Allgemeinmedizinische Institute und Forschungspraxennetze stehen fortwährend vor der Herausforderung, wie sie hausärztliche Praxisteams an Forschungsvorhaben aktiv und nachhaltig beteiligen können. In Deutschland gibt es derzeit keine standardisierten Research-ready-Kriterien.
Fragestellung
Was braucht es aus der Sicht von hausärztlichen Praxisteams, um an Forschungsprojekten teilnehmen zu können?
Material und Methoden
Drei Fokusgruppendiskussionen wurden mit insgesamt 13 Hausärzt*innen (HÄ) und 12 Medizinischen Fachangestellten (MFA) im Februar und März 2023 durchgeführt. Die Voraussetzungen für eine empfundene Forschungseinsatzfähigkeit („research readiness“) wurden im Rahmen von drei Studiendesigns erfragt und diskutiert. Anhand der Beobachtungsprotokolle und der Whiteboardaufzeichnungen erfolgte eine qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz.
Ergebnisse und Diskussion
Es konnten sowohl studienspezifische als auch studienübergreifende Voraussetzungen identifiziert werden. Um sich forschungsfit zu fühlen, benötigen HÄ und MFA nicht nur die Unterstützung und Koordination durch die Studienverantwortlichen. Auch die eigene Bereitschaft und entsprechende Ressourcen müssen innerhalb des Praxisteams vorhanden sein. Die Erkenntnisse der Diskussionsrunden fließen in die Erstellung eines Research-ready-Konzepts für Forschungspraxennetze in Deutschland ein.
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Hintergrund und Fragestellung
Um in Deutschland mehr und größere (klinische) Studien im hausärztlichen Setting durchzuführen, braucht es ausreichend Hausarztpraxen, die bereit und befähigt sind, an Forschungsprojekten teilzunehmen – die sozusagen „research ready“ sind. Zur Definierung deutschlandweiter Standards beteiligen sich wissenschaftlich und hausärztlich tätige Mitglieder aus allen 6 BMBF-geförderten Forschungspraxennetzen in der Arbeitsgruppe Rekrutierung/Akkreditierung/Incentivierung (AG RAI) der Initiative Deutscher Forschungspraxennetze – DESAM-ForNet an der Entwicklung eines Research-ready-Konzeptes (siehe Abb. 1; [1, 2]). Entsprechende Kriterien und Empfehlungen aus anderen Ländern (z. B. Großbritannien; [3‐7]) lassen sich aufgrund struktureller und prozeduraler Besonderheiten nur bedingt auf das hausärztliche Setting und die allgemeinmedizinische Forschung in Deutschland übertragen [8]. Aufbauend auf den Anforderungen und Merkmalen, die die teilnehmenden Forschungspraxennetze und deren Vorgängerstrukturen an ihre jeweiligen Forschungspraxen stellen [9‐14], wurde in der AG RAI ein erster übergreifender Kriterienkatalog entwickelt, der verschiedene Stadien der Forschungseinsatzfähigkeit („research readiness“) beschreibt [15]. Zur Integration der Praxisperspektive wurden anschließend Hausärzt*innen (HÄ) und Medizinische Fachangestellte (MFA) in Onlinefokusgruppen zu empfundenen Voraussetzungen befragt, um „forschungsfit“ und damit bereit zu sein, an Forschungsprojekten im Forschungspraxennetz teilzunehmen.
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Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Es handelt sich um ein qualitatives Studiendesign in Form von online durchgeführten Fokusgruppenbefragungen [17]. Das Studienformat wurde ausgewählt, um möglichst unterschiedliche Informationen, wie z. B. Erfahrungen, Wahrnehmungen, implizites Wissen, Perspektiven, Haltungen und Ansichten der beteiligten HÄ und MFA, abbilden zu können [18]. Die Teilnehmenden wurden im persönlichen Kontakt (zumeist per E‑Mail oder telefonisch) rekrutiert und stammten allesamt aus den Forschungspraxenpools bzw. den Forschungspraxenbeiräten der 6 BMBF-geförderten Forschungspraxennetze („purposive sampling“ bei HÄ und MFA, die bereits Forschungsinteresse bekundet hatten). Aufgrund des qualitativen Forschungsansatzes ohne Anspruch auf Repräsentativität erfolgte keine Fallzahlberechnung.
Im Februar und März 2023 wurden insgesamt 3 berufshomogene Fokusgruppen (2 für HÄ, eine für MFA) im Onlineformat mit 4–12 Teilnehmenden durchgeführt. Die Veranstaltungen dauerten jeweils 2,5 h. Der detaillierte Ablauf ist als Supplement 1 online abrufbar.
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Jede Fokusgruppe wurde von einem/r erfahrenen Forschenden mit entsprechendem Peer-Hintergrund moderiert. Die Moderatorin bzw. der Moderator orientierte sich an einem innerhalb der AG RAI entwickelten, semistrukturierten Diskussionsleitfaden (siehe Supplement 1). In jeder Fokusgruppe wurden 3 Studiendesigns für unterschiedliche Möglichkeiten und Intensitäten der Forschungsbeteiligung vorgestellt. In den anschließenden Diskussionsrunden wurden zu jedem Studiendesign 5 Fragen an die Teilnehmenden gerichtet (siehe Abb. 3).
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Die Fokusgruppen wurden von einem/r Mitarbeitenden zum technischen Support unterstützt, ein/e Mitarbeitende/r erstellte für alle sichtbare Notizen auf einem Onlinewhiteboard, ein/e Mitarbeitende/r zeichnete wörtliche und sinngemäße Zitate auf und ein/e Mitarbeitende/r verfasste ein Beobachtungsprotokoll zur Kommunikation und Interaktion unter den Teilnehmenden sowie zu gruppendynamischen Prozessen [18]. Alle Teilnehmenden erhielten schriftliche Studienmaterialien und unterzeichneten vor der Teilnahme an der Fokusgruppe eine Einverständniserklärung (inkl. Veröffentlichungen von Bildaufnahmen). Außerdem wurde jedem/r Teilnehmenden eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 100 € (finanziert aus den jeweiligen Forschungspraxennetzen) gezahlt.
Die Studie wurde von der Ethikkommission des Universitätsklinikums Jena am 16.11.2022 positiv beschieden (Reg.-Nr.: 2022-2800-Bef).
Die Analyse fand anhand der Ergebnissicherung (Onlinewhiteboard) und der Protokolle themenzentriert entsprechend der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz [19] statt. In Anlehnung an den Interviewleitfaden erfolgte unter allen 8 Autor*innen (Konsensverfahren) eine Themenidentifikation mit anschließender Kategorisierung. Die Ergebnisse werden gemäß der SRQR-Empfehlungen [20] sowie der COREQ-Checkliste [21] berichtet.
Ergebnisse
An den 3 Fokusgruppendiskussionen nahmen insgesamt 13 HÄ und 12 MFA teil, die allesamt aus den 6 geförderten Forschungspraxennetzen rekrutiert wurden. Davon waren 9 HÄ (69,2 %) und 4 MFA (33,3 %) bereits forschungserfahren. Die Charakteristika der Teilnehmenden sind Tab. 1 zu entnehmen.
Tab. 1
Charakteristika der Teilnehmer*innen der drei Fokusgruppen
Charakteristika
HÄ (n = 13)
MFA (n = 12)
Weibliches Geschlecht, n (%)
4 (30,8)
12 (100)
Alter in Jahren, Mittelwert (SD)
50 (11,3)
38,9 (10,4)
Berufserfahrung in der hausärztlichen Versorgung in Jahren, Mittelwert (SD)
16,2 (10,5)
13 (9)
Wochenarbeitsstunden, n (%)
Weniger als 30 h
2 (15,4)
1 (8,3)
30–49 h
8 (61,5)
10 (83,3)
50 und mehr Stunden
3 (23,1)
–
Keine Angabe
–
1 (8,3)
Vorherige Teilnahme an Forschungsprojekten, ja (%)
Aus dem Analysematerial wurden 4 inhaltliche Hauptkategorien gebildet, von denen 3 im Folgenden vorgestellt werden. Jede Hauptkategorie gliederte sich in die beiden Unterkategorien „studienübergreifend“ und „studienspezifisch“. Auf die Hauptkategorie „Barrieren“ wird in dieser Veröffentlichung nicht ausführlich eingegangen, da primäres Ziel die Identifikation von Voraussetzungen für eine empfundene Forschungseinsatzfähigkeit war. Eine tabellarische Zusammenfassung der Ergebnisse mit weiteren Zitaten ist als Begleitmaterial online verfügbar (siehe Supplement 2).
Voraussetzungen für eine Studienteilnahme: Das müssen Studienverantwortliche bieten
Studienübergreifend: Die teilnehmenden HÄ fordern über alle 3 vorgestellten Studiendesigns hinweg ausreichend klare und übersichtliche Informationen vor allem zu Regularien, Vorgaben, Abläufen, Fragestellung sowie zu den konkreten Aufgaben und Zuständigkeiten. Niedrigschwelligkeit, Praxistauglichkeit und ein transparenter Austausch auf Augenhöhe werden als bedeutsam empfunden.
Von den Forschenden wünschen sich HÄ vor allem praxisnahe und interessante Fortbildungen bzw. Trainings mit guter didaktischer Aufbereitung und passenden Lernzielen. Entsprechende Veranstaltungen sollten idealerweise zu einer Motivationssteigerung und einem Wissenszuwachs bei MFA und mittelbar auch bei Patient*innen führen. Im Sinne der Praktikabilität müssten bestehende Rollen und Arbeitsabläufe in den Praxen zwingend von den Forschenden berücksichtigt werden. Praxisbesuche durch die Studienverantwortlichen werden als wertschätzend und hilfreich empfunden. Der bereits erwähnte kontinuierliche und transparente Austausch beinhalte dabei unter anderem Erinnerungen (per E‑Mail oder Fax), ein ehrliches Feedback (auch an MFA) sowie Ergebnisrückmeldungen (z. B. Benchmarking).
Die MFA fordern in der Vorbereitung und während der gesamten Studiendauer eine feste Ansprechperson von Seiten des Studienzentrums. Falls relevante Informationen per E‑Mail oder per Post verschickt würden, sollte dies im Vorfeld telefonisch angekündigt werden.
Einige HÄ wünschen sich von den Studienverantwortlichen einen frühestmöglichen Einbezug (bereits bei Themenidentifikation und Studienplanung).
„Wenn schon Praxen vor Ort gebraucht werden, dann sollten sie auch Mitsprache bei den Themen haben.“ HÄ-Zitat
Von den teilnehmenden MFA wurde ebenfalls der Wunsch geäußert, in die Studienplanung (hier konkret: Studienablauf, Datenschutz) einbezogen zu werden. In der MFA-Fokusgruppe wurde zudem deutlich, dass eine adäquate Aufwandsentschädigung zwar notwendig sei, jedoch nicht den primären Anreiz für ein Forschungsengagement darstellen dürfe.
„Work-Life-Balance ist ein wichtiger Faktor: Forschung muss oft nach der Sprechstunde gemacht werden, ein kleiner Obolus ist da schon angebracht.“ MFA-Zitat
Studienspezifisch: Im Vorfeld der Fokusgruppendiskussion, die zugleich eines der vorgestellten Studiendesigns darstellte, hätten sich einige HÄ und MFA ohne Forschungserfahrung konkretere Informationen (z. B. Tagesordnung, Themen) gewünscht. Onlinetreffen werden hierbei als geeignete Kommunikationsform bewertet. In Vorbereitung auf eine Kohortenstudie und eine Routinedatenanalyse wünschen sich die HÄ ein Vorabtreffen zwischen Praxis- und Forschungsteam, feste Terminabsprachen, definierte Erhebungsparameter, Informationsmaterial für Patient*innen (z. B. Textvorlagen zur Veröffentlichung auf der Praxishomepage oder als Aushang im Wartebereich) und ein Studienbuch (bebildertes Manual).
„Vielleicht braucht es einen Standardsatz: Wie erkläre ich es den Patienten?“ HÄ-Zitat
In entsprechenden Schulungen bzw. Trainings sollten der Umgang mit Daten(-banken), ethische Aspekte, Datenschutzbestimmungen, Dokumentationsaufwand und -inhalte sowie die Ein- und Ausschlusskriterien vermittelt werden.
Bei Studien mit Patienteneinschluss fordern teilnehmende HÄ eine Unterstützung der Studienverantwortlichen (z. B. durch Doktoranden oder Studienassistent*innen) bei Rekrutierung, Aufklärung, Dateneingabe und -aufbewahrung, um den entstehenden Mehraufwand für die Praxis so gering wie möglich zu halten.
Die MFA empfehlen, dass die Studienverantwortlichen bestimmte Faktoren, wie (nicht)vorhandene digitale Affinität und Datenkompatibilität, stärker berücksichtigen. Eine Studienteilnahme sollte interessierten Patient*innen sowohl digital als auch in Papierform ermöglicht werden. Zusätzliche Arbeit für das Praxisteam, wie z. B. Abtippen von Studiendaten in eine Eingabemaske, sollte vermieden werden.
Beide Berufsgruppen geben zu bedenken, dass sowohl das Verständnis und die Motivation der Patient*innen als auch deren Alter und Gesundheitszustand die Umsetzung von Studien mit Patienteneinschluss erschweren könnten.
„Die Motivation des Patienten – was hat er für einen Vorteil davon? Das muss klar darstellbar sein.“ HÄ-Zitat
„Eine Studie kann nicht an der Anmeldung erklärt werden. Ältere Patienten sind schnell überfordert … und mir als MFA fehlt für solche Gespräche die Zeit.“ MFA-Zitat
Aus Sicht der MFA sei es bei Studien mit Patienteneinschluss zielführender, wenn Patient*innen vom Arzt bzw. von der Ärztin während der Sprechstunde aufgeklärt werden und direkt eine Einwilligung zur Studienteilnahme unterschreiben.
„Der Arzt ist eine andere Persönlichkeit. In diesem Setting klappt der Einschluss der Patienten besser.“ MFA-Zitat
Voraussetzungen für eine Studienteilnahme: Das müssen Praxisteams mitbringen
Studienübergreifend: In allen 3 Fokusgruppen (HÄ und MFA) werden ein geringer bzw. verhältnismäßiger Zeitaufwand, vorhandenes Grundinteresse, Engagement und intrinsische Motivation als wichtige Voraussetzungen auf Seiten des Praxisteams identifiziert.
„Unsere Praxismitarbeiter hätten dafür keine Zeit. In der Freizeit würden sie sich nicht beteiligen. Am Ende bleiben auch nur ganz wenige Ärzte übrig, die sich dafür bereiterklären.“ HA-Zitat
„Das Wichtigste ist das Interesse an der Forschung. … Wenn Forschung vorangetrieben wird, kommen auch MFA voran.“ MFA-Zitat
Teilnehmende MFA erachten darüber hinaus einen (regelmäßigen) Austausch im Praxisteam, Zeit für Fortbildungen und Studienvorbereitung sowie eine effektive Aufgabenverteilung mit festen Ansprechpersonen („Studien-MFA“) als notwendige Voraussetzungen für eine Studienteilnahme.
„… eine offene Kommunikation, dass dafür Zeit benötigt wird. Wer Interesse hat, wird vom Team unterstützt.“ MFA-Zitat
Studienspezifisch: Im Fall einer Bereitstellung von aggregierten Patient*innenendaten brauche es ein geeignetes Praxisverwaltungssystem (PVS) und eine Person, die sich damit gut auskennt. Die Gesamtverantwortung liege beim Arzt/bei der Ärztin. Nur bestimmte Aufgaben könnten delegiert werden. Bei Gemeinschaftspraxen und MVZ sei zudem die Zustimmung aller Ärzt*innen zur Einsichtnahme in die Daten erforderlich. Bei Studien mit unterschiedlichen Erhebungszeitpunkten (z. B. quartalsweise) identifizieren beide Berufsgruppen personelle Kontinuität, Verbindlichkeit und Erreichbarkeit als wichtige Voraussetzungen auf Seiten der Praxisteams. Wenn Patient*innen in eine Studie eingeschlossen werden sollen, müssten alle Studienverantwortlichen die relevanten Inhalte verstehen und vermitteln können.
Motivatoren
Studienübergreifend: Beide Berufsgruppen geben intrinsische Beweggründe als wichtige Motivatoren zur Beteiligung an allgemeinmedizinischer Forschung an: Neugierde, Interesse an Fragestellung bzw. Thema, Abwechslung vom Praxisalltag, Wunsch nach Verbesserung und Fortschritt.
In den hausärztlichen Fokusgruppen wurden weitere studienübergreifende Motivatoren genannt: Austausch- und Beteiligungsmöglichkeiten, Weitergabe von Erfahrungen, interessante Schulungen, Erkenntnisgewinn für die Praxis.
„[…] Weitergabe der eigenen Erfahrung, Formulierung von Wünschen, Voranbringen der Sache und etwas für die Praxis mitnehmen.“ HÄ-Zitat
Forschende könnten zudem unterstützen, indem sie Kontakte zu anderen, an der entsprechenden Studie teilnehmenden MFA vermitteln.
„Ein Austausch mit anderen MFAs wäre hilfreich, wenn es Probleme bei der Durchführung gibt.“ MFA-Zitat
Diskussion
Die vorliegende qualitative Studie beleuchtet die Perspektiven von forschungsinteressierten HÄ und MFA zu studienübergreifenden und studienspezifischen Voraussetzungen für eine empfundene Forschungseinsatzfähigkeit. Es konnten sowohl Voraussetzungen auf Seiten der Studienverantwortlichen als auch auf Seiten der Praxisteams identifiziert werden.
Dabei stehen die Ergebnisse unserer Fokusgruppendiskussionen größtenteils im Einklang mit der internationalen wie nationalen Literatur, in der bereits zahlreiche Strategien und Voraussetzungen dargestellt wurden, die eine Beteiligung von hausärztlichen Praxisteams an allgemeinmedizinischer Forschung ermöglichen sollen [5, 7, 8, 11‐14, 22‐28]. So wurden unter anderem feste Ansprechpersonen, eine funktionierende multidirektionale Kommunikation, eine klare Definition der zu erwartenden Pflichten und die (zeitnahe) Rückmeldung von Ergebnissen als wichtige studienübergreifende Voraussetzungen benannt [5, 7, 10‐12, 27]. Analog zu bestehenden Empfehlungen wollen HÄ und MFA frühzeitig in Planung und Umsetzung von Projektideen einbezogen werden, um die Relevanz und Machbarkeit von Forschungsprojekten zu gewährleisten [12‐14, 28, 29]. Die unterschiedlichen Dimensionen und Ebenen der Forschungseinsatzfähigkeit, wie sie im adaptierten TIRRE-Modell von Carr et al. [4] herausgearbeitet wurden, spiegeln sich auch in den Wünschen und Bedarfen der Fokusgruppenteilnehmer*innen wider. Je nach Studiendesign und Aufwand benötigen HÄ und MFA lediglich wenige Vorinformationen bis hin zu einer intensiven Unterstützung durch das Studienzentrum (inkl. Schulungen, technisch-administrativer Support, Studienmaterial), um sich forschungsfit zu fühlen [8, 28]. Bei Studien mit Patienteneinschluss wird insbesondere die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Einschränkungen von infrage kommenden Patient*innen als Voraussetzung identifiziert (Stichwort: „patient readiness“).
Bekannte Motivatoren zur Gewinnung von HÄ für die allgemeinmedizinische Forschung, wie z. B. praxisrelevante Fortbildungen und Fragestellungen, ein erwarteter Wissenszuwachs und die damit verbundene Verbesserung der Versorgungsqualität [9‐12, 27, 28, 30‐32], wurden auch in unseren Fokusgruppendiskussionen angegeben.
Neun von 13 teilnehmenden HÄ hatten bereits Forschungserfahrung gesammelt. Messner et al. fanden heraus, dass forschungserfahrenes Praxispersonal (sowohl ärztlich als auch nichtärztlich) im Vergleich zu forschungsunerfahrenem deutlich häufiger intellektuelle, berufliche und gesellschaftliche Vorteile als Motivatoren für eine Forschungsbeteiligung identifiziert [32]. Entsprechend positive Einstellungen und Ansichten konnten auch bei den teilnehmenden HÄ festgestellt werden. Von den 12 teilnehmenden MFA hatten lediglich 4 bereits vor der Fokusgruppendiskussion Forschungserfahrungen gesammelt. Nichtsdestotrotz wurden innerhalb der MFA-Fokusgruppe übergeordnete und langfristige Vorteile einer Forschungsbeteiligung identifiziert. Unsere Fokusgruppengespräche geben außerdem Hinweise darauf, dass eine angemessene Aufwandsentschädigung hauptsächlich von MFA als Motivator – oder sogar Voraussetzung – für eine Forschungsbeteiligung erachtet wird [28, 33].
Die Perspektiven der teilnehmenden HÄ und MFA flossen in die Erstellung eines Research-ready-Konzepts für Forschungspraxennetze in Deutschland ein [34].
Stärken und Schwächen
Bei dem vorgestellten qualitativen Forschungsprojekt handelt es sich um die erste gemeinsame Studie der 6 geförderten Forschungspraxennetze mit Beteiligung von HÄ und MFA aus allen Netzen. Die Durchführung berufshomogener Fokusgruppen ermöglichte einen Austausch innerhalb der jeweiligen Peer-Gruppe und die adäquate Berücksichtigung beider Berufsgruppen. Die Bewertung erfolgte anhand konkreter Studiendesigns und lässt Rückschlüsse auf studienübergreifende und studienspezifische Aspekte zu. Bei der inhaltlichen Kategorisierung zeigte sich jedoch, dass sich die empfundenen Voraussetzungen („must have“) und Motivatoren („nice to have“) nicht immer eindeutig voneinander trennen ließen. Interventionsstudien (einschl. Arzneimittelstudien) waren aufgrund standardisierter Vorgaben (z. B. Prüfarztschulungen, strenges Studienprotokoll) kein Bestandteil der Diskussionsrunden und können entsprechend nicht in unsere Auswertungen eingeschlossen werden. Auch wenn die Teilnehmenden darüber informiert wurden, dass ihre Angaben und Aussagen ohne Rückbezug auf die Person ausgewertet (und ggf. veröffentlicht) werden, lässt sich soziale Erwünschtheit nicht ausschließen. Der bereits beschriebene Selektionsbias (forschungsinteressierte bzw. -erfahrene Teilnehmer*innen) muss ebenfalls als wichtige Limitation angesehen werden. Durch Befragungen von HÄ und MFA, die sich nicht aktiv an der Forschung beteiligen möchten, können eventuell weitere Themen identifiziert werden, die im Rahmen des Research-ready-Konzepts adressiert werden sollten.
Fazit für die Praxis
In 3 Fokusgruppen haben HÄ und MFA studienübergreifende und studienspezifische Voraussetzungen für eine empfundene Forschungseinsatzfähigkeit benannt.
Das müssen Studienverantwortliche bieten: Praxisrelevanz, Machbarkeit (zeitlich und organisatorisch), geeignete Informationen, Wertschätzung, Unterstützung/Erreichbarkeit, Ergebnisrückmeldungen, adäquate Aufwandsentschädigung.
Das müssen teilnehmende Praxisteams mitbringen: Zeit, technische und personelle Ressourcen, Neugierde, Interesse für das Thema, Motivation, Bereitschaft für Verbindlichkeit.
Die Ergebnisse flossen in die Erstellung eines Research-ready-Konzepts für Forschungspraxennetze in Deutschland ein.
Danksagung
Wir danken allen Hausärzt*innen und Medizinischen Fachangestellten, die an den Fokusgruppendiskussionen teilgenommen haben.
Förderung
Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme „Aufbau einer Netzwerkstruktur für Forschungspraxen zur Stärkung der Allgemeinmedizin“ finanziert. Die Open-Access-Finanzierung wurde durch das Projekt DEAL ermöglicht und organisiert.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
F. Wolf, M. Klanke, A.-A. Klein, D. Kuschick, H. Lingner, S. Löscher, S. Stark und K. Mergenthal geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Die Studie wurde von der Ethikkommission des Universitätsklinikums Jena am 16.11.2022 positiv beschieden (Reg.-Nr.: 2022-2800-Bef). Von allen beteiligten Hausärzt*innen und Medizinischen Fachangestellten liegt eine Einverständniserklärung vor. Die in der Abb. 2 abgelichteten Personen haben ihr schriftliches Einverständnis zur Veröffentlichung des Bildmaterials gegeben.
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