Erschienen in:
16.09.2021 | Allgemeinanästhesie | Leitthema
175 Jahre Anästhesie und Narkose – Auf dem Weg zu einem „Menschenrecht auf Ohnmacht“
verfasst von:
Prof. Dr. K. Lewandowski, B. Kretschmer, K. W. Schmidt
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 10/2021
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Zusammenfassung
Der „Äthertag“, ein Schlüsselmoment in der Geschichte der Menschheit, jährt sich am 16. Oktober 2021 zum 175. Mal. Nachdem der Zahnarzt William T. G. Morton in Boston die erste erfolgreiche öffentliche Äthernarkose gegeben hatte, schien es von nun an möglich, Menschen mit vertretbarem Risiko vor Schmerz zu bewahren und gleichzeitig durch die Induktion von Bewusstlosigkeit vor psychischen Folgeschäden zu schützen. Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht von einem „Recht auf Nicht-Dabei-Sein-Müssen“, das die Anästhesie dem Menschen seit 1846 ermöglicht, und leitet daraus „gewissermaßen ein Menschenrecht auf Ohnmacht“ ab. Die Umsetzung dieser Idee liegt jedoch in weiter Ferne. Zum einen fehlt in vielen Ländern in großer Zahl qualifiziertes Personal, um selbst Narkosen für lebensnotwendige Operationen durchführen zu können. Zum anderen ist über Jahrzehnte klar geworden, dass die Anästhesie für die Menschheit nicht nur segensreich ist, sondern auch ihre „dunkle Seite“ zeigen kann: Substanzmissbrauch, Einsatz von Anästhetika bei Folterungen und Hinrichtungen. Zudem ist der Stellenwert der Anästhetika bei Wiederbelebungsmaßnahmen, in der Palliativmedizin und zur Erleichterung von Hinrichtungen unklar oder umstritten. Letztlich sind auch die erforderlichen förmlichen Schritte zur (völker)rechtlichen Anerkennung eines „Menschenrechts auf Ohnmacht“ bislang nicht vollzogen worden.