Psychiatr Prax 2006; 33(3): 152
DOI: 10.1055/s-2006-939803
Szene
Buchhinweis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Demenz

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Publication Date:
05 April 2006 (online)

 

Das Angebot an Büchern zum Thema Demenz ist mittlerweile kaum mehr überschaubar. Erfreulicherweise gibt es zu verschiedenen Aspekten und "Schwierigkeitsgraden" solide Literatur. Das vorliegende Buch gehört dazu. Es versucht, einen komprimierten Überblick mit Schwerpunkt auf den häufigen Demenzformen zu geben, gedacht für ein "breites" (nicht nur akademisches?) Fachpublikum.

Die hohe Fachkompetenz der Autorin steht außer Zweifel, Gabriela Stoppe hat sich über Jahre sehr für die Weiterentwicklung der Gerontopsychiatrie engagiert, war dabei um den Brückenschlag zwischen Geriatrie und (Geronto-)Psychiatrie bemüht und hat sich mit der Demenzproblematik nicht nur unter einem verkürzten naturwissenschaftlichen Aspekt beschäftigt, sondern stets auch Versorgungsfragen im Blick gehabt.

Das Buch ist up to date, viele aktuelle Entwicklungen inkl. der offenen Fragen werden verständlich dargestellt (z.B. "Mild Cognitive Impairment", vaskuläre Demenzen, multikausale Demenzgenese im hohen Alter, Demenz und Depression, Unterscheidung zwischen Demenzursachen und -auslösern bzw. Demaskierung), oder zumindest erwähnt (z.B. die Bedeutung von Östrogenen oder Hyperhomozysteinämie). Manche Leser werden mit einigen Akzentsetzungen nicht einverstanden sein (z.B. zur Eigenständigkeit und Häufigkeit der Demenz mit Lewy-Körperchen oder zur Epidemiologie der Demenz bei frontotemporaler lobärer Degeneration). Gut gelungen ist die Diskussion der verschiedenen Aspekte der Behandlung mit Antidementiva, die über das in psychiatrischen Lehrbüchern leider verbreitete "man nehme..." weit hinausgeht; dasselbe gilt für die sorgfältig abwägende Darstellung der heiklen Problematik der medikamentösen Behandlung nichtkognitiver Störungen - hier ist außerdem beachtenswert, dass die nichtpharmakologischen Interventionsmöglichkeit in gleicher Ausführlichkeit kritisch abwägend dargestellt werden. Das umfangreichste Kapitel ist das über die diagnostischen Verfahren (fast 50 von 160 Textseiten, davon fast 30 Seiten Wiedergabe von Ratingskalen zu nichtkognitiven Störungen, die z.T. für die Routineanwendung unter Versorgungsbedingungen zu aufwändig sind, und sieben Seiten Bildgebung); die Darstellung ist kenntnisreich, aber auch komprimiert, sie beschränkt sich z.B. im Hinblick auf die neuropsychologische Untersuchung auf vier Screeningverfahren (MMSE, Uhrentest, DemTect, TFDD). Allemal ist aber eine solche Beschränkung, zumal wenn die Verfahren kenntnisreich und praxisnah kommentiert werden, einer unkommentierten Aneinanderreihung verschiedener Testbatterien vorzuziehen, wie man sie in manchen Büchern findet.

Hervorzuheben ist ein eigenes Kapitel über spezielle Aspekte, die gewöhnlich kaum oder gar keine Berücksichtigung finden, hier aber sehr instruktiv dargestellt werden: Schmerzen, Essen und Ernährung, Inkontinenz und Schlaf. Schließlich verdient das ausführliche Schlusskapitel über Versorgungsfragen besondere Erwähnung, das nicht nur die üblicherweise unter dieser Überschrift abgehandelten Themen (Betreuungsrecht, Unterbringung und Pflegeversicherung) darstellt, sondern sich kenntnisreich und abwägend auch mit pflegenden Angehörigen (Belastungen und Interventionsmöglichkeiten), Fahrtauglichkeit, sowie Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit, aber auch mit dem Problem der Fixierung sowie der Heimübersiedlung auseinandersetzt.

Die Kürze des Buches hat natürlich zur Folge, dass die seltenen Dememzformen nur kursorisch behandelt werden, und diese Knappheit führt mitunter zu missverständlichen Formulierungen, verzerrenden Zitaten und teilweise widersprüchlichen Darstellungen (so z.B. zur Epidemiologie behandelbarer Demenzen - S. 16 - oder zur Klinik der alkoholassoziierten Demenzsyndrome - S. 16/46). Mit der Materie vertraute Leser werden vielleicht verwundert zur Kenntnis nehmen, dass die Autorin sich sehr skeptisch zur diagnostischen Wertigkeit der Liquordiagnostik äußert, nicht hingegen zur Wertigkeit der bildgebenden Diagnostik. Letztere wird sehr ausführlich dargestellt, wobei leider wenig Berücksichtigung findet, dass die beschriebenen speziellen Verfahren so hohe Anforderungen an die Qualifikation der Untersucher und an die Qualität der Untersuchung stellen, wie sie unter den Bedingungen der Regelversorgung nicht zu finden sind. Schließlich mag man beim Lesen über einige Begriffe stolpern: z.B. über den mittlerweile unüblichen der Binswangerschen Erkrankung; auffällig auch, dass zu Beginn von der Demenz vom Lewy-Körperchen-Typ gesprochen wird (korrekt, den Lewy arbeitete bis zur Emigration in Berlin), später aber von der Lewy-Body-Demenz, oder dass manchmal von vaskulären Demenzen die Rede ist (korrekt, handelt es sich doch um eine sehr heterogene Gruppe), meist aber von der vaskulären Demenz.

Wie erwähnt, werden verschiedene Aspekte unterschiedlich ausführlich dargestellt, mancher Leser mag gar den Eindruck einer gewissen Unausgewogenheit gewinnen. Insgesamt aber bietet dass Buch bei aller Kompaktheit in der Darstellung reichlich vielseitige kompetente Information und ist dabei gut lesbar. Den angesprochenen breiten Leserkreis zu erreichen, hilft ein leidlich taugliches Glossar. Gleichwohl wird natürlich Ersteinsteigern, zumal aus nichtmedizinischen Professionen, angesichts der Komplexität der Materie einiges abverlangt - es gibt eben keinen Nürnberger Trichter. Dafür wird aber auch kein pseudowissenschaftliches Halbwissen vermittelt, sondern solide Kost. Das Buch ist für Nicht-Gerontopsychiater als Einstieg in die Demenzthematik zu empfehlen.

Dirk K. Wolter, Münster

Stoppe G. Demenz. München: Ernst Reinhardt Verlag, 2006: 198 Seiten. ISBN 3-8252-2651-4. € 19,90, SFr 34,90.

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