Vom Altertum bis 1889
Erstmals 1550 v. Chr. wurde auf einer ägyptischen Schriftrolle, dem Papyrus Ebers, eine Krankheit angesprochen, welche mit vermehrter Harnausscheidung einherging, und im 6. Jahrhundert v. Chr. erwähnte der Inder Sushruta Diabetes, indem er erstmals klebrigen, süßlichen Urin beschrieb, der Ameisen und Insekten anlockt. Bis ins 19. Jahrhundert jedoch war sehr wenig über diese Krankheit bekannt.
Claude Bernard (1813–78) beschrieb die Kohlenhydratverdauung und Glykogenspeicherung, und 1869 entdeckte ein junger Arzt mit dem Namen Paul Langerhans im Rahmen seiner Dissertation inselähnliche Gebilde in der Bauchspeicheldrüse. Einige Jahre später (1889) erzeugten Joseph Freiherr von Mehring und Oskar Minkowski erstmals experimentell Diabetes mellitus bei Hunden durch Entfernung der Bauchspeicheldrüse. Wie das Pankreas aber einen Diabetes verhinderte, wurde erst im nächsten Jahrhundert entdeckt.
Therapie des Diabetes mellitus Typ 1 – von 1922–2015
Entdeckung des Insulins
Der kanadische Chirurg Frederick Grant Banting beschloss um 1920, sich der Erforschung des Diabetes zu widmen, weil gerade ein Jugendfreund an dieser Erkrankung verstorben war. Da er kein Geld für Forschung hatte, wandte er sich an den Physiologen John James Richard McLeod an der Universität von Toronto. Dieser stellte ihm ein Labor und einen seiner Studenten, Charles Herbert Best, als Mitarbeiter zur Verfügung. Es gelang ihnen mit Hilfe des Biochemikers Collip, aus der Bauchspeicheldrüse einen Hormonextrakt, welchen sie Isletin nannten, zu extrahieren und damit Marjorie, einen diabetischen Hund (nach Pankreatektomie), erfolgreich zu behandeln. Allerdings stellte bereits 1916 der Ungar Nicolae Paulescu aus Inselzellen von Rinder-Bauchspeicheldrüsen ein wässriges Extrakt her. Mit diesem „Pankrein“, wie er es nannte, behandelte er gesunde und zuckerkranke Hunde und fasste seine Beobachtungen 1921 auf Französisch in einem renommierten Fachblatt zusammen und liess am 10. April 1922 sein Herstellungsverfahren beim Ministerium für Industrie und Handel in Bukarest patentieren (Nummer 6254). Die Kanadier kannten Peaulescus Experimente, wiederholten seine Versuche und kamen zu den gleichen Ergebnissen. Sie zitierten seine Arbeit aber falsch. In der Folge wurde Paulescu beim Nobelpreis 1923 übergangen.
Am 11. Januar 1922 erhielt dann bereits der erste Patient mit Diabetes mellitus Typ 1, Leonard Thompson, damals bis zum Skelett abgemagert, eine Insulininjektion. Der Pankreasextrakt war noch nicht so konzentriert und senkte den Blutzucker nicht so stark, wie man gehofft hatte. Am 23. Januar erhielt der Patient eine weitere Injektion mit einem stärker gereinigten Extrakt. Sein Blutzuckerspiegel sank von 29 auf 7 mmol/l (von 520 auf 126 mg/dl) ab. Damals wurden 5–10 ml Extrakt in den Muskel gespritzt. Die Präparationen waren nach heutigem Verständnis schlecht gereinigt, und Schmerz und Abszesse an der Einstichstelle waren eine häufige Folge.
Das erste isolierte Insulin der Firma Lilly mit dem Namen Iletin kam schließlich 1923 auf den Markt, und 1 Jahr später wurde die erste speziell für Insulin adaptierte Spritze von Becton Dickinson hergestellt (die Plastikspritze folgte erst 1961).
Das erste isolierte Insulin kam 1923 auf den Markt
Im Jahr 1936 entwickelte der Däne Hans-Christian Hagedorn das erste sog. Verzögerunginsulin mit Protamin-Zink-Zusatz, und 1946 wurde Neutral-Protamin-Hagedorn-Insulin (NPH-Insulin) mit dem Namen Insulatard auf den Markt gebracht, welches auch mit dem schnell wirksamen Insulin Actrapid gemischt werden konnte. So wurde zum ersten Mal seit der Entdeckung von Insulin das klassische oder auch konventionelle 2-Spritzen-Schema möglich, mit einer Mischung von kurz und lang wirksamen Insulinen. Gentechnologisch wurde Insulin erstmals 1979 von David Goeddel hergestellt und 1983 auf den Markt gebracht. Damit war die Gefahr gebannt, dass eines Tages nicht mehr genügend Insulin für alle Patienten mit Diabetes zur Verfügung stehen würde, wenn nur auf Pankreasextrakte zurückgegriffen werden müsste.
Diabetische Folgekomplikationen und Hämoglobin Typ A1c
Mit der Entdeckung von Insulin dachte man vorerst, den Diabetes „geheilt“ zu haben. Man konnte zwar die Lebenserwartung eines Kindes, welches an einem Typ-1-Diabetes litt, dramatisch steigern, aber in den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurden zum ersten Mal die klassischen Folgekomplikationen des Diabetes mellitus beobachtet. Dr. Samuel Rehbar in Teheran entdeckte 1968 das verzuckerte Hämoglobin, das HbA1c (Hämoglobin Typ A1c). Er stellte fest, dass dessen Konzentration bei Patienten mit Diabetes mellitus auf das Doppelte bis Dreifache des normalen Wertes erhöht war. Jean Pirart war der Erste, der 1977/78 anhand von 4400 eigenen Patienten aufzeigen konnte, dass die typischen mikrovaskulären Folgeerkrankungen von der Blutzuckereinstellung abhängig waren. Aber erst mit der DCC-Studie (DCCT: „diabetes control and complications trial“), in welcher als erster großer Studie das HbA1c als Zielgröße verwendet wurde, wurde 1993 der eindeutige Zusammenhang zwischen der Blutzuckereinstellung und dem Auftreten von Folgekomplikationen beim Typ-1-Diabetes nachgewiesen. In dieser Arbeit zeigte sich aber auch ein reziproker Zusammenhang zwischen der Reduktion des durchschnittlichen Blutzuckerwertes und dem Risiko für schwere Hypoglykämien.
Heute kommt es trotz „moderner“ Therapien bei etwa 10 % aller Patienten mit Typ-1-Diabetes zu schweren Hypoglykämien. Um den Blutzuckerspiegel im Zielbereich halten zu können, sind jedoch genauere Methoden zu dessen Abschätzung unverzichtbar.
Urin- und Blutzuckermessung
Der amerikanische Arzt Stanley Rossiter Benedict entdeckte 1907 einen Test, mit dem erstmals Zucker im Urin nachgewiesen werden konnte. Diese Probe wurde bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts von Patienten durchgeführt und der Urin mit diesem Reagens im Wasserbad 5 min gekocht, obwohl Bayer schon 1941 den Clinitest entdeckt hatte, bei welchem nur noch eine Tablette zum Urin gegeben werden musste und nach dem automatischen Kochen das Resultat anhand der Farbe abgelesen werden konnte.
Erst 1965 wurde in den USA der Dextrostix und in Europa der Hämoglukotest entwickelt. Dies löste weltweit eine kontroverse Diskussion unter Diabetologen aus, ob ein Patient mit Diabetes wirklich seinen Blutzuckerspiegel selbst testen soll. Die Ärzte rieten zunächst ab, diesen Test zu gebrauchen. In den 1970er-Jahren gewann die Blutzuckerselbstmessung durch den Patienten immer mehr an Bedeutung, und die ersten digitalen Blutzuckermessgeräte zur Selbstmessung kamen 1980 auf den Markt. Inzwischen kann man sich die Therapie des Diabetes ohne die Blutzuckermessungen des Patienten gar nicht mehr vorstellen. Kurz vor Ende des 20. Jahrhunderts (1999) entwickelte die Firma Medtronic einen Sensor für die kontinuierliche Blutzuckermessung (CGMS: „continous glucose monitoring system“).
Der lange Weg zum β-Zell-Ersatz
Das Insulin wurde 1922 entdeckt, und bis heute wurden viele neue Insuline entwickelt, welche weniger Variabilität aufwiesen und die Hypoglykämien reduzierten. Pickup und sein Team begannen 1976 mit der Entwicklung einer kontinuierlichen subkutanen Insulininfusion (CSII), der heute bekannten Insulinpumpentherapie. Die Grundlage bildete eine neu entwickelte batteriebetriebene Spritzenpumpe namens „Mill-Hill Infusor”, welche in der Lage war, rund um die Uhr Insulin abzugeben. Ab den 1990er-Jahren gewann die Insulinpumpentherapie immer mehr an Anerkennung.
Der biologische Ersatz der β-Zelle wurde 1966 mit der ersten Pankreastransplantation durch William Kelly und Richard Lillehei in Minneapolis realisiert. David Sutherland führte 1974 die erste Inseltransplantation bei Patienten mit Typ-1-Diabetes durch. Die Pankreastransplantation etablierte sich mit weltweit über 40.000 Transplantationen als Therapieform für wenige, ausgewählte Patienten, meist zusammen mit einer Nierentransplantation, während sich die Inseltransplantation erst nach dem Jahr 2000 zu einer anerkannten Therapieform entwickelte, welche allerdings erst in wenigen Ländern als Pflichtleistung der Krankenkassen übernommen wird.
Der biologische Ersatz der β-Zelle wurde erstmals 1966 realisiert
In diesem Sonderheft wird mit 6 Beiträgen aus Deutschland und der Schweiz der heutige Stand des Wissens in Bezug auf den β-Zell-Ersatz beschrieben. Der erste Beitrag dieses Sonderheftes zeigt den Stellenwert und die Indikationen der Pankreastransplantation (Christian Oberkoffler und Oliver DeRougement), während im zweiten Beitrag von Philipp Gerber und Roger Lehmann die heutigen Zielsetzungen, Indikationen und die Langzeitresultate der Inseltransplantation beschrieben werden.
Da die geringe Organspenderrate der limitierende Faktor des biologischen β-Zell-Ersatzes ist, können aktuell nur 1–2 % aller Patienten mit schweren Hypoglykämien von dieser Therapieform profitieren. Es ist deshalb verständlich, dass im 21. Jahrhundert andere Wege gesucht werden, den Diabetes mellitus durch Zellersatztherapie zu behandeln. Die Autoren Günter Päth und Jochen Seufert beleuchten das Potenzial und die Gefahren des Einsatzes von Stammzellen im Rahmen der β-Zell-Ersatz-Therapie, und Barbara Ludwig zeigt die Möglichkeiten eines bioartifiziellen künstlichen Pankreas auf. Wichtige Fortschritte wurden auch in der Entwicklung des sog. künstlichen Pankreas ohne biologische β-Zellen erzielt. Erst das Aufkommen der kontinuierlichen Blutzuckermessung (CGMS) gegen Ende des 20. Jahrhunderts machte dessen Entwicklung überhaupt möglich. Thorsten Siegmund und Andreas Thomas beschreiben in ihrem Beitrag dessen Entwicklungsstand („closed-loop“). Die erste Stufe des sog. „closed-loop“ ist heute bereits kommerziell erhältlich, nämlich die prädiktive Hypoglykämieerkennung und das Abschalten der Insulinpumpe bei einer sich abzeichnenden Hypoglykämie im Rahmen der sensorunterstützten Insulinpumpentherapie (SuP). Damit sollten, falls der Patient keine größeren Dosierungsfehler macht, Hypoglykämien gänzlich vermieden werden können. Damit wird aber auch eine Schwachstelle dieser Technologie demaskiert: Falls der Patient die Kohlenhydratmenge einer Mahlzeit nicht richtig schätzen oder berechnen kann, wird er auch die notwendige Insulindosierung für diese Kohlenhydratmenge falsch einschätzen. Diesem Problem widmet sich der letzte Beitrag dieses Sonderheftes und zwar in der Rubrik „Im Fokus“, in dem die Forschungsgruppe aus Bern zeigt, was sehr bald möglich sein sollte: Die Mahlzeit wird auf einem Teller mit einem Smartphone fotografiert, und die GoCarb-Applikation identifiziert mit Hilfe einer Datenbank mit vielen Fotografien und Daten zur Kohlenhydratmenge die Art und Menge der Kohlenhydrate in der fotografierten Mahlzeit. Aufgrund des aktuellen Blutzuckerspiegels und der berechneten Kohlenhydratmenge kann die notwendige Insulindosis bestimmt werden. Somit müsste ein künstliches Pankreas nur noch in der Lage sein, bei körperlicher Aktivität die Insulinmenge genügend zu drosseln, um Hypoglykämien zu vermeiden und erhöhte Blutzuckerwerte automatisch auszugleichen.