Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis? Vorsicht Falle!

Praxen in gesellschaftsrechtlichen Formen, die das Ziel einer besseren Abrechnung verfolgen, sind extrem kritisch. Das zeigt eine aktuelle Entscheidung des Sozialgerichts Marburg. Für Ärzte stellt sich die essenzielle Frage der Kooperationsform. In einer bisher kaum beachteten Entscheidung hat das Sozialgericht Marburg (Az.: S 12 KA 483/13) festgestellt, dass in Praxisgemeinschaft arbeitende Ärzte, die ihre Sprechstundenzeiten aufgrund der geringen Größe der Praxisräume so aufeinander abstimmen, dass jeweils nur ein Arzt anwesend ist, in Wirklichkeit eine Gemeinschaftspraxis betreiben. Die quartalsweisen Garantieerklärungen seien wegen des Gestaltungsmissbrauches unwirksam, die Honorarbescheide seien aufzuheben und ein reduziertes Honorar von der KV mit weitgehendem Schätzungsermessen neu festzusetzen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt waren zwei Ärzte, die offiziell in Praxisgemeinschaft miteinander tätig waren, wegen der erhöhten Anzahl gemeinsam behandelter Patienten auffällig geworden. Bei fachgleichen Praxisgemeinschaften gilt insofern ein Aufgreifkriterium von 20 Prozent gemeinsamer Fälle. Im Rahmen des Prüfverfahrens vor der KV hatte sich herausgestellt, dass die Ärzte die Praxisräume nur jeweils zu unterschiedlichen Zeiten nutzten, es war also stets nur ein Arzt anwesend, sie wechselten sich ab. Das Sozialgericht leitet hieraus Folgendes ab: Wenn aufgrund der Größe der Praxis eine gleichzeitige Berufsausübung beider Ärzte einer Praxisgemeinschaft nicht möglich sei, so folge hieraus zwingend, dass keiner der beiden Ärzte die Sprechstundenzeiten anbieten kann, die eine Praxis im Normalfall anbietet. Insofern sei davon auszugehen, dass der übliche Praxisbetrieb nur durch das Behandeln beider Ärzte aufrecht erhalten werden könne. Eine solche Arbeitsteilung ist nur in der Form einer Berufsausübungsgemeinschaft, also Gemeinschaftspraxis, zulässig. Wenig spezifizierte „übliche Zeiten“ Man kann den grundlegenden Erwägungen des Sozialgerichts wohl nicht widersprechen: Jeder Vertragsarzt ist verpflichtet, Sprechstunden zu den „üblichen Zeiten“ anzubieten. So wenig spezifiziert dieser Begriff der „üblichen Zeiten“ auch ist, so kann man aus ihm doch ableiten, dass die üblichen Praxisöffnungszeiten der meisten Fachgruppen sich auf alle Vormittage von Montag bis Freitag und die Nachmittage, eventuell mit Ausnahme von Mittwoch und Freitag, erstrecken. Zwei Ärzte, die nur jeweils wechselseitig in den Praxisräumen anwesend sein können, können diese Zeiten nicht erreichen. Das „Zur-Verfügung-Stehen während der üblichen Zeiten“ könne also nur – so das Sozialgericht – durch ein abgestimmtes Behandeln beider Ärzte erreicht werden. Dies sei allerdings ein klares Indiz für eine Gemeinschaftspraxis. Die Ärzte könnten den Gefahren einer „Doppelbehandlung“, die sich aus der von ihnen gewählten Organisation ergeben, nur entgehen, wenn sie die jeweiligen Praxen strikt trennen würden. Jeder Arzt dürfte – mit der Ausnahme echter Notfälle – nur Patienten behandeln, die der andere Arzt nicht behandelt. Selbst ein unter dem Aufgreifkriterium von 20 Prozent liegender gemeinsamer Patientenanteil sei, so wiederum das Sozialgericht, bei einer solchen Organisationsstruktur kritisch. Hoch relevant ist die Entscheidung für Haus- und Kinderärzte, die sich in dieser Weise Räume teilen. Die Erkrankungen dieser Fachgebiete führen zu häufigen, unvorhergesehenen Besuchen der Praxis. Der jeweils anwesende Arzt führt die Behandlung durch, bei der nächsten Inanspruchnahme ist aber eventuell nur der andere Arzt anwesend. Strikte Trennung in der Praxis nur schwer umsetzbar Die vom Sozialgericht geforderte strikte Trennung der Praxen dürfte in der Realität nur schwer umsetzbar sein, da die Patientenakzeptanz sehr eingeschränkt sein wird. Betroffene Ärzte sollten also überlegen, ob sie nicht anstatt in Praxisgemeinschaft zukünftig in Gemeinschaftspraxis zusammenarbeiten – falls dies nicht ohnehin schon der Fall ist. Sicherlich ist dies eine Entscheidung, die gut überlegt sein muss. Man sollte sich diesen Überlegungen aber stellen, da das Sozialgericht Marburg in auch feststellt, dass den Ärzten im betroffenen Fall keineswegs ein Mindesthonorar zusteht, welches sie im Fall der ordnungsgemäß genehmigten Gemeinschaftspraxis erhalten hätten. Im Ergebnis reiht sich diese Entscheidung in eine seit Jahren zu beobachtende Haltung der Sozialgerichte ein: Gesellschaftsrechtliche Gestaltungen, die das Ziel einer besseren Abrechnung verfolgen, sind extrem kritisch. Nur wenn alle Voraussetzungen der gewählten Kooperationsform strikt eingehalten werden, besteht vertragsarztrechtlich Sicherheit. Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

Springer Medizin

Praxisgemeinschaft oder Gemeinschaftspraxis? Vorsicht Falle!

Weiterführende Themen

Neu in den Fachgebieten Neurologie und Psychiatrie

Niedriger diastolischer Blutdruck erhöht Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen

Demenzkranke durch Antipsychotika vielfach gefährdet

Parkinson-Therapie im Wandel – aktuelle Leitlinie im Fokus

Weniger postpartale Depressionen nach Esketamin-Einmalgabe