Bei Insektengiftallergie lebenslange Immuntherapie?

Ist eine lebenslange spezifische Immuntherapie (SIT) bei Insektengiftallergie tatsächlich sinnvoll oder nur unnötige Geldausgabe? Die beiden Kontrahenten diskutierten auf dem Allergiekongress kontrovers und scharfzüngig. Schwere Geschütze fuhr Dr. Dorothea Wieczorek von der Medizinischen Hochschule Hannover in ihrem bejahenden Beitrag zu der Frage auf, ob eine spezifische Immuntherapie bei einer Insektengiftallergie lebenslang durchgeführt werden sollte oder nicht. Demnach erfährt in Deutschland mehr als die Hälfte der Bevölkerung mindestens einmal im Leben einen Hymenopterenstich durch Biene, Wespe, Hornisse oder – deutlich seltener – Hummel. Im Jahr werden hierzulande rund 3.500 Notarzteinsätze wegen eines solchen Stichs notwendig. Nicht das Toxin, sondern die Allergie ist entscheidend Dabei, so Wieczorek, seien Todesfälle durch das freigesetzte Toxin wenig wahrscheinlich. Schätzungen zufolge tritt der Tod durch Insektentoxin erst bei mehr als 10.000 Hornissenstichen ein, die mittlere letale Dosis LD50, also die Giftmenge, die in etwa 50 Prozent aller Fälle zum Tod führt, liegt hier bei 10 mg/kg Körpergewicht. Beim deutlich gefährlicheren Bienengift (LD50 2,8 mg/kg Körpergewicht) sind schätzungsweise immer noch 1.330 Stiche notwendig, bevor der Tod eintritt. Viel gravierender sind hingegen anaphylaktische Reaktionen wie Juckreiz, Flush, Urtikaria, Angioödem, Nausea, Erbrechen, Defäkation, Krämpfe, Bronchospasmen und im schlimmsten Falle Atem- und Kreislaufstillstand. Die Mortalitätsrate liegt bei 0,24 pro 1.000.000 Einwohner und Jahr, was zu jährlich 10 bis 30 Todesfällen (mit vermutlich hoher Dunkelziffer) führt. Männer sind mit 68,4 Prozent deutlich häufiger betroffen als Frauen, 95 Prozent der Todesfälle treten nach Einzelstichen auf. Kaum Daten zum Absetzen der SCIT Risikofaktoren für einen letalen Ausgang eines Insektenstichs sind bekannt: Alter über 40 Jahre, männliches Geschlecht, Vorerkrankungen insbesondere an Schockorganen, Bienenstich im Vergleich zu Hornissenstich, Stiche in Kopf und Hals und eine erhöhte basale Serumtryptasekonzentration, die bei ca. 10 Prozent aller Insektengiftallergiker vorkommt. Somit haben nach Auskunft von Dr. Wieczorek schätzungsweise 2,5 Millionen Personen eine potenziell lebensbedrohliche Insektengiftallergie. Dauerhaften Schutz gebe nur eine lebenslang durchgeführte subkutane Immuntherapie (SCIT). Wird sie abgesetzt, steigt das Risiko für erneute systemische Reaktionen und schwere Reaktionen, vor allem bei Personen mit Mastzellerkrankung. Derzeit gebe es kaum Studien dazu, welche Risiken das Absetzen der SCIT mit sich bringt, schon gar keine Studien zur langfristigen Entwicklung. Die Frage, ob eine SCIT bei Insektengiftallergie lebenslang durchgeführt werden sollte oder nicht, beantwortete Wieczorek deshalb eindeutig mit „Ja“. Plädoyer für drei bis fünf Jahre Therapie, weil Evidenz darüber hinaus fehlt Dem begegnete Prof. Dr. Werner Aberer von der Medizinischen Universität Graz mit einem klaren „Nein“. Unstrittig wirke die Immuntherapie gegen Insektengift gut, schnell und nach drei Jahren immer noch - doch längst nicht bei allen Patienten. Bei den Wespenstichallergikern können demnach 91 bis 96 Prozent zumindest vorübergehend von ihrer Allergie befreit werden, bei den Patienten mit Bienenstichallergie sind es schon nur noch 77 bis 86 Prozent. Zudem gebe es dafür, ob durch die Immuntherapie noch Schutz besteht oder nicht, keinen verlässlichen Marker außer dem Stich selbst. Lebenslangen Schutz garantieren kann derzeit niemand. Diverse Untersuchungen erbrachten, dass bei milden bis mäßig starken Reaktionen drei Jahre Therapie wohl ausreichen, bei schweren Reaktionen sind vermutlich fünf Jahre notwendig. Doch keiner könne laut Aberer derzeit sagen, ob nicht auch das unzureichend sei, weshalb grundsätzlich individuelle Entscheidungen getroffen werden müssten. Aktuelle Leitlinien empfehlen die drei- bis fünfjährige Immuntherapie, weil kaum Evidenz für eine längere Behandlungszeit vorliegt.

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