Zelltherapie bei MS könnte klappen

Hamburger Forscher haben erstmals in einer kleinen Studie MS-Patienten mit einer speziellen Zelltherapie behandelt. Offenbar ist es ihnen dabei gelungen, eine gewisse Immuntoleranz zu induzieren und die Schubzahl zu senken. Es ist ein Versuch, der hoffen lässt, eine MS kann eines Tages vielleicht auch ohne größere medikamentöse Eingriffe in das Immunsystem gebremst oder gar gestoppt werden. Zumindest einige der Patienten, die Hamburger Forscher mit körpereigenen, extrakorporal veränderten Leukozyten behandelt haben, scheinen von der Therapie zu profitieren. In der Studie ETIMS (Etablierte Toleranz bei MS) haben Wissenschaftler um Professor Roland Martin vom Institut für Neuroimmunologie und klinische Multiple-Sklerose-Forschung der Universität Hamburg den Patienten per Leukozytapherese zunächst weiße Blutkörperchen entnommen. Diese wurden dann im Labor mit den MS-spezifischen Antigenen gekoppelt, gegen die ihr Immunsystem Autoantikörper entwickelt hatte. Dazu zählten verschiedene Abschnitte des Mylein-Basisproteins (MBP), des Myelin-Oligodendrozyten-Glykoproteins (MOG) und des Proteolipid-Proteins (PLP). Insgesamt wurden sieben solcher Peptide verwendet. Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie war, dass die Patienten eine T-Zell-Antwort gegen mindestens eines der Peptide zeigten. Bei allen Patienten wurden aber alle sieben Peptide verwendet. Damit sollte präventiv eine Immuntoleranz gegen andere häufige MS-Antigene induziert werden, da es bei MS im Laufe der Erkrankung oft zu einem sogenannten „Epitop-Spreading“ kommt: Das beschädigte Myelin induziert eine Autoimmunantwort gegen weitere Peptide, was zum Teil die Rückfälle bei MS erklärt. Leukozyten als Trojanische Pferde Um die Peptide an Leukozyten zu koppeln, verwendeten die Forscher eine bestimmte Chemikalie (EDC). Anschließen erhielten die Patienten die eigenen peptidgekoppelten Zellen in unterschiedlichen Dosierungen bis zu einer Maximaldosis von 3 x 109 Zellen reinfundiert. Durch die Kopplung der Peptide an Blutzellen soll ein natürlicher, Immuntoleranz induzierender Prozess nachgeahmt werden: Sterben Blutzellen ab und werden von Phagozyten gefressen, nehmen diese die freiwerdenden Peptide als körpereigen war. Die Leukozyten dienten den Forschern daher als eine Art Trojanisches Pferd, um dem Immunsystem eine Toleranz gegen Myelinproteine anzutrainieren. Diese Strategie hatte zuvor bereits in Tiermodellen mit Autoimmunerkrankungen gute Ergebnisse geliefert. Keine therapierelevanten Nebenwirkungen Von den neun Patienten hatten sieben eine schubförmige MS, zwei eine sekundär progressive Erkrankung. Alle erhielten während der Studie keine MS-Standardtherapeutika. Die Therapie – eine einzige Infusion mit den autologen Zellen – wurde insgesamt gut vertragen. Bis auf apherese- und infusionsbedingte Beschwerden wurden keine therapiebezogenen Nebenwirkungen beobachtet, auch zeigten Blutuntersuchungen keine Verschiebung im Verhältnis der einzelnen Leukozytenpopulationen. Die ersten sechs Patienten hatten vor Therapiebeginn eine relativ niedrige Krankheitsaktivität mit keinem bis einem Schub in den vergangenen zwölf Monaten. Hier kam es in den ersten drei Monaten nach der Infusion bei keinem der Patienten zu neuen Schüben oder neuen T2-Läsionen, allerdings entwickelten zwei der Patienten vier bis sechs Monate nach der Infusion einen Schub. Die letzten drei Patienten hatten eine recht hohe Krankheitsaktivität vor Therapiebeginn mit bis zu vier Schüben pro Jahr. Von diesen Patienten, die die höchsten Zelldosierungen bekamen, entwickelten zwei jeweils einen Schub in den ersten drei Monaten, danach traten aber bei keinem dieser drei Patienten neue Schübe auf. Insgesamt deutete sich bei diesen Patienten eine Schubreduktion an. T-Zellen wurden gezähmt Dies spiegelte sich auch bei der T-Zell-Antwort wider: Die T-Zellen der ersten fünf Patienten mit relativ niedrigen therapeutischen Dosen ließen sich nur wenig beeindrucken, sie reagierten auch weiterhin auf die jeweiligen Myelinpeptide. Nicht so jedoch bei den Patienten sechs bis neun: Hier war die T-Zell-Antwort auf einen Antigen-Stimulus deutlich abgeschwächt, was als Zeichen einer Immuntoleranz verstanden werden kann. Die Forscher um Martin vermuten, dass eine weitere Dosissteigerung vermutlich gefahrlos möglich ist, auch sei in weiteren Studien eine wiederholte Infusion mit autologen Zellen nach einigen Monaten zu prüfen. Die Befürchtung, dass die Therapie MS-Schübe auslöse, lasse sich zwar nicht hundertprozentig widerlegen, die insgesamt zwei beobachteten Schübe in den drei Monaten nach der Therapie zeigten jedoch keine besonderen Auffälligkeiten, so sei es dabei nicht zu einem Anstieg der myelinspezifischen T-Zellen gekommen. Dies wäre aber bei therapieinduzierten Schüben zu erwarten gewesen. Die Arbeitsgruppe um Martin, der inzwischen mit einem Teil seines Teams ans Universitätsspital Zürich gewechselt ist, plant nun eine Phase-II-Studie, um die Wirksamkeit der neuen Behandlung auf den Krankheitsverlauf von MS-Patienten zu prüfen. Sollte sich der Nutzen der Therapie bestätigen, gilt das Verfahren auch als Option bei Autoimmunerkrankungen, in der Transplantationsmedizin sowie gegen Allergien.

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