Erschienen in:
15.11.2017 | Übersicht
An den Grenzen des biografischen Verstehens
Ulrike Meinhofs Radikalisierung im Horizont von Karl Jaspers
verfasst von:
Prof. Dr. Matthias Bormuth
Erschienen in:
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
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Ausgabe 1/2018
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Zusammenfassung
Die Radikalisierung von
Ulrike Meinhof, die zum engsten Kreis der Rote-Armee-Fraktion(RAF)-Terroristen gehörte und sich 1976 im Gefängnis suizidierte, ist in der Genese stark umstritten. Unter anderem wird die Tatsache, dass sie sich 1962 der Operation eines Gefäßtumors im Gehirn unterziehen musste, als ein auslösender Grund ihrer Gewaltbereitschaft angenommen, da die nachweisbaren Läsionen im Bereich der Mandelkerne verortet werden konnten. Statt eines solchen biologischen Prozesses legen viele Biografien eine Entwicklung ihrer Radikalisierung nahe, die im Rahmen der politischen Ideologisierung der 1968er-Jahre verlaufen sei. Neue Materialen, die ihren Bildungsweg nachvollziehen lassen, erlauben, diese Ansicht zu vertiefen. Der Aufsatz verfolgt kasuistisch die These, dass ihre familiäre und universitäre Prägung eine Struktur der kommunikativen Vergewisserung bei Ulrike Meinhof geschaffen habe, die unter den politisierten Verhältnissen die Radikalisierung und zuletzt auch die Gewalttätigkeit maßgeblich förderte. Karl Jaspers ist sowohl für die kasuistische Methodik wie die philosophische Orientierung als Psychiater und Philosoph, der eine eigene Verstehenslehre konzipierte, entscheidend.