Zukünftige Therapien der Hepatitis B und D

Bei der Mehrzahl der in Deutschland lebenden HBeAg-negativen Patienten ist die NUC-Therapie eine Dauerbehandlung. Zu einer Ausheilung im Sinne einer Eradikation kommt es bei der Hepatitis B dagegen nicht. Dennoch bleibt der HBsAg-Verlust bei limitierter Therapiedauer das Ziel der klinischen Entwicklung. Überblick Die chronische Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) kann bislang sehr gut durch die tägliche Gabe von Nukleos(t)idanaloga (NUC) kontrolliert werden. Das Fortschreiten der Erkrankung zu leberrelevanten Komplikationen wie Zirrhoseentwicklung und dem Auftreten eines hepatozellulären Karzinoms (HCC) wird so zumeist unterdrückt. Es kommt allerdings nur sehr selten zum Verlust des viralen Markers HBs-Antigen (HBsAg), der die immunologische Kontrolle der Erkrankung anzeigt und es ermöglicht, die Medikamente abzusetzen; insbesondere bei der Mehrzahl der in Deutschland lebenden HBeAg-negativen Patienten ist die NUC-Therapie eine Dauerbehandlung. Zu einer Ausheilung im Sinne einer Eradikation kommt es bei der Hepatitis B dagegen nicht, und dies wird, soweit derzeit absehbar, auch mit den weiter unten diskutierten neuen Substanzen nicht geschehen. Dennoch bleibt der HBsAg-Verlust bei limitierter Therapiedauer das Ziel der klinischen Entwicklung. Hierzu sind verschiedene neue Substanzklassen neben den NUC etabliert worden, die derzeit in unterschiedlichen Kombinationen bis einschließlich Phase II evaluiert werden. Im Vergleich zur EASL-Tagung 2019 wurden auf dem AASLD 2019 in Boston weitere Kombinationstherapien als duale Therapien gezeigt, in simultaner Gabe oder auch als Add-on-Strategien. Erstmalig wurden auch klinische Interimsergebnisse zu einer Dreifachkombinationstherapie präsentiert. Weiterhin wurden zu einigen Wirkstoffklassen bereits Substanzen der zweiten Generation vorgestellt. An dieser Stelle sei die CRISPR-Technik nur erwähnt, aber nicht näher vorgestellt, bei der ein Gen-Silencing des viralen HBV-s-Gens im Mittelpunkt steht (1), sowie der Einsatz von Farnesoid X receptor (FXR)-Agonisten bei der Hepatitis B (2), die bereits für anderen Indikationen entwickelt werden. Bei NUC-vortherapierten, virussupprimierten Patienten kann eine Add-on-Strategie nur schwer den zusätzlichen Therapieerfolg neuer Substanzen jenseits eines HBsAg-Verlusts aufzeigen kann. Parallel wurden daher einige wichtige Arbeiten zu möglichen Surrogatparametern der viralen Matrize cccDNA und ihrer transkriptionellen Aktivität gezeigt. Im Fokus stehen hier die Marker HBV-core-related-Antigen (HBcrAg) und die verschiedenen HBV-RNA-Formen. Das Hepatitis-B-Virus integriert zudem linearisierte Doppelstrang-DNA in das Wirtsgenom, und unter bestimmten Umständen scheint hierüber sogar eine gewisse Produktion von HBsAg möglich zu sein, insbesondere bei HBeAg-negativen Patienten – der Umfang der Integrationen und der HBsAg-Produktion in chronisch infizierten Patienten sind aber bislang nicht gut charakterisiert. Damit würde jedoch ein HBsAg-Verlust als alleiniger Endpunkt, insbesondere bei HBeAg-negativen Patienten, unzulänglich sein, die Produktion des viralen Antigens könnte ja unabhängig von der transkriptionellen Aktivität der cccDNA stattfinden. Dies würde die Interpretation einer therapeutischen Antwort deutlich erschweren, etwa indem neue Medikamentenkombinationen bezüglich des HBsAg-Verlusts falsch-negativ beurteilt werden. Dieser Aspekt wird nunmehr von den allermeisten Ärzten und Biologen akzeptiert. Insgesamt gibt es ein großes Interesse der pharmazeutischen Industrie zur Entwicklung von neuen Substanzen für die chronische Hepatitis B, was auch an der Breite der dargestellten Studien abzulesen ist. Auch für die Koinfektion mit Hepatitis D wurden beim AASLD 2019 mehrere Studien zu Wirkstoffkombinationen präsentiert. Wenn die Hepatitis D auch in Deutschland nur sehr selten vorkommt, so stellt sie doch in Kombination mit der Hepatitis B die aggressivste Form der Virushepatitis dar. Junge Patienten weisen oft bereits bei Erstvorstellung erhebliche Leberparenchymschäden mit einem konsekutiv sehr hohen Risiko für Dekompensation und HCC auf. Direkt antiviral vs. Immunmodulatoren: Übersicht der neuen Substanzen Bei der diesjährigen AASLD-Tagung konnte man ein deutliches Übergewicht von Studien zu direkt antiviralen Substanzen für die HBV-Therapie beobachten. Ins Hintertreffen geraten sind dagegen die immunologisch wirksamen Entwicklungskandidaten, nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken. Weiterhin besitzen die immunmodulierenden Substanzen komplexere Wirkungsweisen und unterschiedliche Ansprechraten in verschiedenen Testsystemen in vitro und im Tiermodell, im Vergleich zur direkten Wirkung am Patienten. Offen bleibt auch, wieviel virologische „Heilung“ denn zur langfristigen immunologischen Kontrolle der Hepatitis B nötig wäre, insbesondere für die Zeit nach dem Absetzen der antiviralen Medikation und dem „Anspringen“ immunologischer Marker nach Reduktion von Virusbestandteilen. Wie dies induziert und gesteuert werden kann, ist derzeit nicht bekannt. In den letzten Jahren hat die HepAkademie viele verschiedene Substanzklassen bei ihrer klinischen Entwicklung verfolgt. Meist wurden die Kandidaten in Kombinationstherapie bei naiven oder bereits viral supprimierten Patienten unter NUC-Therapie charakterisiert. Mittlerweile sind einige Vertreter in Phase II angekommen, die im Folgenden vorgestellt werden. Capsid Assembly Modulatoren Die derzeit am häufigsten untersuchten Substanzen fallen in die Klasse der oralen CAM (Capsid Assembly Modulators) mit ihren verschiedenen Untergruppen. Hier werden derzeit einige neue Substanzen präsentiert, die alle ein wenig anders zu wirken scheinen und die auch von ihren Unterklassifikationen noch nicht einer einheitlichen Nomenklatur folgen. Diese oral verabreichten Substanzen werden aktuell häufig mit NUC kombiniert und inhibieren verschiedene Aspekte der Nukleokapsidsynthese. Dabei werden entweder Core-Aggregate (Typ A, vormals Typ 1) oder leere Kapside (Typ N, vormals Typ 2) gebildet. Die Typisierung N (normal) oder A (aberrant) wird neuerdings eingesetzt, um die Produktion leerer, aber normal konfigurierter Nukleokapside bzw. defekter (aberranter) Kapside zu unterscheiden. Neben der primären Wirkung einer Interferenz mit der Kinetik zur Viruskapsidsynthese, einer Inhibition der Enkapsidierung prägenomischer RNA sowie dem Block der viralen Replikation zu einem späten Zeitpunkt des viralen Lebenszyklus, wird für diese Substanzklasse auch ein möglicher sekundärer Mechanismus vermutet: CAM könnten die Neusynthese von cccDNA inhibieren, vielleicht durch eine Interaktion mit dem Kapsid-Disassembly-Prozess; dies muss allerdings in Studien an Patienten erst noch klar gezeigt werden, denn es liegen derzeit nur In-vitro-Daten vor. Dieser sekundäre Effekt benötigt wohl eine höhere Konzentration an Wirksubstanz, wobei bislang unklar ist, ob dies in Patientenstudien mit notwendiger Sicherheit zu gewährleisten ist. Da die meisten Firmen im CAM-Feld bereits Kandidaten der zweiten Generation entwickeln, die anscheinend mit deutlich weniger Wirksubstanz für eine EC50 auszukommen, könnte sich dies positiv auf die Aktivierung des postulierten sekundären Mechanismus auswirken. Die Entwicklung von oralen CAM als Add-on zur NUC-Therapie ist in Phase II angekommen, wie schon von der EASL-Tagung 2019 berichtet. In den neu publizierten Daten findet sich eine deutlich stärkere Unterdrückung der viralen Replikation bei Kombination zweier antiviraler Substanzen im Vergleich zur NUC-Monotherapie (3). Dies konnte nach Etablierung hochsensitiver Assays gezeigt werden. Inwieweit dies zu einer Suppression der cccDNA-Neubildung führen oder auch eine immunologische Reaktion mit stärkerer Erkennung von Restvirusbestandteilen hervorrufen kann, bleibt abzuwarten. Nach längerer als 24-wöchiger Therapiedauer zeigte sich jedenfalls ein deutlicher Abfall von prägenomischer RNA und erstmals auch ein Abfall von HBsAg. Hier ergeben sich noch viele Notwendigkeiten zu weiteren Studien. siRNA-Inhibitoren Eine zweite interessante Substanzklasse sind die siRNA-Moleküle der zweiten Generation gegen antivirale Nukleinsäuren, gerade durch die Weiterentwicklung von einer i.v. Applikation mit höherem Toxizitätspotenzial zu einer s.c. Gabe bei gleichzeitig Hepatozyten-spezifischerem Wirkmechanismus durch die sogenannte GalNec-Technologie (Interaktion mit dem Asiakoglykoproteinrezeptor), wie bei Gane EJ et al., dargestellt (4). Diese siRNA hemmen die virale DNA und RNA und damit auch die Produktion der viralen Antigene. Erstmals konnte jetzt auch an einer kleinen Zahl von HBV-Patienten eine Tripletherapie unter Kombination von siRNA und CAM bei bereits NUC-vortherapierten Patienten überprüft werden (5). Auch hier zeigte sich eine Reduktion von HBsAg und HBcrAg. (Antisense-)Oligonukleotide Diese Molekülgruppe besitzt mRNA-Transkripte als therapeutischen Angriffspunkt. Sie wird ebenfalls bei Patienten unter bestehender NUC-Therapie eingesetzt (6), oder auch mit immunologisch wirksamen TLR7-Agonisten kombiniert (bislang allerdings nur an Mäusen getestet) (7). Ein weiterer Angriffspunkt für den Einsatz von Oligonukleotiden könnte die HBsAg-Sekretion darstellen. Neben dem bislang unbekannten Wirkmechanismus der NAP (Nucleic Acid Polymers, wie etwa REP2139) wurden auf dem AASLD 2019 erste interessante In-vitro-Ergebnisse zu sogenannten STOP publiziert (S-Antigen Trafficking Inhibiting Oligonucleotide Polymers). STOP könnten demnach die intrazelluläre Degradation von HBsAg stimulieren (8). Substanzkombinationen gegen Hepatitis D Für die Hepatitis D wurden schließlich zwei interessante Studien mit klinischen Daten aus Phase II gezeigt: für Myrcludex, einen Entry Inhibitor wurden Daten einer Extensionsstudie mit PEG-IFN oder Tenofovir gezeigt (9). In Ermangelung von Alternativen bei koinfizierten HBV-HDV-Patienten mit häufig bereits fortgeschrittener Lebererkrankung und hohem Karzinomrisiko sollten diese Studien mit einer vermutlich langfristig subkutan gegebenen Substanz weiterverfolgt werden. Weiterhin wurde durch das NIH eine Phase-II-Studie vorgestellt, die den Prenylierungsinhibitor Lonafarnib in Kombination mit Interferon Lambda untersuchte (10). Die Patienten erhielten zusätzlich Ritonavir als Lonafarnib-Booster und eine NUC-Behandlung, bekamen also letztlich eine Vierfachtherapie. Praxisrelevanz & Fazit Neue Substanzen mit dem Ziel des HBsAg-Verlusts (funktionelle Heilung, idealerweise mit Entwicklung von Anti-HBs-Antikörpern) durch limitierte Therapiedauer befinden sich in umfangreichen klinischen Studien bis Phase II. Sie zeigen, wenig überraschend, aktuell auch einige negative Resultate. Erfreulich zu beobachten sind substanzielle Verbesserungen bei Applikation und Potenz einiger dieser Substanzen und dem Einstieg großer pharmazeutischer Unternehmen in dieses Forschungsfeld, was die Entwicklung beschleunigen könnte. Zunehmend wichtig ist auch die Frage, wie der additive oder synergistische Erfolg dieser neuen Substanzen in der Kombinationstherapie gemessen werden kann. Auf dem AASLD 2019 wurde auch die erste Dreifachtherapie (NUC + CAM + siRNA) bei Patienten vorgestellt. Die Etablierung neuer, nicht-invasiver Biomarker im Serum als Marker für die transkriptionelle Aktivität der cccDNA erscheint notwendig; mit den Serum-RNA bzw. pgRNA und dem HBcrAg (hepatitis B core-related antigen) sind zwei nicht-invasive Marker in den Fokus gerückt, die zuvor nicht viel Beachtung fanden. Derzeit stehen RNA-Messungen bzw. pgRNA mehr im Fokus, bei HBcrAg gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Sensitivität. Die langfristige Sicherheit in der Anwendung beim Patienten wird vermutlich noch mehr als die Wirksamkeit darüber entscheiden, ob einige dieser Substanzen für den Einsatz bei chronischer Hepatitis B in Betracht gezogen werden können. Dies ist einfach der hohen bisherigen Langzeitsicherheit der NUC geschuldet. Weiterhin zielen die allermeisten direkt antiviralen Substanzen auf ein konsekutives „Anspringen“ immunologischer Reaktionen nach Reduktion viraler Partikel (DNA, RNA und virale Antigene), welche im Einzelnen aber noch viel genauer charakterisiert und auch gesteuert werden müssen. Literaturverweise: (1) Zhou H et al. Hepatology 2019, 70(Suppl. 1): 59A (86) (2) Erken R et al. Hepatology 2019, 70(Suppl. 1): 442A (709) (3) Sulkowski MS et al. AASLD 2019, Boston: LP1. (4) Gane EJ et al. Hepatology 2019, 70(Suppl. 1):434A (696) (5) Yuen MF et al. AASLD 2019, Boston: LP4. (6) Yuen MF et al. Hepatology 2019; 70(Suppl. 1): 433A (695). (7) Blaising J et al. Hepatology 2019; 70(Suppl. 1): 428A (687). (8) Hong J et al. Hepatology 2019; 70(Suppl. 1): 430A (689). (9) Wedemeyer H et al. Hepatology 2019; 70(Suppl. 1): 58A (85). (10) Koh C et al. AASLD 2019, Boston: LO8. Daten, Ergebnisse und Kommentare zu den genannten Quellen werden auf der Homepage der HepAkademie im Bereich Kongresse unter AASLD 2019: Zukünftige Therapien der Hepatitis B und D Direktlink zur Internetseite der HepAkademie: http://bit.ly/hep_aka Auf www.hepakademie.de finden Sie darüber hinaus weitere Beiträge der HepAkademie zu anderen hepatologischen Themen von der AASLD 2019 und früheren Kongressen, teilweise auch als eBook verfügbar. Alle Angebote sind kostenfrei.

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