Erfolg mit Tripeptid gegen Rett-Syndrom

Hoffnung für Menschen mit Rett-Syndrom. Mit dem neuen Wirkstoff Trofinetid konnten Behandelnde in einer Phase-3-Studie sowohl die Symptomatik lindern als auch den klinischen Gesamteindruck der Betroffenen verbessern. Allerdings sind die Effektstärken eher gering. Es könnte das erste spezifische Medikament für Patienten mit Rett-Syndrom* werden: Auf dem virtuellen Kongress der amerikanischen Neurologengesellschaft AAN haben Forscher Resultate eine Phase-3-Studie mit dem Wirkstoff Trofinetid vorgestellt. Dieser konnte die Symptomatik von Patienten mit der X-chromosomal bedingten Entwicklungsstörung im Vergleich zu Placebo signifikant lindern und den klinischen Gesamteindruck deutlich verbessern. Bei Trofinetid handelt es sich um ein Glycin-Prolin-Glutamat-Tripeptid basierend auf dem aminoterminalen Ende des Wachstumsfaktors IGF-1. Das Tripeptid vermittelt viele der IGF-1-Funktionen. So ließen sich damit in Tierversuchen die synaptische Langzeitpotenzierung und das Dendritenwachstum verstärken. Zudem scheint die Substanz die Wirkung proinflammatorischer Zytokine zu dämpfen und pathologische Aktivitäten von Astrozyten und Mikroglia zu unterbinden. Diese Effekte macht das Peptid auch als Therapeutikum bei Rett-Syndrom interessant. Um die pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern, haben Forscher die Aminsoäure Prolin des Peptids mit einer Methylgruppe versehen, dadurch wird unter anderem die Halbwertszeit verlängert, erläuterte Dr. Jeffrey Neul, Direktor des Vanderbilt Kennedy Center an der Universität Nashville. In einem Rett-Maus-Modell konnten Forscher mit Trofinetid die Lebenszeit der Tiere um etwa ein Drittel verlängern, die motorische Aktivität verbessern und das Hirngewicht erhöhen. In einer 2015 vorgestellten Phase-2-Studie mit 56 Frauen im Alter von 16 bis 44 ergaben sich unter einer Dosis von 70 mg/kg zweimal täglich signifikante motorische Verbesserungen, auch konnten Ärzte einen besseren klinischen Gesamteindruck nach vier Wochen Therapie erkennen. Studie mit jüngeren Patienten An der nun vorgestellten Phase-3-Studie LAVENDER nahmen deutlich jüngere Patienten teil – bei ihnen erhofft man sich noch größere Therapieeffekte. Die 187 Teilnehmer mussten zwischen 5 und 20 Jahren alt sein, mindestens 12 kg wiegen, eine Mutation im Gen MeCP2 aufweisen und eine moderate bis schwere Symptomatik mit medikamentös kontrollierten epileptischen Anfällen zeigen. Im Schnitt waren die Patienten elf Jahre alt, knapp die Hälfte hatte eine Epilepsie, drei Viertel litten unter Verstopfung. Die eine Hälfte bekam über zwölf Wochen hinweg zweimal täglich eine Lösung mit Trofinetid, die andere Hälfte mit Placebo. Als primären Endpunkt wählten die Ärzte Veränderungen des Rett Syndrome Behaviour Questionnaire (RSBQ) sowie des klinischen Gesamteindrucks (GCI-I). Der RSBQ umfasst 45 Fragen zu Verhalten und Symptomatik mit einer Bewertung von je 0–2 Punkten. Er wird von den Pflegepersonen ausgefüllt, der GCI-I mit maximal 7 Punkten von den betreuenden Ärzten. Zu Beginn hatten rund 80% der Patienten RSBQ-Werte von über 35 Punkten. Mit Trofinetid sank der Wert im Mittel um 5,1 Punkte, mit Placebo um 1,7 Punkte. Der Unterschied war statistisch signifikant, die Effektstärke von 0,37 (Cohen’s d) aber relativ gering. Verbesserungen bei Stimmung und Motorik Nach zwölf Wochen ergab sich unter Trofinetid mit einem CGI-I-Wert von 3,5 Punkten ebenfalls eine stärkere Verbesserung als unter Placebo (3,8 Punkte), die Differenz zugunsten des Tripeptids erwies sich wiederum als statistisch signifikant, die Effektstärke beziffern die Neurologen um Neul auf 0,47. Im zeitlichen Verlauf traten in den ersten beiden Wochen sowohl im Placebo- als auch im Verumarm deutliche Verbesserungen auf, unter Placebo fielen die Patienten bis zum Studienende jedoch wieder auf die Ausgangswerte zurück, wohingegen die Verbesserungen unter Trofinetid persistierten. Ein Vorteil der Medikation war tendenziell in allen RSBQ-Subskalen zu erkennen: So verbesserten sich mit Trofinetid Stimmung, Handbewegungen sowie das Geh- und Stehvermögen, zudem gingen Ängste, Atemprobleme und stereotype Bewegungen stärker zurück als unter Placebo. Das Tripeptid schien zudem über alle Altersgruppen und Schweregrade hinweg ähnlich gut zu wirken. Schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppe ähnlich häufig auf (bei jeweils 3%), 2% mit Placebo und 17% mit Trofinetid brachen die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen vorzeitig ab. Deutlich häufiger als unter Placebo kam es mit der Tripeptid zu Durchfall und Erbrechen. Die FDA-Zulassung für Trofinetid ist mittlerweile beantragt. Mit Blarcamesin, einem Sigma-1-Rezeptor-Agonisten, wird derzeit ein weiteres Medikament gegen das Rett-Syndrom geprüft. *Rett-Syndrom Etwa eines von 10.000 bis 15.000 Mädchen wird mit einem Defekt im Gen für das Methyl-CpG-Binding Protein 2 (MeCP2) geboren. MeCP2 bindet an methylierte CpG-Inseln und unterdrückt auf diese Weise die Transkription verschiedener Gene. Auch andere Gendefekte können ein Rett-Syndrom auslösen, zu 95% ist aber eine Mutation im MeCP2-Gen die Ursache. In den ersten 6–18 Lebensmonaten verläuft die Entwicklung weitgehend normal, dann folgt ein Stillstand und zum Teil wieder ein Verlust der bereits erlernten Fähigkeiten. Sprache und kognitiven Fähigkeiten entwickeln sich oft nur rudimentär, das Schädelwachstum verzögert sich. Charakteristisch sind stereotype Handbewegungen, ein normaler Gebrauch der Hände ist oft nicht möglich. Etwa 80% entwickeln epileptische Anfälle und motorische Beeinträchtigungen, die eine dauerhafte Pflege notwendig machen. Quelle: American Academy of Neurology (AAN) 2022 Annual Meeting Virtual Experience, April 24–26. PL3 Clinical trial Plenary Session. Jeffrey Neul: Efficacy and Safety of Trofinetide for the Treatment of Rett Syndrome: Results From the Pivotal Phase 3 LAVENDER Study. Empfehlung der Redaktion AAN 2022 Kongressdossier zum Annual Meeting der American Academy of Neurology Die aktuelle Berichterstattung zum 74. Annual Meeting der American Academy of Neurology (AAN) in Seattle finden Sie in unserem Kongressdossier. Darin: Neue Therapieansätze für das Rett-Syndrom, Myasthenia Gravis und MS. Und: Vier Fälle zeigen die diagnostischen Herausforderungen demenzieller Erkrankungen.

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