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Erschienen in: Die Onkologie 2/2021

Open Access 05.01.2021 | Adipositas | Epidemiologie

Onkologische Prävention – inwiefern ist die Ernährung entscheidend?

verfasst von: Prof. Dr. Sabine Rohrmann, Dr. Silke Hermann

Erschienen in: Die Onkologie | Ausgabe 2/2021

Zusammenfassung

Hintergrund

Krebs ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland und wird zu einem beträchtlichen Teil durch veränderbare Risikofaktoren verursacht.

Fragestellung

Welche Assoziationen gibt es zwischen Ernährungsfaktoren und einer Krebsentstehung?

Material und Methode

Narratives Review, das zur Beantwortung der Fragestellung vor allem systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen heranzieht.

Ergebnisse

Derzeit werden alkoholische Getränke, rotes und verarbeitetes Fleisch, Salz und die glykämische Last als Risikofaktoren für zumindest einzelne Krebslokalisationen angesehen, während Obst, Gemüse, Ballaststoffe, Kaffee und teils Milch und Milchprodukte als protektive Faktoren gelten. Im Zusammenhang mit Ernährung gilt Adipositas als wichtigster Risikofaktor, der zudem selbst durch Ernährungsfaktoren beeinflusst wird. Zusammengenommen sind diese Faktoren für etwa 18 % aller Krebserkrankungen verantwortlich.

Schlussfolgerungen

Auch wenn Ernährungsfaktoren nicht an das Präventionspotenzial von Rauchen heranreichen, können sie das Risiko der Tumorentstehung, vor allem im Verdauungsbereich, beträchtlich reduzieren.
Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter; dies führt zu einer steigenden Zahl von Personen, die unter chronischen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus oder einer Krebserkrankung leiden. In Deutschland erkrankten 2015 und 2016 jährlich jeweils ca. 234.000 Frauen und 259.000 Männer an Krebs; ca. 105.000 Frauen und 125.000 Männer verstarben daran. Krebserkrankungen sind somit nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland [23].
Krebserkrankungen können vielfältige Ursachen zugrunde liegen und je nach Entität können die Risikofaktoren sehr variieren. Trotz ähnlicher Entstehungsmechanismen haben einzelne Faktoren teilweise verschiedene Wirkungen. Dies gilt auch für Ernährungsfaktoren, die sehr unterschiedliche Einflüsse auf die Entstehung und Entwicklung von Krebserkrankungen haben [15, 18].
Neben Rauchen, das für ca. 20 % aller Krebserkrankungen verantwortlich ist [1, 20], stellen Ernährung und Adipositas zwei weitere Faktoren dar, die das Krebsgeschehen mitbeeinflussen. Schätzungen aus verschiedenen Ländern kommen zum Schluss, dass etwa 18 % aller Krebserkrankungen auf Ernährung und Adipositas zurückzuführen sind (Tab. 1).
Tab. 1
Attributabler Anteil der Krebserkrankungen infolge von Adipositas und Ernährungsfaktoren in verschiedenen Studien
 
Deutschland [7, 20]
USA [17]
Großbritannien [11]
Adipositas
7,0 %
7,8 %
6,3 %
Alkohol
2,0 %
5,6 %
3,3 %
Ernährung
Zu viel Salz
0,3 %
Zu viel rotes Fleisch
0,4 %
0,5 %
Zu viel verarbeitetes Fleisch
2,0 %
0,8 %
1,5 %
Zu wenig Obst und Gemüse
2,0 %
1,9 %
Zu wenig Ballaststoffe
3,0 %
0,9 %
3,3 %
Zu wenig Kalzium
0,4 %
Der Effekt auf die Entstehung von Krebserkrankungen kann zum Teil noch detaillierter auf einzelne Lebensmittelgruppen und Nahrungsbestandteile zurückgeführt werden. Jedoch liegen die Schätzungen für die einzelnen Risikofaktoren teils deutlich auseinander [1, 7, 11, 20, 21]. Diese Unterschiede zwischen den Schätzungen der einzelnen Studien sind auf drei Dinge zurückzuführen, auf (a) die Stärke des Zusammenhangs zwischen einem Risikofaktor und einer Krebserkrankung („relatives Risiko“), (b) die Prävalenz einer Exposition/des Risikofaktors in einer Bevölkerung und (c) die relative Häufigkeit der einzelnen Krebsentitäten, die zwischen den einzelnen Ländern variiert. Die attributablen Anteile berechnen sich aus den relativen Risiken und der Prävalenz einer Exposition/eines Risikofaktors in der Bevölkerung. Kommt eine Exposition häufiger vor in einer Bevölkerung, ist der attributable Anteil auch bei gleichem Risikoschätzer größer, d. h., es werden mehr Krebsfälle durch diese Exposition erklärt. Da alle Krebsarten ein unterschiedlich hohes Präventionspotenzial haben, führen diese Unterschiede zu einem insgesamt unterschiedlichen Präventionspotenzial. Es scheint jedoch klar, dass Adipositas den stärksten Effekt auf die Krebsentstehung hat, gefolgt von Alkoholkonsum. Alle Studien zeigen für die meisten Risikofaktoren eine höhere Prävalenz bei Männern im Vergleich zu Frauen, wodurch das Präventionspotenzial bei Männern deutlich höher ist als bei Frauen [11].
Bedingt durch die Mannigfaltigkeit der einzelnen Tumorarten und deren Risikofaktoren wird eine Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen veröffentlicht. Dies hat zur Folge, dass der derzeitige Stand der Forschung schwer abzuschätzen ist. Um eine Übersicht der Ergebnisse aus verschiedenen Forschungsprojekten zu erhalten, evaluiert der World Cancer Research Fond (WCRF) gemeinsam mit dem American Institut for Cancer Research (AICR) kontinuierlich die publizierten Forschungsergebnisse zum Thema Ernährung und Übergewicht als Risikofaktoren und erstellt evidenzbasierte Zusammenfassungen [27]. Im Folgenden werden die wichtigsten Risikofaktoren in Bezug auf Ernährung kurz vorgestellt (Abb. 1).

Risiko erhöhende Faktoren

Es gibt starke Evidenz, dass Übergewicht (Body-Mass-Index [BMI] 25–<30kg/m2) und insbesondere Adipositas (BMI ≥30kg/m2) im Erwachsenenalter ein Risikofaktor für eine Vielzahl von Krebsarten (Abb. 1) ist [26]. Für Deutschland wird geschätzt, dass etwa 7 % aller Krebserkrankungen auf zu hohes Körpergewicht zurückzuführen sind [7]; in den USA und Großbritannien sind die Zahlen ähnlich (Tab. 1). Dabei sind die attributablen Anteile je nach Krebsentität sehr unterschiedlich; besonders stark ist der Zusammenhang für das Endometriumkarzinom (35 %) sowie für Leber- und Nierenkrebs mit je etwa 25 % [7].
Der Anteil der Bevölkerung mit Adipositas steigt über die letzten Jahrzehnte weltweit stetig an. Dies ist das Resultat der Tatsache, dass mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird. Während die zu geringe körperliche Betätigung hier nicht weiter thematisiert werden soll, gehören Faktoren, die zur Aufnahme von überschüssiger Energie führen können, durchaus zu den ernährungsbedingten Risikofaktoren für Krebserkrankungen. So weisen industriell sehr stark verarbeitete Lebensmittel („ultra processed foods“ [UPF]) sowohl meistens eine hohe Energiedichte als auch oft große Portionsgrößen auf. Sie tragen somit zusammen mit zuckerhaltigen Getränken zur Entwicklung von Adipositas bei [26]. Eine prospektive Studie zeigte einen stark positiven Zusammenhang zwischen dem Verzehr von UPF und dem Krebsrisiko auf: eine 10 %ige Erhöhung des Anteils von UPF in der Ernährung war mit einem signifikanten Anstieg des Risikos für Gesamt- und Brustkrebs um mehr als 10 % assoziiert [14]. Aufgrund der derzeitigen Forschungsergebnisse im WCRF/AICR-Bericht wird empfohlen, den Verzehr von verarbeiteten Lebensmitteln mit hohem Fett‑, Stärke- oder Zuckergehalt – einschließlich „Fastfood“, vieler vorbereiteter Gerichte, Snacks, Backwaren und Desserts sowie Süßwaren (Süßigkeiten) – zu limitieren.
Der Einfluss von Adipositas auf das Krebsrisiko ist vielfältig und umfasst Entzündungsmechanismen und die Veränderung der Östrogen‑, Androgen- und Insulinkonzentration sowie der Konzentration von Wachstumsfaktoren wie „insulin-like growth factors“ [26].
Für Alkohol liegt die beste Evidenz bezüglich einer Erhöhung des Krebsrisikos vor, und so wurde Alkohol von der International Agency for Research on Cancer (IARC) bereits im Jahr 2007 als krebserregend eingestuft [6]. Basierend auf der WCRF/AICR-Evaluation ist der Zusammenhang zwischen Alkohol und dem Risiko für Tumoren des Mund- und Rachenraums, der Speiseröhre, des Magens, der Leber, des Dickdarms und Rektums sowie der Brust überzeugend oder zumindest wahrscheinlich [26]. Ein Mehrkonsum von 50 g Alkohol pro Tag (etwa 3 alkoholische Getränke) ist mit einer relativen Risikoerhöhung um 50 % für Brustkrebs und um 40 % für Dickdarmkrebs assoziiert [6]. Für Tumoren im oberen Atmungs- und Verdauungstrakt ist Alkoholkonsum mit einer Verdopplung bis Verdreifachung des Risikos verbunden, wobei Rauchen die Effekte des Alkoholkonsums zu verstärken scheint. Im Gegensatz dazu ist der Konsum von Alkohol möglicherweise mit einem verringerten Nierenkrebsrisiko verbunden [26].
Mons und Kollegen schätzen für Deutschland, dass etwa 2,2 % aller Krebsfälle bei Männern (n = 8177) und 0,7 % bei Frauen (n = 1471) auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind [20]. In der Abschätzung für Deutschland ist der attributable Anteil am höchsten für Tumoren des Mund- und Rachenraums (Männer: 34 %; Frauen: 6 %) sowie für Plattenepithelkarzinome der Speiseröhre (Männer: 30 %, Frauen: 5 %; [20]). Darüber hinaus ist der attributable Anteil von Alkohol für Dickdarm- (8,4 % bei Männern, 1,4 % bei Frauen), Leber- (14,1 % bei Männern, 2,3 % bei Frauen) und Kehlkopfkrebs (18,2 % bei Männern, 3,0 % bei Frauen) sowie Brustkrebs bei Frauen (1,3 %) bedeutsam. Alle Studien kommen zum Schluss, dass Alkohol wegen des höheren Konsums bei Männern ein wichtigerer Risikofaktor ist als bei Frauen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, dass Männer nicht mehr als 20 g und Frauen nicht mehr als 10 g Alkohol täglich aufnehmen sollten [13]. 10 g Alkohol entspricht zum Beispiel einem Glas Bier, Wein oder Schnaps.
Alkohol kann auf verschiedenen Wegen das Krebsrisiko erhöhen. Am wichtigsten ist die Metabolisierung von Ethanol zu Acetaldehyd, das wiederum an die Desoxyribonukleinsäure (DNS) binden und damit kanzerogene Effekte auslösen kann. Daneben werden weitere krebserregende Faktoren, z. B. die Blutkonzentration von Östrogenen und die DNS-Methylierung [25] durch den Konsum von Alkohol negativ beeinflusst. Zusätzlich fungiert der aufgenommene Alkohol als Lösungsmittel für Karzinogene in Zigarettenrauch [9].
Auch der Effekt von rotem und verarbeitetem Fleisch auf das Krebsrisiko wurde von der IARC [10] und dem WCRF/AICR [27] untersucht. Der Verzehr von verarbeitetem Fleisch wurde von der IARC als kanzerogen für den Menschen eingestuft, der Verzehr von rotem Fleisch als wahrscheinlich kanzerogen [10]. Für Deutschland wurde geschätzt, dass 2,4 % aller Krebsfälle auf den Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch zurückzuführen sind, wobei sich der Konsum vor allem auf die Entstehung von Dickdarmkrebs auswirkt (12 % aller Fälle dieser Entität; [7]). Es wird davon ausgegangen, dass sich pro 50 g täglichem Mehrverzehr von verarbeitetem Fleisch das relative Dickdarmkrebsrisiko moderat um 18 % erhöht. Um den krebserregenden Effekt von verarbeitetem Fleisch zu veranschaulichen, hat das Robert Koch-Institut errechnet, dass das absolute Risiko eines 65-jährigen Mannes, in den nächsten 10 Jahren an Dickdarmkrebs zu erkranken, derzeit 2,4 % beträgt; wird jedoch die tägliche Verzehrmenge um zusätzliche 100 g verarbeitetes Fleisch erhöht, steigt dieses Risiko auf 3,3 % an. Für andere Tumorentitäten ist der Zusammenhang eher schwach und die Ergebnisse verschiedener Studien sind nicht eindeutig [27]. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine maximale Verzehrmenge von 600 g Fleisch und Fleischerzeugnissen (inkl. Wurstwaren) pro Woche [13].
Die Mechanismen, die das erhöhte Dickdarmkrebsrisiko infolge von hohem Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch bewirken, sind nicht vollständig geklärt (ausführlicher diskutiert in [24]). Unter anderem wird die direkte Aufnahme von N‑Nitroso-Verbindungen (NOC; z. B. Nitrosamine) durch den Verzehr von gesalzenen und gepökelten Lebensmitteln (vor allem Fleisch, aber auch Fisch) und die NOC-Bildung im Magen-Darm-Trakt als potenziell krebserregende Substanz diskutiert. Das Vorhandensein von Hämeisen scheint bei diesem Prozess eine wichtige Rolle zu spielen. Zusätzlich werden bei der Zubereitung von Fleisch, in Abhängigkeit von Garmethode, Temperatur und Dauer, heterozyklische aromatische Amine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe gebildet, die von der IARC als kanzerogen eingestuft wurden [16]. Zusätzlich könnte eine hohe Aufnahme gesättigter Fette, die mit einem hohen Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch einhergeht, für die Entstehung von Brustkrebs eine Rolle spielen.
Für Magenkrebs gilt Salz als Risikofaktor [27]. Insgesamt sind in Deutschland schätzungsweise lediglich 0,3 % aller Krebsfälle, jedoch 8,7 % aller Magenkrebsfälle auf einen übermäßigen Salzkonsum zurückzuführen [7]. Die DGE gibt als Obergrenze einen Orientierungswert von bis zu 6 g Speisesalz/Tag (ca. 1 TL) an [13]. Es wird vermutet, dass das Salz die Magenschleimhaut angreifen, die endogene NOC-Bildung fördern, die Wirkung von Karzinogenen im Magen verstärken kann. Zusätzlich wird angenommen, dass Salz die Besiedlung durch Helicobacter pylori im Magen fördert [2, 12].
Derzeit wird auch die glykämische Last als Risikofaktor für das Krebsrisiko diskutiert; bisher wird ein positiver Zusammenhang mit dem Risiko für Endometriumkarzinome als wahrscheinlich angesehen [26]. Der WCRF/AICR-Bericht diskutiert in diesem Zusammenhang die Effekte erhöhter postprandialer Glukose- und Insulinspiegel auf die Entwicklung von Insulinresistenz, Diabetes und Adipositas, die selbst Risikofaktoren für Endometriumkarzinome darstellen [26].
Während in den Industrieländern der Verzehr von verschimmelten Nüssen und Getreideprodukten und die damit verbundene Aflatoxinaufnahme kaum eine Rolle spielt, stellt die Aufnahme dieser Substanzen in Ländern mit schlechteren Lagerbedingungen von Lebensmitteln (feucht-warmes Klima, fehlende Kühlmöglichkeiten) einen Risikofaktor für Leberkrebs dar [26].

Protektive Faktoren

Obst und Gemüse sind reich an Vitaminen und sekundären Pflanzenstoffen. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse sowohl aus In-vitro-Studien als auch aus frühen Fall-Kontroll-Studien wurde diesen Lebensmitteln lange Zeit ein schützender Effekt in Bezug auf die Krebsentstehung zugesprochen. Neuere, große prospektive Studien zeigten aber, dass dieser Effekt deutlich schwächer als vermutet ist. Die Evaluation des WCRF/AICR zeigt lediglich einen wahrscheinlich vorteilhaften Zusammenhang zwischen Gemüse- und Obstkonsum und dem Risiko von Tumoren im Mund- und Rachenraum [26]. Für andere Lokalisationen, zum Beispiel Dickdarm und Lunge, werden zwar auch teils protektive Effekte gesehen, die aber nicht konsistent sind [26]. Eine Auswertung der European-Prospective-Investigation-into-Cancer-and-Nutrition(EPIC)-Studie zeigte, dass ein um 200 g höherer Verzehr von Obst und Gemüse pro Tag das Gesamtkrebsrisiko um 3 % (95 %-Konfidenzintervall 1–4 %) senkt [8]. Für Deutschland wird das Krebspräventionspotenzial von Obst und Gemüse auf 2 % geschätzt [7], ganz ähnlich der US-Einschätzung [17]. Als mögliche Erklärungen für protektive Zusammenhänge gelten die vielfältigen Effekte von Vitaminen und anderen sekundären Pflanzenstoffen. Die DGE empfiehlt eine tägliche Zufuhr von rund 400 g Gemüse (z. B. 200 g gegartes Gemüse und 200 g Rohkost/Salat) und etwa 250 g Obst [13].
Ein Teil des protektiven Effekts von Obst und Gemüse auf das Dickdarmkrebsrisiko wird wahrscheinlich über Ballaststoffe vermittelt. Der WCRF/AICR stufte den Zusammenhang zwischen der höheren Aufnahme von Ballaststoffen und einem geringeren Dickdarmkrebsrisiko als wahrscheinlich ein [27]. Laut einer Metaanalyse von 25 prospektiven Kohortenstudien senkt eine Mehraufnahme von 10 g/Tag das Darmkrebsrisiko relativ um 10 % [3], wobei aber vor allem die Ballaststoffaufnahme aus Getreiden und Vollkornprodukten wichtig zu sein scheint. Die Schätzungen zum Präventionspotenzial gehen hier etwas auseinander: Während für Deutschland und Großbritannien eine Vermeidung von etwa 3 % aller Krebsfälle als möglich gesehen wird [7, 11], sind es in den USA lediglich 0,9 % [17]. Neben Effekten der Ballaststoffe auf die Verweildauer des Stuhls und damit möglicher Karzinogene im Darm werden die Fermentation von Ballaststoffen zu kurzkettigen Fettsäuren mit antiproliferativem Potenzial und die verminderte Bildung von sekundären Gallensäuren diskutiert [26]. Die DGE nennt eine Menge von mindestens 30 g/Tag als Richtwert für die Zufuhr von Ballaststoffen bei Erwachsenen [13].
Kaffee gerät immer stärker in den Fokus der Forschung, und Kaffeekonsum wird nun als protektiver Faktor für einige Krebslokalisationen diskutiert. Der WCRF/AICR hält einen risikosenkenden Effekt auf das Risiko von Endometrium- und Leberkrebs für wahrscheinlich [27]. Da gerösteter Kaffee eine komplexe Mischung aus über 1000 bioaktiven Verbindungen ist, werden die möglichen krebshemmenden Mechanismen noch diskutiert. Einige dieser Verbindungen haben antioxidative, entzündungshemmende und/oder antifibrotische Wirkungen [22].

Faktoren mit widersprüchlichen Ergebnissen

Milch und Milchprodukte zeigen widersprüchliche Ergebnisse je nach Krebslokalisation: Während ein wahrscheinlicher protektiver Effekt eines hohen Verzehrs auf das Risiko für Dickdarmtumoren gesehen wird (pro 400 g Milch und Milchprodukte sinkt das Risiko relativ um 17 %; 95 %-Konfidenzintervall 12–22 % [4]), geht eine hohe Kalziumaufnahme auf der anderen Seite möglicherweise mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko einher [5]. Als mögliche Erklärung wird diskutiert, dass hohe Kalziumkonzentrationen im Dickdarm eher die Ausdifferenzierung von Epithelzellen fördern; in der Prostata dagegen führen sie eher zur Proliferation von Zellen [19]. Bisher haben lediglich Islami et al. das Präventionspotenzial einer ausreichenden Kalziumaufnahme abgeschätzt (0,4 % aller Krebsfälle in den USA; [17]).
Zusammenfassung.
Laut aktuellen Schätzungen werden etwa 18 % aller Krebserkrankungen durch Adipositas, zu hohen Alkoholkonsum und verschiedene Ernährungsfaktoren verursacht. Der Konsum von verarbeitetem Fleisch und Alkohol erhöht laut Einschätzungen der IARC das Krebsrisiko. Als weitere Einflussfaktoren werden der Konsum von Obst und Gemüse sowie Kaffee (protektiv), Milchprodukte (unterschiedlich je nach Organ) und Salz (risikoerhöhend) diskutiert. Die Mechanismen sind jedoch vielfach noch unklar – so können einerseits im Lebensmittel enthaltene Substanzen wie Vitamine eine Rolle spielen, auf der anderen Seite aber auch Stoffe, die bei der Verarbeitung von Lebensmitteln entstehen. Adipositas als Folge einer zu hohen Energieaufnahme wird zudem mit einem erhöhten Risiko für multiple Krebserkrankungen assoziiert. Eine offene Frage ist, welchen Einfluss z. B. genetische Unterschiede oder die Darmflora auf den Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebsrisiko haben.

Fazit

  • Schätzungsweise 18 % aller Krebserkrankungen werden durch Ernährung sowie durch Übergewicht und Adipositas verursacht.
  • In Bezug auf die Krebsentstehung sind Adipositas, ein Übermaß an Alkohol, der erhöhte Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch, Salz sowie zu geringer Konsum von Obst, Gemüse und Ballaststoffen die entscheidenden Ernährungsfaktoren.
  • Den stärksten Einfluss haben Ernährungsfaktoren auf Tumoren des Verdauungstrakts.

Praxistipps

  • Die Reduktion von Adipositas sollte in Bezug auf die Prävention von Krebserkrankungen erste Priorität sein. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit professionellen Ernährungsberaterinnen und -beratern anzustreben, wobei Angebote, in denen eine Veränderung des Ernährungsverhaltens mit einer Erhöhung der körperlichen Aktivität einhergeht, zu bevorzugen sind.
  • Bei einer angestrebten Veränderung der Ernährung sollten bei Personen mit einem gesunden Körpergewicht (BMI 19–25 kg/m2) folgende Punkte im Mittelpunkt stehen:
    • die Energieaufnahme sollte dem Energieverbrauch entsprechen.
    • den Alkoholkonsum minimieren
    • den Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch reduzieren
    • mehr Gemüse und Obst konsumieren

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

S. Rohrmann und S. Hermann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autorinnen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.
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Metadaten
Titel
Onkologische Prävention – inwiefern ist die Ernährung entscheidend?
verfasst von
Prof. Dr. Sabine Rohrmann
Dr. Silke Hermann
Publikationsdatum
05.01.2021
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Onkologie / Ausgabe 2/2021
Print ISSN: 2731-7226
Elektronische ISSN: 2731-7234
DOI
https://doi.org/10.1007/s00761-020-00894-4

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Vitamin-B12-Mangel durch Arzneimittel

Einige häufig verordnete Medikamente wie das orale Antidiabetikum Metformin oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI) können einen Mangel an Vitamin B12 verursachen. Bei einer Langzeitmedikation mit diesen Wirkstoffen sollte daher an ein mögliches Defizit gedacht werden. Erfahren Sie hier, worauf dabei zu achten ist.

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Vitamin-B12-Mangel – Aktuelles Basiswissen für die Praxis.

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Ein Mangel an Vitamin B12 tritt in bestimmten Risikogruppen häufig auf. Diese Patienten sind auch regelmäßig in Ihrer Praxis. Wird der Mangel nicht rechtzeitig behandelt, drohen mitunter schwerwiegende Folgen. Erhalten Sie hier einen Überblick über aktuelles Basiswissen für den Praxisalltag.

WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG