Oliguriekriterien bei akutem Nierenschaden nicht vergessen

Gemäß den Vorgaben der KDIGO zählt neben dem Serumkreatinin auch die Urinausscheidung zu den Kriterien für akutes Nierenversagen. Das ist wichtig, denn eine längere Oligurie spricht für eine eingeschränkte Prognose – unabhängig vom Kreatinin. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Organisation „Kidney Disease: Improving Global Outcomes“ (KDIGO) hat bereits 2012 diagnostische Kriterien für den akuten Nierenschaden formuliert. Neben den Veränderungen der Kreatininwerte im Serum gehört dazu ausdrücklich auch die in festgelegten Zeiträumen produzierte Urinmenge. Das Oliguriekriterium für ein akutes Nierenversagen (ANV) im Stadium 1 ist bei einer Urinausscheidung von unter 0,5 ml/kg Körpergewicht je Stunde über sechs bis zwölf Stunden erfüllt. Stadium 2 bedeutet eine Ausscheidung dieser Menge über zwölf Stunden oder länger. Stadium 3 schließlich ist definiert als eine Urinproduktion von weniger als 0,3 ml/kg KG über mindestens 24 Stunden oder als Anurie für mindestens zwölf Stunden. Welchen Wert diese Kriterien in der Praxis haben, ist nicht unumstritten, besonders in Fällen, wo die Oligurie nur vorübergehend auftritt und keine Erhöhung des Kreatinins festzustellen ist. Primärer Endpunkt 90-Tages-Mortalität In einer retrospektiven, monozentrischen Kohortenstudie haben Schweizer Intensivmediziner die prognostische Aussagekraft der oliguriebasierten KDIGO-Kriterien geprüft. Die Daten von 15.620 Intensivpatienten waren Gegenstand der Analyse, den primären Endpunkt der Studie stellte der Zusammenhang zwischen Oligurie und 90-Tages-Mortalität dar. Median wurde das Schicksal der Patienten jedoch über 67 Monate hinweg nachverfolgt, sodass auch Aussagen über die längerfristige Sterblichkeit möglich waren. 77,7% der Patienten erlitten mindestens eine Episode von ANV gemäß der KDIGO-Kriterien zu Kreatinin und Urinproduktion, 19,4% davon im Stadium 1, 40,5% im Stadium 2 und 17,8% im Stadium 3. 21,3% der Patienten mit ANV und 8,3% der Patienten ohne ANV waren nach 90 Tagen gestorben. Die Sterblichkeit für ANV 1 lag bei 15,0%, für ANV 2 bei 17,0% und für ANV 3 bei 37,7%. Sowohl die Kreatinin- als auch die Oliguriekriterien für ein ANV erfüllten 35,4% der Patienten. Ausschließlich die Oliguriekriterien trafen auf 36,0%, nur die Kreatininkriterien auf 6,3% der Patienten zu. Der Übereinstimmungsgrad mit Blick auf die ANV-Diagnose und das jeweilige Stadium zwischen beiden Kategorien war nicht sonderlich hoch; der errechnete Wert für Cohens Kappa lag bei 0,36 – ein Wert von 1 würde vollständige Übereinstimmung markieren, bei einem Wert von 0 wäre jede Übereinstimmung dem Zufall geschuldet. Rund die Hälfte der Patienten höhergestuft Die Anwendung der Oliguriekriterien hatte verglichen mit der Einstufung gemäß den Kreatininkriterien eine Reklassifikation von 51,7% der Patienten zur Folge. Das betraf einerseits die 36,0%, die ohnehin nur eine Oligurie aufwiesen und deren Kreatininwerte unauffällig waren. Weitere 13,2% wurden um ein Stadium, 2,5% um zwei Stadien nach oben gestuft. Patienten, die allein die Oliguriekriterien für ein ANV erfüllten, hatten eine erhöhte 90-Tages-Mortalität (12,9% vs. 8,3%). Die signifikant erhöhte Sterblichkeit war auch nach fünf Jahren noch festzustellen (31,4% vs. 24,0%). Insgesamt lag die Sterblichkeit der Patienten mit alleiniger Oligurie aber niedriger als jene der Patienten, die nur die Kreatininkriterien für ein ANV erfüllten. Im Übrigen waren es in der multivariablen Analyse nur die Oliguriestadien 2 und 3, die mit statistisch signifikant erhöhter Sterblichkeit assoziiert waren, nicht das Stadium 1. Ungünstig wirkte es sich für Patienten zudem aus, wenn zusätzlich zu den Kreatinin- auch Oliguriekriterien vorlagen. Der Verzicht auf die Oliguriekriterien bei der Diagnose des ANV scheint daher nicht ratsam zu sein, auch wenn die Erhebung mühsam ist: Nötig sind etwa ein stündliches Monitoring bei liegendem Dauerkatheter, abgestimmte Dokumentation und die Bestimmung des Körpergewichts. „Die oliguriebasierten Parameter identifizieren Patienten mit ANV ohne auffällige Kreatininwerte und führen bei einer Reihe von Patienten zu einer Reklassifikation in höhere Stadien“, schreiben Nathan Bianchi von der Universitätsklinik Waadt in Lausanne und sein Team. Dies habe Folgen für die Prognose, verbessere die Risikoeinschätzung für die Patienten und erlaube es den Ärzten, die ANV-Belastung treffender einzustufen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Was leisten die Oliguriekriterien der KDIGO in der Diagnostik des akuten Nierenversagens (ANV)? Antwort: Mehr als ein Drittel der ANV-Patienten in der vorliegenden Untersuchung wurden überhaupt nur aufgrund der Oligurie erkannt; sie hatten keine auffälligen Kreatininwerte. Rund jeder zweite Patient wurde in ein höheres ANV-Stadium eingestuft. Bedeutung: Die Oliguriekriterien für das ANV sind eigenständig prognoserelevant und sollten in die ANV-Diagnostik einbezogen werden. Einschränkung: Die Studie war retrospektiv angelegt, kann daher nur Assoziationen zeigen. Es waren nur Patienten eines Zentrums beteiligt, was womöglich die Übertragbarkeit der Resultate beeinträchtigt.

Springer Medizin

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