Psychiatr Prax 2006; 33(3): 105-107
DOI: 10.1055/s-2005-915399
Debatte
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pro und Kontra: „Jeder Schizophreniekranke sollte so früh wie möglich behandelt werden”

For and Against: „Every Person with Schizophrenia Should be Treated as Early as Possible”
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Publication Date:
03 April 2006 (online)

Pro

Joachim Klosterkötter

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat aus guten Gründen die Prävention mentaler Störungen zu einer ihrer primären Zielsetzungen für die nächsten Jahre und Jahrzehnte erklärt. Ihr jüngster diesbezüglicher Bericht „Prevention of Mental Disorders - Effective Interventions and Policy Options” listet sieben Störungsgruppen auf, für die sich heute schon Erfolg versprechende Präventionsprogramme umreißen lassen, und führt darunter auch die psychotischen Störungen an [1].

Wie könnte eine solche Programmatik speziell für die Schizophrenien tatsächlich aussehen? Eine universale Prävention, mit der man sich ohne Selektion einfach an die Allgemeinbevölkerung wenden und beispielsweise generelle Verbesserungen der Schwangerschafts- und Geburtsvorsorge anbieten könnte, käme wegen der relativ geringen Bedeutung der damit erreichbaren Krankheitsursachen, etwa der Geburtskomplikationen, nicht in Betracht. Auch eine selektive Prävention, bei der man sich stattdessen auf Bevölkerungsanteile mit erhöhtem Erkrankungsrisiko, etwa in Zukunft identifizierbare Genträger bezöge, würde sich wegen der nur geringen Vorhersagekraft aller bislang bekannten Risikofaktoren für Schizophrenie noch gar nicht verwirklichen lassen. Wenn jedoch zusätzlich zu solchen Risikofaktoren oder auch allein bestimmte Prodromalsymptome auftreten, bei deren Nachweis man einen Psychoseausbruch schon für die Folgejahre mit hoher Treffsicherheit vorhersagen kann, bietet sich schon eher ein Erfolg versprechender Ansatzpunkt für Prävention. Solche Frühwarnzeichen bewirken zudem oft selber schon quälenden Beschwerdedruck und sozial sehr hinderliche Funktionseinbußen, sodass die Betroffenen nach Rat und Hilfe suchen und ein gezieltes Interventionsangebot voll indiziert sein könnte. Nur diesen in der angloamerikanischen Versorgungsforschung- und Gesundheitspolitik schon seit langem fest verankerten Ansatz der indizierten Prävention hat der WHO-Bericht im Blick, wenn er die Schizophrenie mit zu den bereits angehbaren psychischen Störungen zählt. Da auch bei den anderen genannten Gruppen, etwa den depressiven Störungen, Effektivitätsnachweise ganz überwiegend nur für diesen Ansatz vorliegen, täte man sicher gut daran, auch in Deutschland das Konzept der indizierten Prävention viel stärker zur Kenntnis zu nehmen als bisher und darin den ersten gangbaren Schritt auf dem Wege zu einer präventiven Psychiatrie zu sehen.

In den wichtigsten der seit den 90er-Jahren weltweit entstandenen Früherkennungszentren [2] [3], die sich vorrangig auf psychotische Störungen beziehen, wird intensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um Aufmerksamkeit für Risikofaktoren und Frühwarnzeichen sowie die entsprechenden Hilfsangebote zu erzeugen. Kommen Kontaktaufnahmen zustande, gilt es im Zuge subtiler Frühdiagnostik vor allem zu unterscheiden, ob sich die Betroffenen schon in der ersten psychotischen Episode, in einem bereits psychosenahen oder einem noch psychoseferneren Risikozustand befinden. Im ersteren Fall würde man folgerichtig eine adäquate antipsychotische Behandlung empfehlen und hätte damit möglicherweise zu einer Verkürzung der „Duration of Untreated Psychosis (DUP)” in der betreffenden Region beigetragen. Dass derartige DUP-Verkürzungen sinnvoll wären, weil Patienten mit längerer DUP signifikant schlechtere Behandlungs- und psychosoziale Wiedereingliederungsergebnisse aufweisen, kann man nach dem hierfür inzwischen erreichten hochrangigen Evidenzgrad nicht mehr gut in Zweifel ziehen [4]. Danach sollte sicherlich „jeder Schizophrene” so früh wie möglich nach den für Erstepisoden geltenden Leitlinien behandelt werden.

In den genannten Risikozuständen dagegen sind definitionsgemäß noch keine oder noch keine voll ausgeprägten psychotischen Symptome zu erkennen, sodass sich auch psychotische Störungen noch gar nicht diagnostizieren und die Betroffenen erst recht noch nicht als „Schizophrene” einstufen lassen. Eine Erfüllung der sog. „Ultra-High-Risk(UHR)”-Kriterien würde nach den bislang vier diesbezüglich aussagekräftigen Früherkennungsstudien bedeuten, dass bei durchschnittlich knapp 40 % der Betroffenen bereits innerhalb der nächsten zwölf Monate mit dem Ausbruch einer ersten psychotischen Episode zu rechnen wäre. In den ebenfalls vier bisher durchgeführten prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studien zur indizierten Prävention auf dieser Risikostufe kamen kognitive Verhaltenstherapie (KVT) im Einzelverfahren zusammen mit niedrig dosiertem Risperidon [5], Olanzapin in Kombination mit supportiv-psychoedukativer Einzel- und Familienintervention [6], niedrig dosiertes Amisulprid zusammen mit supportiver psychosozialer Intervention [7] sowie einmal auch Einzel-KVT allein [8] zum Einsatz. Zweimal ließ sich in der Tat die Inzidenz erster psychotischer Episoden signifikant reduzieren, einmal verblieb dieser Präventionseffekt auf Trendniveau und die jüngste dieser vier Studien zeigt zwar schon signifikante Verbesserungen der Symptome und der sozialen Anpassung, lässt aber noch keine abschließende Beurteilung hinsichtlich möglicher Präventionseffekte zu.

Der Nachweis der psychosefernen Risikostufe liefe darauf hinaus, dass innerhalb der nächsten 2 - 3 Jahre etwa 50 % der Betroffenen eine erste psychotische Episode entwickeln [3]. Diese Aussagen zur Prädiktionskraft stützen sich bisher nur auf zwei Früherkennungsstudien, von denen die eine allerdings einen durchschnittlich knapp 10-jährigen Verlaufszeitraum überschaute und dementsprechend besonders aussagekräftig war [9]. Umso interessanter und vielversprechender erscheint es jetzt, dass die gerade zum Abschluss gelangende erste hierauf bezogene prospektive, randomisierte und kontrollierte Frühinterventionsstudie rein mit psychologischen Mitteln überzeugende Präventionseffekte erzielen konnte. In der Gruppe, die an einem auf KVT-Basis neu entwickelten multimodalem Programm teilgenommen hatte, sind weniger Übergänge in die psychosennähere Risikostufe erfolgt und vor allem auch signifikant weniger schizophrenieforme und schizophrene Störungen aufgetreten [10].

Insgesamt befindet sich bei dieser Studienlage die indizierte Prävention schizophrener Störungen sicherlich noch im Stadium der wissenschaftlichen Erprobung. Wenn die Entwicklung auf diesem innovativen Gebiet aber weiter so voranschreitet wie bisher, ließen sich schon in den nächsten Jahren evidenzbasierte Ergebnisse in die Versorgungspraxis umsetzen und möglichst jedem Ratsuchenden mit Frühwarnzeichen auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittene Präventionsangebote unterbreiten.

Univ.-Prof. Dr. Joachim Klosterkötter
Klinik und Poliklinik
für Psychiatrie und Psychotherapie
Universität zu Köln
Kerpener Straße 62
50924 Köln
E-mail: joachim.klosterkoetter@uk-koeln.de

Literatur

  • 1 WHO .Prevention of Mental Disorders. Effective Interventions and Policy Options. Summary Report. Geneva; World Health Organization 2005 http://www.who.int/mental_health/evidence/en/Prevention_of_Mental_Disorders.pdf
  • 2 Philipps L J, McGorry P D, Yung A R, McGlashan T H, Cornblatt B, Klosterkötter J. Prepsychotic phase of schizophrenia and related disorders: recent progress and future opportunities.  Br J Psychiatry. 2005;  48, suppl 33-44
  • 3 Ruhrmann S, Schultze-Lutter F, Klosterkötter J. Early detection and intervention in the initial prodromal phase of schizophrenia.  Pharmacopsychiatry. 2003;  suppl 3 162-167
  • 4 Marshall M, Lewis S, Drake R, Jones P, Croudace T. Association between duration of untreated psychosis and outcome in cohorts of first-episode patients.  Arch Gen Psychiatry. 2005;  62 975-983
  • 5 McGorry P D, Yung A R, Philipps L J, Yuen H P, Francey S, Cosgrave E M, Germano D, Bravin J, McDonald T, Blair A, Adlard S, Jackson H. Randomized controlled trial of interventions designed to reduce the risk of progression to first-episode psychosis in a clinical sample with subthreshold symptoms.  Arch Gen Psychiatry. 2002;  59 921-928
  • 6 McGlashan T H, Zipursky R B, Perkins D O, Addington J, Woods S W, Miller T J, Lindborg S, Marquez E, Hawkins K, Hoffmann R E, Tohen M, Breier A. The PRIME North America randomized double-blind clinical trial of olanzapine versus placebo in patients at risk of being prodromally symptomatic for psychosis: I. study rational and design.  Schizophr Res. 2003;  61 7-18
  • 7 Bechdolf A, Ruhrmann S, Wagner M, Kuhn K U, Janssen B, Bottlender R, Wieneke A, Schultze-Lutter F, Maier W, Klosterkötter J. Interventions in the initial prodromal states of psychosis in Germany: Concept and recruitment.  Br J Psychiatry. 2005;  48, suppl 45-48
  • 8 Morrison A P, French P, Walford L, Lewis S W, Kilcommons A, Green J, Parker S, Bentall R P. A randomised controlled trial of early detection and cognitive therapy for the prevention of psychosis in people at ultra-high risk.  Br J Psychiatry. 2004;  185 291-297
  • 9 Klosterkötter J, Hellmich M, Steinmeyer E M, Schultze-Lutter F. Diagnosing schizophrenia in the initial prodromal phase.  Arch Gen Psychiatry. 2001;  58 158-164
  • 10 Bechdolf A, Veith V, Klosterkötter J. Group therapy for people at high risk of developing psychosis. In: Addington, Francey, Morrison (eds) Working with people a high risk of developing psychosis: A treatment handbook. Chichester; John Wiley & Sons, Ltd. 2006
  • 11 Bottlender R, Möller H-J. The impact of the duration of untreated psychosis on short- and long-term outcome in schizophrenia.  Current Opinion in Psychiatry. 2003;  16, Supplement 2 39-43
  • 12 Marshall M, Lewis S, Lockwood A, Drake R, Jones P, Croudace T. Association between duration of untreated psychosis and outcome in cohorts of first-episode patients: a systematic review.  Arch Gen Psychiatry. 2005;  62 (9) 975-983
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