Erschienen in:
01.12.2012 | Festvortrag
Zur Komplexität der ethischen Realität: Am Beispiel von Nierenspende und -transplantation. Festvortrag zur AEM-Jahrestagung, 2. September 2010, Zürich
verfasst von:
Prof. Dr. Farhat Moazam, M.D., FACS
Erschienen in:
Ethik in der Medizin
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Ausgabe 4/2012
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Auszug
Als Ärztin, genauer gesagt, Fachärztin für Kinderchirurgie, betrachte ich die medizinische Praxis und Medizinethik wie durch eine Bifokalbrille. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass ich das Fachgebiet der Chirurgie fast ebenso viele Jahre in Pakistan wie in den USA studiert und praktiziert habe. Medizinerinnen und Mediziner werden oft als Verfechter einer bestimmten „Orthodoxie“ gesehen. Demnach glauben wir an formelle Konzepte, kühle Beobachtung und eine rationale Objektivität – und wir sind auf der Suche nach universalen Tatsachen. Wir haben also einiges gemein mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Philosophie. Die medizinische Praxis spielt sich in der Realität allerdings in einem Umfeld ab, das von Arthur Kleinman als „lokale moralische Welten“ bezeichnet wird. Denn selbst wenn die Biomedizin der Sachlage nach eindeutig und universell ist, findet sie ihre praktische Anwendung doch im Zusammenhang mit den jeweils besonderen individuellen Krankheitserfahrungen und den emotionalen Empfindungen, Werten und Glaubenssätzen, mit denen der Mensch versucht, mit Leid und Tod umzugehen. Ärzte, Patienten und deren Familien sind feste Bestandteile dieser Welten – sie formen sie und werden ihrerseits von ihnen geformt. …