Nebennierenkrise: „Es dauert zu lang bis zur Injektion von Glukokortikoiden!“

„Schicken Sie Patienten mit Nebennierenrinden-Insuffizienz zur Schulung!“, appellierte Prof. Martin Fassnacht beim Endokrino-Update 2020. Denn wer im Fall einer Nebennierenkrise selbst Hydrocortison injizieren kann, wird seltener zum Intensivpatienten. Die Akutbehandlung von Nebennierenkrisen muss aus Sicht von Prof. Martin Fassnacht aus Würzburg besser werden. Bis ein Arzt die Notfallsituation feststellt und dem Patienten Hydrocortison spritzt, vergeht viel Zeit. Unter Umständen zu viel Zeit. Fassnacht berichtete beim Endokrino-Update 2020 über einen 40-Jährigen mit bekanntem Morbus Addison: Der Mann hatte, weil er an Durchfall litt, seine übliche Hydrocortisondosis verdoppelt. Als am nächsten Tag Erbrechen hinzukam, holte er den Notarzt; der weigerte sich jedoch, ihm ein Glukokortikoid i.v. zu geben. Am nächsten Morgen wurde der Patient mit einem Kreislaufzusammenbruch in die Würzburger Klinik eingewiesen, wo er auf der Intensivstation verstarb. Die lebensbedrohlichen Krisen bei Patienten mit chronischer Nebennierenrinden-Insuffizienz werden meistens durch Infektionen, vor allem des Magen-Darm-Trakts, aber auch durch Operationen oder starke körperliche oder psychische Belastung ausgelöst. Dabei handelt es sich nicht um seltene Ereignisse. In einer deutschen Studie (Burger-Stritt S et al. Clin Endocrinol 2018;89:22–28) mit 150 Patienten mit chronischer Nebennierenrinden-Insuffizienz mit primärer, sekundärer oder iatrogener Ursache wurden 59 Nebennierenkrisen pro 191 Patientenjahre dokumentiert: „Das heißt, im Schnitt erleidet jeder Patient alle drei Jahre eine Nebennierenkrise“, so Fassnacht. 4 vs. 1,5 Stunden Zeitverlust Vom Notruf bis zum Eintreffen des Notarztes vergingen in der Studie durchschnittlich 20 Minuten. Allerdings: Nach dem Vorzeigen des Notfallausweises dauerte es im Mittel weitere 60 Minuten, bis ein Arzt ein Glukokortikoid spritzte, in einigen Fällen passierte das sogar erst im Krankenhaus. Schneller ging es bei den Patienten, die das Steroid selbst injizierten. Von den ersten Symptomen bis zur Injektion dauerte es bei ihnen etwa 1,5 Stunden, bei der Injektion durch einen Arzt waren es dagegen fast vier Stunden. Von den Patienten mit Eigeninjektion konnten außerdem etwa 60% ambulant behandelt werden, von den anderen nur etwa jeder Vierte. „Je später behandelt wurde, umso öfter mussten die Patienten auf die Intensivstation“, betonte Fassnacht. Sein Fazit: „Die Profiinjektion dauert zu lange, Selbstinjektion verhindert Krankenhausaufenthalte“. Schulungen der DGE Die Selbstinjektion von Hydrocortison – für die bislang kein Präparat zugelassen ist – setzt eine gute Schulung der Patienten voraus. In Deutschland gibt es laut Fassnacht 70 Zentren, die über die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie Schulungen anbieten. „Schicken Sie Ihre Patienten dorthin!“, appellierte der Endokrinologe. Dass die Patienten von den Schulungen profitieren, ist gerade in einer prospektiven Studie gezeigt worden (Burger-Stritt S et al. Eur J Endocrinol 2020;183:119–127). Die 526 Teilnehmer der zweistündigen Gruppenschulung verfügten nicht nur direkt, sondern auch mehr als sechs Monate danach über ein besseres Wissen über ihre Erkrankung. Außerdem gaben nach der Schulung deutlich mehr Patienten an, sich die Eigeninjektion von Hydrocortison zuzutrauen. Wenn kein Hydrocortison zur Hand ist ... Welches Glukokortikoid man spritzt, wenn man als Arzt zu einem Patienten mit Nebennierenkrise gerufen wird, ist nicht entscheidend: Im Idealfall, so Fassnacht, sind es 100 mg Hydrocortison i.v. und 250 ml physiologische Kochsalzlösung. „Falls kein Hydrocortison zur Hand ist, dann tut es aber auch jedes andere Glukokortikoid.“ 250 mg Prednison seien zwar viel zu viel, aber besser als nichts. Sein Aufruf: „Hauen Sie es rein!“ Nach einem Vortrag von Prof. M. Fassnacht, Würzburg, Endokrino-Update, 18. September 2020

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