Narkose-Sicherheit auf dem Niveau der Hobbyfliegerei

„Die Autofahrt zum Aufklärungsgespräch ist gefährlicher als die Narkose selbst.“ - Mit dieser Aussage sind Anästhesiologen zurückhaltend geworden. Sie wollen Narkosen sicherer machen, als sie es bislang sind. Die Gefahr, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, liegt bei etwa 1:750.000. Dies ist um ein Vielfaches günstiger, als das Risiko für eine schwere anästhesiologische Komplikation oder Tod, denn das beträgt etwa 1 pro 100.000 Anästhesien - und zwar bei Patienten ohne wesentliche Vorerkrankungen. „Das ist unbefriedigend! Denn die Luftfahrt hat mal viel schlechter angefangen als wir“, so die sportliche Interpretation der Daten durch Prof. Dr. Berthold Bein aus Kiel. Die Anästhesie bewege sich eher auf dem „Niveau der Hobbyfliegerei“, ist seine kritische Analyse auf dem Deutschen Anästhesiecongress in Leipzig. Bein wies darauf hin, dass die Daten aus Studien noch ein eher günstiges Bild zeichneten, es müsse von einer Dunkelziffer nicht gemeldeter Komplikationen ausgegangen werden. Das Risiko, zum Beispiel innerhalb von vier Wochen nach einer laparoskopischen Cholecystektomie zu sterben, beträgt nach seinen Angaben in Deutschland 1:1000. „Das ist eine Zahl, die uns nicht ruhen lassen sollte!“ Faktoren mit Einfluss auf das Narkoserisiko Manches Risiko wird womöglich gar nicht gesehen: Ein Troponin-T-Wert von unter 0,05 ng/l galt lange als unauffällig. Die Messung des hochsensitiven Troponins T (hs-TnT) offenbart jedoch gravierende Risikounterschiede schon bei Werten, die deutlich darunter liegen. In einer internationalen Kohortenstudie hatten sich mehr als 15.000 Patienten über 45 Jahre einem nichtkardialen chirurgischen Eingriff unterzogen, unter anderem waren postoperativ die Spiegel des hs-TnT bestimmt worden. Patienten starben bereits bei einem Wert von 0,02 ng/ml viermal häufiger innerhalb von 30 Tagen als bei einem Wert von 0,01 ng/ml oder weniger. Ab 0,03 ng/ml war das Sterberisiko um das Neunfache und bei Werten über 0,3 ng/ml um das Siebzehnfache erhöht [1]. „Das heißt, bereits minimale Myokardschäden, die womöglich immer wieder auftreten, wenn es uns nicht gelingt, den Patienten stabil durch die Narkose zu führen, haben Konsequenzen mit deutlichen Risikosprüngen“, sagte Bein. Ein weiterer sicherheitsrelevanter Punkt ist die anästhesiologische Technik. Wenn das Equipment präoperativ anhand einer Checkliste überprüft wird, mindert dies das Komplikationsrisiko, so das Ergebnis einer niederländischen Studie. Erneut zog Bein den Vergleich zur Luftfahrt: Bekanntlich müssen Piloten vor dem Flug regelmäßig ein technisches Check-up abarbeiten - in der Anästhesie scheine dies keine Routine zu sein. Ein weiterer Einflussfaktor ist die permanente Präsenz anästhesiologischen Personals im Operationssaal. Ungünstig wirkt es sich aus, wenn der Anästhesist während der Operation wechselt. Auch der Ausbildungsstand und die Erfahrung spielen eine Rolle. Weitere Einflussfaktoren betreffen die Art und Weise der anästhesiologischen Versorgung intra- und postoperativ, etwa die Antagonisierung von Opiaten und Muskelrelaxanzien und die Art der Schmerztherapie [2]. Technik, Ausbildung, Verhalten - das muss sich ändern „Das derzeitige anästhesiologische und chirurgische Risiko ist höher als vermutet“, fasste Bein zusammen. Atemwegsprobleme und erstaunlicherweise Hypovolämien seien mit die häufigsten Ursachen von Narkosekomplikationen. Blutdruckmanschette, Pulsoxymeter und EKG reichten für ein adäquates hämodynamisches Monitoring und die Abschätzung des Volumenstatus offenbar nicht aus. Wer hohe Sicherheit wolle, benötige gerade bei Risikopatienten moderne Monitoring-Technologien. Damit würden diese Risiken messbar und könnten reduziert oder verhindert werden, meint Bein. Neue Narkosegeräte allein reichten freilich nicht aus, hieß es. Die Messwerte müssen auch adäquat interpretiert werden können. Falsche Reaktionen in kritischen Situationen können sich fatal auswirken. Solche Situationen sollten in Simulations- und Teamtrainings durchgespielt werden, so Bein weiter. Und Prof. Dr. Benedikt Preckel aus Amsterdam fragte: „Brauchen wir nur neue Geräte oder müssen wir nicht auch unser Verhalten ändern?“ Preckel verwies auf häufige Abweichungen von etablierten Therapiestandards in der Praxis. Eine Diskutantin wies auf die Problematik wirtschaftlichen Drucks bei sich verschärfendem Personalmangel hin, besonders in kleinen Krankenhäusern. So werde bewusst auf Anästhesieschwestern oder -pfleger bei der Ein- und Ausleitung von Narkosen verzichtet, weil man der Meinung sei, das könne der Anästhesist auch allein. „Was wir ebenso brauchen, ist Achtsamkeit in unserer Arbeit und Respekt im Umgang miteinander.“ Lesen Sie mehr Weitere Beiträge finden Sie im Dossier zum Deutschen Anästhesiecongress 2014. Literatur [1] Devereaux PJ et al. JAMA 2012; 307:2295 [2] Arbous et al. Anesthesiology 2005;102:257

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