Einleitung
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Wie wird die Zukunft der hausärztlichen Versorgung wahrgenommen?
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Inwiefern wird die hausärztliche Versorgung als gesichert angesehen?
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Welche Maßnahmen werden als vielversprechend und vordringlich erachtet, um die hausärztliche Versorgung sicherzustellen?
Methoden
Erhebungsinstrument
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Status quo und Entwicklung der hausärztlichen Versorgung in längerfristiger Perspektive,
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persönliche Belastungserfahrungen sowie Beobachtungen zum Ärzt*innenmangel,
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favorisierte Ansätze bzw. Maßnahmen zur Sicherstellung der Hausarztmedizin,
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Beurteilung ergriffener Maßnahmen zur Sicherstellung und weitere Optimierungsansätze.
Rekrutierung und Stichprobe
Stichprobe (N = 4176) | Repräsentativstatistik | |
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Geschlecht: | 62 % männlich, 38 % weiblich | 58 % männlich, 42 % weiblich1 |
Durchschnittsalter: | 50 (Median: 51) | 56 (Median: 57)1 |
Praxisumgebung: | 49 % mittel- und großstädtisch, 51 % ländlich-kleinstädtisch | 41 % mittel- und großstädtisch, 59 % ländlich-kleinstädtisch1 |
Praxisform: | 55 % Einzelpraxen, 34 % Gemeinschaftspraxen, 11 % MVZ/sonstige Einrichtung | 56 % Einzelpraxen, 38 % Gemeinschaftspraxen, 6 % MVZ/sonstige Einrichtung2 |
Patienten pro Quartal: | 27 % 500–1500, 32 % 1501–2000, 41 % > 2000 | Keine vollständigen Daten verfügbar |
Akademische Lehrärzt*innen: | 10 % | Keine vollständigen Daten verfügbar |
Datenanalyse
Zitat-Nr. | Zitat |
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1 | „Aus irgendeinem Grund haben wir zu lange blind darauf gesetzt, dass schon ein Teil der Studierenden nach dem Studium automatisch Hausarzt werden – eine falsche Annahme, die uns jetzt teuer zu stehen kommt.“ |
2 | „Wir beobachten seit geraumer Zeit, dass uns die Hausärzte auszugehen drohen, weil zu wenig in das System nachkommt. … Wir haben bereits lange kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit. Die Hebel zur Anpassung des Systems wurden nicht rechtzeitig umgelegt.“ |
3 | „Ich sehe die reale Gefahr eines äußerst gefährlichen Teufelskreises, an dessen Ende die Substanz der Hausärzteschaft zerbröselt.“ |
4 | „Junge Mediziner gehen nicht aus dem Grund nicht mehr in die Hausarztpraxen weil sie zu wenig Geld verdienen, sondern weil die Rahmenbedingungen als zu unattraktiv gelten.“ |
5 | „Das Berufsbild des Hausarztes ist vermutlich wichtiger und gefragter denn je. Um diesen Bedarf einzulösen, bedarf es jedoch tiefgreifender Weichenstellungen. … Es fehlt an diesem generellen Umdenken.“ |
6 | „Hausärzte müssen im Hinblick auf ihre Entscheidungskompetenz gestärkt werden. Nach Lage der Dinge ist der Schlüssel dazu nur ein Primärarztsystem, das seinen Namen verdient.“ |
7 | „Kombinierte Zentren leisten zwar einer Verlagerung weg von der traditionellen Praxis Vorschub, was man ambivalent sehen kann. Es gibt jedoch eine große Chance, Hausärzte von ihrem Einzelkämpferdasein zu befreien, den Bereich zu modernisieren und besser an andere Berufsgruppen anzubinden.“ |
8 | „Das Prinzip ist sinnvoll: Die Ärzte dort arbeiten auf eigene Rechnung, sie teilen sich aber auch bestimmte Kosten, Teamarbeit wird großgeschrieben. … Meine eigene Tochter arbeitet in einem solchen Ärztezentrum und könnte sich nicht mehr vorstellen, in eine normale Praxis zu gehen.“ |
9 | „Ich bin alles andere als überzeugt, dass mehr Studienplätze automatisch zu mehr Ärzten führen. Das System ist so voreingestellt, dass wir in erster Linie Spezialisten heranzüchten. Genau das muss geändert werden.“ |
10 | „Das Denken, dass alles am Hausarzt hängt, muss sich noch stärker ändern. Hier gibt es noch große Potenziale. Dazu gilt es, nicht-ärztliche Berufe aufzuwerten, an die eine Delegation erfolgen kann. Dieses Prinzip funktioniert in anderen Ländern sehr viel besser als bei uns.“ |
11 | „Die Probleme werden sich verschärfen, wenn wir nicht stärker in das ganze Verteilungssystem eingreifen. Die Datenlage, wie groß der Bedarf an verschiedenen Disziplinen ist, müssen hierzu ausschlaggebend sein. Das hat zur Folge, dass die Allgemeinmedizin einen größeren, festgeschriebenen Anteil im Bereich der Weiterbildung erhält und dass notfalls auch die freie Berufswahl ein Stück weit hinter der Priorität des Bedarfs zurückzustecken hat.“ |
12 | „Ich habe es ja aus eigener Erfahrung als Lehrarzt miterlebt: So ein Begleitprogramm öffnet Horizonte; es führt sorgsam heran und motiviert. … Es vermittelt, was die breit gefächerte Arbeit des Allgemeinarztes praktisch bedeutet. … Dabei lassen sich Hausärzte sehr sinnvoll einbeziehen. Meines Erachtens weisen solche Modelle in die Zukunft.“ |
13 | „Die Bemühungen der letzten Jahre sind grundsätzlich als richtig zu bewerten, trotzdem sind sie lange nicht beherzt und entschlossen genug, wenn man zugrunde legt, welches Ausmaß des Ärztemangels in den nächsten Jahren auf uns zukommen wird. … Es ist eine reale Gefahr, dass wir den Anschluss an diese Entwicklung verpassen und dann wieder einmal der berüchtigten Welle hinterherlaufen.“ |
14 | „Es wird derzeit eine Menge herumlaboriert, aber das Problem bleibt, dass die Hausarztmedizin nach wie vor nicht attraktiv genug ist, um ausreichend neues Personal anzuziehen.“ |
15 | „Es ist immer noch nicht geschehen: … Die Studierenden müssen in einem umfassenden Sinne viel stärker an die Hausarztmedizin herangeführt werden. Darunter sind nicht in erster Linie irgendwelche Quoten zu verstehen, sondern Einblicke, Motivation und Kompetenzen. Dahingehend haben wir nach wie vor eine große Leerstelle.“ |
16 | „Die Allgemeinmedizin speziell und der niedergelassene Bereich allgemein muss ins Zentrum des Studienstoffes rücken – mit allem, was dazu gehört.“ |
17 | „Diese Quotendiskussionen und Quotenlösungen kennen wir nun hinlänglich aus anderen Bereichen. Dort sind Quoten selten die Lösungen, sondern verstärken eher das Bild, dass irgendjemand Nachhilfe nötig hat, weil er besonders schlecht da steht.“ |
18 | „Ein angehender Hausarzt oder Hausärztin ist aus speziellem Holz geschnitzt. Wir müssen da besser hinsehen, um die Richtigen zu gewinnen und diese frühzeitig zu fördern. … Dies müssen nicht die Besten und die Klügsten mit den tollsten Abiturnoten sein, sondern gerade Hausärzte sind qua Profession Leute mit Lebens- und Menschenerfahrung. … Das System muss Persönlichkeit und Vorerfahrungen noch mehr honorieren.“ |
19 | „Bei der Weiterbildung hapert es an verschiedenen Stellen. Sie ist nicht kompakt genug, aber auch nicht nah genug an der hausärztlichen Realität dran. Kompetenzen werden nicht praxisnah genug vermittelt, aber auch zu wenig aktuelles Wissen wie Evidenznähe oder digitale Möglichkeiten der Medizin.“ |
20 | „Die Idee, dass die Universitäten auch in der Weiterbildungszeit mit die wichtigsten Partner bleiben, ist sehr wichtig und trägt zur Professionalisierung bei.“ |
21 | „Diese Einrichtungen können entscheidend dazu beitragen, dass die Vorbereitung und Begeisterung für den Job besser gelingt und dass auch Abbruchquoten in der Weiterbildung sinken. … Sie müssen noch mehr Förderung und mehr Effektivität erhalten.“ |
22 | „Ich wünsche mir, dass wir Hausärzte nicht mehr am Gängelband von Bürokratie und Kostenvorgaben hängen. … Mit einer permanenten Regressdrohung behandelt es sich höchst unbequem. … Ebenso wünsche ich mir, dass eine bessere Steuerung der Gesundheitsversorgung dazu führt, dass wir nicht mehr die Ausputzer von Fehlstellungen sind, für die wir nichts können. … Dann kann auch ein anderes Bild von uns in der Öffentlichkeit entstehen.“ |
23 | „In einem sich immer weiter aufspaltenden und verästelnden Gesundheitssystem gibt es einen enormen Bedarf nach kompetenten Allroundern. In meinen Augen führt kein Weg daran vorbei, die Hausarztmedizin in eine neue Ära zu bringen.“ |
24 | „Wenn wir ganz unterschiedliche Stellschrauben nutzen, um Hausarztpraxis umfassend zu modernisieren, zu entlasten und aufzuwerten, dann kann sie wieder das sein, was sie früher einmal war: das Rückgrat des Versorgungsgeschehens. … Es gibt jedoch eine Menge zu tun.“ |
Ergebnisse
Status quo und Entwicklung der hausärztlichen Versorgung in längerfristiger Perspektive
Fragen 1, 2, 8 und 10 (N = 4176) | Gesamtzustimmung (%) | Urbane vs. Landärzt*innen (%) |
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Frage: Wie schätzen Sie das ein: Wird sich die Gesundheitsversorgung in Deutschland in den nächsten Jahren insgesamt eher verbessern oder eher verschlechtern? | 56 % (Eher verschlechtern/ Deutlich verschlechtern) | 51/61 |
Frage: Wie schätzen Sie dies für speziell für die ambulante Versorgung ein, also niedergelassene Haus- und Fachärzt*innen? Wird sich die Gesundheitsversorgung hier … | 67 % (Eher verschlechtern/ Deutlich verschlechtern) | 53/81* |
Frage: Wenn es um Zukunft und Entwicklungsperspektiven der hausärztlichen Versorgung im Zeitraum der nächsten 10 bis 20 Jahre geht: Sind Sie diesbezüglich eher zuversichtlich oder eher besorgt? | 73 % (Eher besorgt/ Sehr besorgt) | 60/86* |
Frage: Wenn es um die längerfristige Gewährleistung der hausärztlichen Versorgung geht. Wie schätzen Sie dies ein: Wie gut ist die hausärztliche Versorgung in Deutschland für die kommenden Jahrzehnte gesichert? | 77 % (Eher nicht so gut gesichert/ Überhaupt nicht gesichert) | 65/89* |
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Stellung der hausärztlichen Versorgung im deutschen Gesundheitswesen: Die Befragten monieren eine zu schwach regulierte und daher ineffektive Arbeitsteilung zwischen den Versorgungssektoren. Im Ergebnis führe dies wirtschaftlich, zeit- und ressourcenbezogen unverhältnismäßig stark zu einer Belastung von Hausärzt*innen. Die mangelnde Einbeziehung von Hausärzt*innen im interprofessionellen Zusammenhang führe u. a. zu unnötigen Redundanzen und u. U. zu einer schlechteren Versorgung. Da Nachwuchsmediziner*innen die nachteilige Rolle von hausärztlichen Primärversorger*innen nicht verborgen bleibe, seien diese zumeist nicht geneigt, die Allgemeinmedizin als Arbeitsbereich ins Auge zu fassen.
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Voraussetzungen in Aus- und Weiterbildung: Aufgrund mangelnder Vorbereitung auf eine ambulante und hausärztliche Tätigkeit im Curriculum gehe derzeit nach Dafürhalten vieler Befragter selbst der harte Kern derjenigen, die der Hausarztmedizin zugetan sind, teilweise verloren. Diese Problematik manifestiere sich auch und gerade bei den Themen der Selbstständigkeit und des Praxismanagements. Zudem würden der Wert, der Alltag und die Motivationsfaktoren der hausärztlichen Arbeit nicht im ausreichenden Maße vermittelt.
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Arbeitsbedingungen: Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich darauf, dass es die Gesundheitspolitik zu lange versäumt habe, die veränderten Vorstellungen von Berufstätigkeit oder der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Form neuer Beschäftigungsmodelle auszugestalten (z. B. mehr Teilzeitoptionen, flexible Arbeitszeiten, geringerer Wunsch nach Selbstständigkeit, stärkere interdisziplinäre Anbindung).
Persönliche Belastungserfahrungen sowie Beobachtungen zum Ärzt*innenmangel
Frage: Als wie groß erleben Sie die folgenden Problematiken bei der Ausübung Ihrer hausärztlichen Arbeit? (N = 4176; Antwortkategorien „sehr groß“/„eher groß“ wurden zusammengefasst) | Gesamtzustimmung (%) | Urbane vs. Landärzt*innen (%) |
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Kostendruck und -restriktionen im Gesundheitswesen (z. B. mit Folgen der Einschränkung einer optimalen und individuellen Versorgung) | 94 | 91/97 |
Bürokratischer Aufwand (z. B. Dokumentations- und Nachweisverpflichtungen) | 92 | 94/90 |
Schwierigkeiten bei der Personalsuche (z. B. Praxispersonal, angestellte Ärzt*innen) | 77 | 63/91* |
Zusätzliche Belastungen aufgrund des Ärztemangels (z. B. weil die eigene Praxis aufgrund anderer Hausarztpraxen, die keine Nachfolge gefunden haben und schließen mussten, mehr Patient*innen versorgen muss) | 57 | 39/75* |
Mangelnde Verfügbarkeit von Fachärzt*innen in der Umgebung, um die eigene hausärztliche Arbeit als „Lotse im System“ angemessen ausüben zu können | 44 | 33/55* |
Favorisierte Ansätze bzw. Maßnahmen zur Sicherstellung der Hausarztmedizin
Frage: Nachfolgend stehen verschiedene Maßnahmen. Bitte geben Sie jeweils an, für wie effektiv Sie diese Maßnahmen zur längerfristigen Sicherung der hausärztlichen Versorgung halten? (N = 4176; Antwortkategorien „sehr effektiv“/„eher effektiv“ wurden zusammengefasst) | Gesamtzustimmung (%) | Urbane vs. Landärzt*innen (%) |
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Einführung eines Primärarztsystems, das Hausärzt*innen verbindlich zu ersten Ansprechpartnern für Patient*innen macht und einen direkten und parallelen Besuch von Spezialist*innen vermeidet | 85 | 79/91 |
Systematische Etablierung ergänzender longitudinaler Begleitprogramme parallel zum Medizinstudium, die Interesse, Einsichten und Kompetenzen in Bezug auf die Hausarztmedizin vermitteln | 80 | 86/74 |
Verlagerung weg von klassischen Praxismodellen hin zu multiprofessionellen Zentren der ambulanten (Primär‑)Versorgung, um die hausärztliche Versorgung zu erweitern (z. B. Gesundheitszentren in Kliniknähe oder in städtischen Zentren, die multiprofessionelle Kooperation und andere, flexiblere Arbeitsmodelle erlauben) | 64 | 73/55* |
Signifikante Verringerung des allgemeinen Kostendrucks für Hausärzt*innen | 62 | 60/64 |
Deutliche Erhöhung des Anteils der Allgemeinmedizin in der Weiterbildung (z. B. auf ein Drittel) | 60 | 59/61 |
Inhaltlich-curriculare Umstrukturierung des Medizinstudiums (bessere und gezieltere Vorbereitung auf ambulante, niedergelassene Perspektive) | 56 | 61/51 |
Grundlegende Reform der allgemeinmedizinischen Weiterbildung (u. a. Verkürzung und Flexibilisierung, stärkere Ausrichtung an den zentralen Kompetenzen für die hausärztliche Arbeit) | 53 | 53/53 |
Verbindlichkeit des hausärztlichen Leistungskatalogs, um hausärztliche Aufgabenportfolios klar zu umreißen und eine Überlastung von Hausärzt*innen zu verhindern (z. B. durch Sicherstellung von ausreichender Qualifikation und Stundenumfang) | 52 | 48/56 |
Stärkere Änderung der Zulassungskriterien zum Medizinstudium (in größerer Breite Faktoren wie Persönlichkeit und curriculare Spezifika stärker und umfassender berücksichtigen) | 50 | 52/48 |
Delegation und verstärkter Einsatz nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe sowie Ausweitung von deren Befugnissen | 44 | 32/56* |
Effektive ärztliche Personalrekrutierung (verstärkte Arbeit mit Anreizen und Belohnungen, z. B. durch Kommunen und Fördermittel bzw. Prämien, wenn etwa eine Ansiedlung im ländlichen Gebiet erfolgt) | 38 | 30/46* |
Grundlegende Aufwertung der Vergütung von Hausärzt*innen (z. B. dass diese mindestens dem Niveau von Spezialist*innen entspricht) | 38 | 36/40 |
(Stärkere) Bedarfsplanung mit gezielt regionaler Verteilungswirkung | 35 | 29/41 |
Deutlich mehr Studienplätze im Fach Humanmedizin | 35 | 35/35 |
Durchgehende, bundesweite Einrichtung einer Landarztquote (für sämtliche Bundesländer klar geregelt, ggf. als On-top-Quote) | 34 | 23/45* |
Verstärkter und systematischer Einsatz von Digitalisierung und Telemedizin (u. a. Videosprechstunden, Verschreibung von Gesundheits-Apps zum Selbstmanagement von Patient*innen) | 28 | 43/13* |
Quotierung des Zugangs zur Spezialist*innenweiterbildung | 25 | 26/24 |
Berechtigung zu hausärztlicher Tätigkeit stärker für Quereinsteiger*innen mit anderen disziplinären Hintergründen öffnen | 22 | 25/19 |