98 f.
 
18
Zur Frage des Versterbens im oder kurz nach dem Vollzug vgl. auch Dessecker, 2014, S. 23 f.
 
19
Vgl. auch Dessecker, 2014, S. 21 ff. Dass eine Schätzung der zu erwartenden Vollzugsdauer aufgrund des Quotienten Stichtagspopulation zu Zahl der Beendigungen pro Jahr zu sehr viel höheren Ergebnissen führt, zeigt Dessecker, MschrKrim 95 (2012), 88 ff.
 
20
Als Grund für Verbüßungszeiten unter 15 Jahren wird v. a. angegeben, dass damit strafvollzugsrechtlich Arbeit und Ausbildung durch eine Vorverlegung des Entlassungszeitpunkts honoriert worden seien (vgl. Dessecker, 2014, S. 20).
 
21
Dessecker, 2014, S. 42 f.
 
22
Auch Dessecker, 2014, S. 15 spricht von großen regionalen Unterschieden; vgl. auch S. 48. Die überwiegend niedrigen Werte der neuen Bundesländer können darauf zurückzuführen sein, dass sie noch wenige Gefangene haben, die für eine Strafrestaussetzung nach 15 Jahren in Betracht kommen.
 
23
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine kommentierte Rückfallstatistik, 2003, S. 124.
 
24
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2004 bis 2007, 2010, S. 182.
 
25
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010, 2013, S. 57.
 
26
Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen. Eine bundesweite Rückfalluntersuchung 2007 bis 2010 und 2004 bis 2010, 2013, S. 179.
 
27
Vgl. auch Dessecker, 2014, S. 24. Die letzte größere empirische Untersuchung stammt von Laubenthal, Lebenslange Freiheitsstrafe. Vollzug und Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung, 1987.
 
28
BVerfGE 45, 187 (237 f.).
 
29
So das zutreffende Fazit von Kett-Straub, 2011, S. 341; vgl. auch Bock/Mährlein, Die lebenslange Freiheitsstrafe in verfassungsrechtlicher Sicht, ZRP 1997, 376–381 (379 f.).
 
30
BVerfGE 117, 71 (90 f.).
 
31
Vgl. auch Hillenkamp, Zur Beobachtungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers, in: H.E. Müller/Sander/Válková, Festschrift für Ulrich Eisenberg zum 70. Geburtstag, 2009, S. 301–320 (316).
 
32
H.-M. Weber, 1999, S. 105 meint, der Erste Senat hätte im Jahr 1977 zu dem Schluss kommen müssen, „daß der Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe in der Regel zu zumindest schweren, wenn nicht gar irreparablen Schäden am Menschen in seiner Eigenart als personales und soziales Wesen führt, also zu Verletzungen der Würde des Menschen, deren alleiniges Antasten schon dem Staat untersagt ist.“
 
33
So schreibt Drenkhahn (Research on long-term imprisonment, in: Drenkhahn/Dudeck/Dünkel, Long-Term Imprisonment and Human Rights, 2014, S. 9–22 [S. 13]): „The findings, though, are not univocal: they range from no deteriorating effect … to rather mixed results … and to negative effects …“
 
34
Snacken/van Zyl Smit: Europäische Standards zu langen Freiheitsstrafen: Aspekte des Strafrechts, der Strafvollzugsforschung und der Menschenrechte, NK 2009, 58–68 (60 f.).
 
Metadaten
Titel
Neue empirische Befunde zur Sanktionierung der Tötungsdelikte
Unter besonderer Berücksichtigung der Anordnung und Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe
verfasst von
Prof. Dr. Jörg Kinzig
Publikationsdatum
01.11.2015
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 4/2015
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-015-0333-4

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