Schützt Semaglutid vor Alkoholmissbrauch?

In einer Kohortenstudie aus den USA war die Anwendung von Semaglutid mit einem deutlich geringeren Risiko für Alkoholmissbrauch assoziiert als gewichtsregulierende Medikamente aus anderen Substanzklassen (Nicht-GLP-1-Rezeptor-Agonisten). Das galt sowohl für Adipöse als auch für Diabeteskranke mit und ohne Adipositas. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid könnte einen für viele Betroffene mit Adipositas äußerst wünschenswerten Nebeneffekt haben, der nicht direkt etwas mit der Gewichtsreduktion zu tun hat: Die Substanz (vielleicht auch die Substanzgruppe) könnte dazu beitragen, dass das Verlangen nach Alkohol deutlich zurückgeht. Bisher wurden derartige Effekte im Zusammenhang mit Semaglutid vor allem anekdotisch berichtet. Hinweise, dass das Medikament die Lust am Rausch vergällen könnte, stammen außerdem aus einer Fallserie sowie aus einer experimentellen Studie mit alkoholabhängigen Nagern. Vergleich mit anderen gewichtsreduzierenden Medikamenten Mit Unterstützung der National Institutes of Health (NIH) hat jetzt ein US-Team eine Kohortenstudie durchgeführt, in der die Semaglutid-Behandlung mit anderen gewichtsreduzierenden Regimen verglichen wurde. Geklärt werden sollte einerseits, ob sich damit das Neuauftreten einer alkoholbezogenen Störung (Alcohol Use Disorder, AUD) vermeiden lässt, und andererseits, ob die Wahrscheinlichkeit eines AUD-Rückfalls gesenkt werden kann. Insgesamt wurden drei Analysen mit verschiedenen Kohorten vorgenommen, jeweils mit der Methode des Propensity-Score-Matching (dabei werden, in Nachahmung einer randomisierten Studie, Paare von möglichst identischen Personen gebildet). AUD-Risiko halbiert An der ersten Analyse nahmen adipöse Patienten und Patientinnen teil, die zu Beginn keine bekannten Alkoholprobleme hatten. Verglichen wurden zwei Kohorten à jeweils 15.097 Teilnehmende (medianes Alter: 49 Jahre, Frauenanteil 71%): Die eine Gruppe war mit Semaglutid behandelt worden, die andere mit Medikamenten zur Gewichtsreduktion, die nicht auf dem GLP-1-Agonimus beruhen (in diese Gruppe zählten auch Naltrexon, welches unter anderem zur Behandlung von Suchterkrankungen eingesetzt wird, sowie das Antiepileptikum Topiramat; beide besitzen auch appetithemmende Eigenschaften). Zwölf Monate nach Behandlungsbeginn war die Semaglutid-Gruppe deutlich im Vorteil, die AUD-Inzidenz lag bei 0,37% gegenüber 0,73%, was einer Risikohalbierung entspricht. Laut William Wang von der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland und seinem Team galt dieser Zusammenhang sowohl für Adipöse mit als auch solche ohne Typ-2-Diabetes. Auch im direkten Vergleich mit Naltrexon oder Topiramat schnitt die Semaglutid-Gruppe signifikant besser ab, mit einer AUD-Inzidenz von 0,35% gegenüber 0,78%. Rezidive verhindert Die zweite Analyse betraf Adipöse mit anamnestisch bekannter Alkoholabhängigkeit. Die jeweils 715 Beteiligten aus den beiden Vergleichsgruppen waren median 52 Jahre alt, 41% waren weiblich. Auch hier war die Semaglutid-Gruppe signifikant im Vorteil, unabhängig davon, ob ein Typ-2-Diabetes vorlag oder nicht, mit einer AUD-Rezidivrate von 23% gegenüber 43% unter dem Nicht-GLP-1-Rezeptor-Agonisten. Der Vorteil gegenüber Naltrexon/Topiramat war ebenfalls signifikant (22% gegenüber 60%). Wirkung auch bei Diabeteskranken Die dritte Auswertung fokussierte sich auf Personen mit bestehendem Typ-2-Diabetes. In den beiden aufeinander abgestimmten Kohorten befanden sich jeweils 653 Personen (medianes Alter 57 Jahre, Frauenanteil 26%). In der Semaglutid-Gruppe war die AUD-Inzidenz auch hier deutlich niedriger als unter einem Nicht-GLP-1-Agonisten (0,32% gegenüber 0,52%), und zwar unabhängig davon, ob eine Adipositas vorlag oder nicht. Das galt auch für AUD-Rezidive (23% versus 33%). Der Zusammenhang persistierte noch nach zwei- bzw. dreijährigem Follow-up. Modulation des Belohnungssystems im Hirn Wang und seinem Team zufolge dokumentieren die Daten „den potenziellen Nutzen von Semaglutid zur Vermeidung sowohl neu aufgetretener als auch rezidivierender AUD unter realen Bedingungen“. Die beteiligten Mechanismen sind derzeit noch unklar. Nach Wang et al. könnte die Modulation des dopaminabhängigen Belohnungssystems im Gehirn eine Rolle spielen, an welcher GLP-1-Rezeptoren beteiligt sind. Vermittelt durch ebendiese Rezeptoren könnte Semaglutid zum Beispiel auch Stressreaktionen in Form von übermäßigem Essen und übermäßigem Alkoholkonsum abpuffern. Und schließlich könnten auch antiinflammatorische Effekte beteiligt sein, die sowohl mit Semaglutid als auch mit anderen GLP-1-Agonisten in Zusammenhang gebracht werden. Bislang existiert nur eine einzige randomisierte Studie zum Effekt eines GLP-1-Agonisten (in diesem Fall Exenatid) auf alkoholbezogene Störungen. Der primäre Endpunkt, Reduktion der Tage mit starkem Alkoholkonsum, sei in der Hauptanalyse zwar nicht erreicht worden, berichten Wang und sein Team. Wohl aber eine signifikante Abschwächung der Hirnaktivierung in Reaktion auf das Rauschmittel und ein deutlicher Effekt auf den starken Alkoholkonsum in einer Subgruppe mit Adipositas. Für Empfehlung noch zu früh Um eine Empfehlung für den Off-Label-Einsatz von Semaglutid bei Alkoholabhängigkeit auszusprechen, sei es definitiv noch zu früh, so Wang und Mitforschende. Das Team verweist auf fünf laufende klinische Studien, die mögliche Zusammenhänge untersuchen. Deren Ergebnisse gelte es abzuwarten. Das Wichtigste in Kürze Frage: Besteht zwischen der Behandlung mit dem GLP-1-Agonisten Semaglutid und der Reduktion alkoholbezogener Störungen (AUD) ein Zusammenhang? Antwort: Sowohl neu aufgetretene als auch rezidivierende AUD waren in den mit Semaglutid behandelten Gruppen signifikant seltener. Das galt sowohl für Menschen mit Adipositas als auch für Diabeteskranke. Bedeutung: Randomisierte klinische Studien müssen klären, inwieweit sich AUD bzw. AUD-Rezidive durch Behandlung mit Semaglutid verhindern lassen. Ein entsprechender Off-Label-Use ist durch die vorliegende Studie nicht gerechtfertigt. Einschränkung: Kohortenstudie; kausale Zusammenhänge nicht belegt; unklar, ob es sich um einen Klasseneffekt handelt.

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