Niedriges Geburtsgewicht – höheres Autismus- und ADHS-Risiko

In einer Studie an monozygoten und dizygoten Zwillingen wurde ein Zusammenhang zwischen einem niedrigeren Geburtsgewicht und verschiedenen neurologischen Entwicklungsstörungen beobachtet. Jedoch waren nicht alle Zwillingspaare betroffen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Ein niedriges Geburtsgewicht wird mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Neurodivergenz und neurologische Entwicklungsstörungen („neurodevelopmental conditions“, NDC), wie Autismusspektrumstörung, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und geistiger Behinderung, in Verbindung gebracht. Obwohl NDC eine starke genetische Komponente haben, spielen auch Umweltfaktoren eine wesentliche Rolle bei ihrer Entstehung. Dabei wird zwischen geteilten (z. B. Wohnumfeld) und nicht geteilten Umwelteinflüssen (z. B. unterschiedliche Freunde, Unfälle) differenziert. Sie rufen Unterschiede etwa zwischen Geschwistern hervor, die im selben Haushalt leben. Ein niedriges Geburtsgewicht ist ein spezifischer Umweltfaktor, der nicht geteilt wird. Bis dato war es unklar, ob das Geburtsgewicht unabhängig zur Entwicklung einer NDC beiträgt oder ob die Assoziation überwiegend durch eine genetische Prädisposition, wie eine genetische Anfälligkeit für niedriges Geburtsgewicht, bedingt ist. Durch Zwillingsstudien mit ein- und zweieiigen Zwillingen ist es möglich, sich dieser Forschungsfrage zu nähern, wie es nun eine Studiengruppe um Johan Isaksson, der sowohl an der Universität in Uppsala als auch am Karolinska-Institut in Stockholm forscht, getan hat. Die teilnehmenden Zwillinge wurden zwischen August 2011 und März 2022 im Rahmen der Roots of Autism and ADHD Twin Study in Sweden (RATSS) untersucht. Alle schwedischen Zwillingspaare sind zur Teilnahme an der RATSS berechtigt, wenn ein oder beide Zwillinge an NDC erkrankt sind. Insgesamt nahmen die Forschenden um Isaksson 393 Personen in ihre Studie auf, 230 monozygote und 159 dizygote Zwillinge. Bei vier Teilnehmenden war der Status unbekannt. Das mediane Alter lag bei 15 Jahren. Bei insgesamt 28,0% der Probandinnen und Probanden wurde ADHS diagnostiziert, bei 23,4% eine Autismusspektrumstörung, bei 5,1% eine geistige Behinderung, bei 16,8% andere NDCs (z. B. spezifische Lern- oder motorische Störungen) und bei 26,0% andere psychiatrische Störungen (darunter 46 depressive Störungen und 22 Angststörungen). Ein höheres Geburtsgewicht war bei allen Individuen zusammengenommen mit weniger autistischen Merkmalen assoziiert, nicht jedoch mit der Ausprägung der ADHS-Merkmale oder Änderungen des IQ. Ein niedrigeres Geburtsgewicht war nicht nur mit mehr autistischen Merkmalen, sondern auch häufiger mit einer klinischen Diagnose „Autismus“ verbunden. Bei allen Zwillingspaaren war ein höheres Geburtsgewicht mit einem um 37% verminderten Risiko, eine Autismus-Diagnose zu erhalten, sowie einem um 58% reduzierten Risiko, einen verminderten IQ zu besitzen, assoziiert. Bei den eineiigen Zwillingspaaren – nicht jedoch bei den zweieiigen – hatte der Zwilling mit dem höheren Geburtsgewicht weniger Autismus- und ADHS-Symptome sowie höhere IQ-Werte. Bei eineiigen Zwillingen, die bei Geburt weniger auf die Waage brachten, wurde zudem ein höheres Risiko für eine Autismus- und ADHS-Diagnose im Vergleich zu ihrem Ko-Zwilling festgestellt. Umwelteinflüsse plus genetische Komponenten „Diese Ergebnisse unterstreichen das Geburtsgewicht als nicht geteilten Umweltfaktor für NDC“, schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Isaksson. In ihren paarinternen Analysen waren die beobachteten Assoziationen lediglich bei den eineiigen Zwillingspaaren vorhanden, was auf einen nicht geteilten Umweltfaktor, aber auch auf einen genetischen Beitrag zu den Assoziationen hinweist. Wäre die Korrelation innerhalb der Zwillingspaare bei monozygoten und dizygoten Zwillingen gleichermaßen ausgebildet gewesen, würde dies gegen eine genetische Komponente sprechen. In der vorliegenden Studie war die Assoziation aber nur bei eineiigen Zwillingen zu beobachten, da der genetische Beitrag die nicht geteilten Umwelteinflüsse bei zweieiigen Zwillingspaaren überdecken könnte. Nach Meinung von Isaksson und Kollegen sind weitere Untersuchungen erforderlich, um mehr über die biologischen Mechanismen zu erfahren, die dem Zusammenhang zwischen niedrigem Geburtsgewicht und NDC zugrunde liegen. „Das frühzeitige Erkennen von Faktoren, die zu einer fetalen Wachstumsretardierung beitragen, ist von entscheidender Bedeutung, um nachteilige Folgen zu minimieren“, so die Studiengruppe abschließend. Solche Faktoren könnten z. B. eine ungleiche Verteilung der Plazenta sowie eine ungleiche oder zu langsame Bluttransfusion zwischen den Zwillingen sein. Diese erfordern eine engmaschige Überwachung bzw. Behandlungen, um nachteilige Folgen zu minimieren. Das Wichtigste in Kürze Frage: Ist ein zu niedriges Geburtsgewicht, nach Adjustierung für genetische Faktoren, mit neurologischen Entwicklungsstörungen assoziiert? Antwort: In einer schwedischen Zwillingsstudie wies der Zwilling mit dem niedrigeren Geburtsgewicht häufiger Autismus- und ADHS-Symptome sowie niedrigere IQ-Werte auf. Diese Assoziation war jedoch nur bei eineiigen, nicht bei zweieiigen Zwillingspaaren zu beobachten. Bedeutung: Es ist wichtig, frühzeitig die Faktoren zu erkennen, die zu einer fetalen Wachstumsrestriktion beitragen. Einschränkung: Das Geburtsgewicht wurde von den Eltern angegeben. Schwangerschaftskomplikationen, wie Gestationsdiabetes, wurden nicht berücksichtigt.

Springer Medizin

Niedriges Geburtsgewicht – höheres Autismus- und ADHS-Risiko

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