Sprechende Medizin – Gute Kommunikation ist schon die halbe Therapie

Die Placebo- und Noceboforschung zeigt, wie wichtig die kommunikative Komponente der ärztlichen Tätigkeit ist. Wer gut kommuniziert, heilt besser. Und er muss sich mit weniger Nebenwirkungen herumschlagen. Patienten verbringen in Deutschland im Durchschnitt nur wenige Minuten im Behandlungszimmer. Entsprechend kurz ist die Zeit für das Gespräch zwischen Arzt und Patient. Mehr noch: Ärzte unterbrechen ihre Patienten nach durchschnittlich 18 Sekunden zum ersten Mal. Diese Zahl präsentierte Professor Manfred Schedlowski vom Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Universität Essen beim von Springer Medizin und dem Pharma-Unternehmen Berlin-Chemie organisierten Kongress „Apple, Google & Co“ in Berlin. „Wir wissen auch, dass die Hälfte der Patienten die Arztpraxis verlässt, ohne richtig verstanden zu haben, was der Arzt erzählt hat“, so Schedlowski weiter. Insgesamt droht Kommunikation in Arztpraxen zu einem Nebenaspekt zu werden. Das ist nicht nur menschlich fatal, es ist auch medizinisch ungünstig: „Kommunikation hat nachweisbare Wirkungen auf die menschliche Physiologie und kann damit therapeutisch eingesetzt werden“, betonte Schedlowski. Ein Großteil der Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Kommunikation im medizinischen Kontext stammt aus der Placeboforschung. Für den Placeboeffekt werden heute unterschiedliche Faktoren verantwortlich gemacht. Im Zentrum stehen Erwartungshaltungen des Patienten, assoziative Lernvorgänge und Konditionierungsphänomene. Anfällig für den Placeboeffekt ist eine ganze Reihe von physiologischen Systemen. Besonders viele Daten gibt es zu Schmerzen und zu Störungen des motorischen Systems. Medikament wirkt mit Arzt besser als ohne Besonders gut lässt sich die Wirksamkeit des „Medikaments Arzt“ bei der analgetischen Therapie nachweisen. In einer der wichtigsten Studien dazu wurden Patienten nach Operationen mit Metamizol, Ketorolac, Buprenorphin oder Tramadol behandelt. Bei jeweils der Hälfte erfolgten die Injektionen offen, gewissermaßen orchestriert durch den Arzt. Die andere Hälfte der Patienten erhielt exakt die gleiche Dosierung verdeckt. Besonders eindrucksvoll war Metamizol: Hier konnte bei verdeckter Injektion fast gar kein Effekt beobachtet werden, während bei offener Injektion eine deutliche Wirkung eintrat. Selbst bei Buprenorphin war der Unterschied klar nachweisbar (Amanzio M; Pain 2001; 90(3):205-15). „Insgesamt gehen wir bei der Schmerztherapie davon aus, dass bis zu zwei Dritteln der Wirkung psychologische Effekte sind“, betonte Schedlowski. Das Ganze funktioniert auch umgekehrt. Wenn der Arzt ein Schmerzmedikament gegenüber dem Patienten kleinredet, lassen sich die analgetischen Effekte neutralisieren. „Ärztliche Kommunikation wirkt demnach eher nicht additiv zur Substanz, sondern interagiert mit der Medikamentenwirkung“, so Schedlowski. Dazu passt, dass Studien wiederholt gezeigt haben, dass auch ein offen eingesetztes Placebo Wirkungen entfalten kann, wenn der Arzt überzeugend „rüberkommt“. Zuletzt war das in einer in den Medien breit rezipierten Studie zu Rizatriptan bei Migränepatienten gezeigt worden (Kam-Hansen S; Sci Transl Med 2014; 6(218):218ra5). Chemisch „nachgebautes“ Vertrauensverhältnis Einen relevanten Anteil an der Wirkung der ärztlichen Kommunikation dürfte das durch den Arzt aufgebaute Vertrauensverhältnis haben. Darauf deuten nicht nur Studien hin, in denen unterschiedliche Therapien mit und ohne ärztliche Zuwendung appliziert wurden, sondern auch pharmakologische Studien, mit denen ein Vertrauensverhältnis gewissermaßen chemisch nachgebaut wurde. So war die Wirkung einer Placeboanalgesie in einer randomisierten Studie ausgeprägter, wenn 45 Minuten zuvor das (nicht analgetisch wirksame) Wohlfühlhormon Oxytocin intranasal appliziert wurde. In der Kontrollgruppe gab es nur eine intranasale Applikation einer Kochsalzlösung (Kessner S; JAMA 2013; 310(16):1733-35). Dass suboptimale ärztliche Kommunikation im Sinne eines Nocebo-Effekts auch dazu beitragen kann, dass unerwünschte Wirkungen stärker oder überhaupt erst wahrgenommen werden, erstaunt vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nicht. Schedlowski berichtete über eine Finasterid-Studie, bei der nur die Hälfte der Patienten über sexuelle Nebenwirkungen aufgeklärt wurde. In dieser Gruppe war der Anteil der Patienten mit Störungen von Libido oder Erektion deutlich höher. „Die Erwartungen der Patienten sind beeinflussbar. Ärzte sollten die Mechanismen der Placeboantwort in der Arzt-Patienten-Kommunikation nutzen, um die Wirksamkeit und die Verträglichkeit einer Therapie zu optimieren“, betonte Schedlowski. Damit das umsetzbar ist, muss die sprechende Medizin freilich adäquat vergütet werden. Daran hapert es.

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