Erschienen in:
01.01.2015 | Leitthema
Patientensicherheit
Ein Thema mit Zukunft, die Zukunft des Themas
verfasst von:
Prof. Dr. med. Matthias Schrappe
Erschienen in:
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz
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Ausgabe 1/2015
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Zusammenfassung
Knapp 10 Jahre nach Gründung des „Aktionsbündnis Patientensicherheit“ (APS) ist in Deutschland zu diesem Thema viel erreicht worden. Es wurde die Fähigkeit zur Analyse von sog. „Never Events“ entwickelt, generierende Methoden zur Behebung „blinder Flecken“ eingeführt (z. B. Critical Incident Reporting System, CIRS) und das Paradigma der individuellen Schuld durch den Blick auf die Organisationen, auf Teamfaktoren und Management-Strukturen abgelöst. Die weitere Entwicklung muss Patientensicherheit ebenso wie Qualität als Systemeigenschaft verstehen, was eine glaubwürdige Perspektive zur Entwicklung des gesamten Gesundheitswesens impliziert. Der Diskurs um das Thema „Patientensicherheit“ muss sich daher an der Weiterentwicklung des Gesundheitssystems beteiligen, ohne sich auf ein defensives Verständnis, das lediglich auf die Neutralisierung unerwünschter Effekte des dominierenden Vergütungssystems gerichtet ist, zu beschränken. Unter dem Aspekt der Anforderungen an die Versorgung einer alternden Bevölkerung mit chronischen Mehrfacherkrankungen ist in erster Linie die Morbidität zu diskutieren: Es reicht nicht mehr aus, prozedurale Aspekte einer operativ orientierten Akutmedizin zu adressieren, sondern es muss zunehmend die Koordination der Behandlung chronischer Erkrankungen im Vordergrund stehen. Die Entwicklung von Instrumenten zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei älteren Patienten geht in die richtige Richtung. In zweiter Linie stehen die Sicherheitsdefizite durch die Sektorierung und sektorbezogene Optimierung des Gesundheitssystems im Vordergrund (z. B. MRSA-Problematik). In dritter Linie ist zu spezifizieren, aus welcher Perspektive Fragen der Patientensicherheit priorisiert werden sollen. Die gesellschaftlichen und institutionellen Perspektiven reichen nicht aus, die Patienten- und Nutzenperspektive müssen mit einbezogen werden (s. Überversorgung). Weiterhin wird ein Wandel nur möglich sein, wenn die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft aktiviert wird. Ein solcher Kontextbezug kann z. B. durch die Diskussion der auf gesellschaftlicher Ebene entstehenden Fehlerkosten hergestellt werden. Die Kosten, die für Deutschland bei über 1 Mrd. € pro Jahr liegen dürften, sind jedoch nicht um Größenordnungen höher als die Kosten anderer Probleme des Gesundheitswesens. Daher bleibt die ethische Herausforderung, größtmögliche Sicherheit im Sinne einer optimalen Patientenversorgung zu gewährleisten, einer der entscheidenden Stimuli für eine professionelle und öffentliche Diskussion.