Erschienen in:
01.10.2015 | Leitthema
Unerwünschte Wachphänomene („Awareness“) während Allgemeinanästhesie
Evidenzbasierter Kenntnisstand, aktuelle Diskussionen und Strategien zu Prävention und Management
verfasst von:
Prof. Dr. P. Bischoff, I. Rundshagen, G. Schneider
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 10/2015
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Zusammenfassung
Unerwünschte Wachzustände während einer Allgemeinanästhesie mit Erinnerung als Folge einer situativ bedingten nichtausreichenden Narkosetiefe wird als sog. Awareness bezeichnet. Inzidenzen und resultierende mögliche Folgeschäden im Sinne eines posttraumatischen Belastungssyndroms (PTBS) sind Gegenstand kontroverser Diskussionen über nunmehr Jahrzehnte.
Studienergebnisse zu Awareness, die nach evidenzbasierten Kriterien (Level 1) eine Prävalenz von 0,1–0,2 % (1–2:1000) betragen, wurden jüngst vom 5. Nationalen Audit Projekt (5th National Audit Project, NAP5) aus Großbritannien/Irland infrage gestellt. Hierzu wurden Patientenberichte bezüglich „Accidental Awareness during General Anaesthaesia“ (AAGA) über monatliche Abfragen öffentlicher Krankenhäuser in einer zentralen Datenbank von über 2,7 Mio. Anästhesien erhoben. Irreführend und unwahrscheinlich erscheinen die postulierten Häufigkeiten für Awareness, die um etwa den Faktor 20 geringer mit „nur“ 1:19.600 (0,005 %) angegeben werden. Mit aller Wahrscheinlichkeit wird NAP5 auf nationale und internationale Kontroversen stoßen, da nicht auszuschließen ist, dass angesichts fehlender strukturierter Interviews nur die „Spitze des Eisbergs“ erfasst und hierdurch die wahre Prävalenz des Problems unterschätzt sowie verharmlost wird. Umgekehrt ist angesichts der Daten aus NAP5 nicht sicher auszuschließen, dass die Erfassung von Awareness mithilfe bisheriger, prospektiver evidenzbasierter Kriterien die wirkliche Prävalenz überschätzt.
Bislang existiert keine offizielle Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) zu dieser Thematik. Der vorliegende Beitrag fasst daher das gegenwärtige Wissen zum Problem Awareness zusammen und legt in der klinischen Routine nutzbare Vermeidungsstrategien dar. Letztlich liegt es in der Verantwortung des einzelnen Anästhesisten, Risikofaktoren zu erkennen und – sofern keine Kontraindikationen vorliegen – die hier dargelegten evidenzbasierten präventiven Strategien einzusetzen, um Awareness und assoziierte Folgeschäden mit großer Wahrscheinlichkeit zu vermeiden.