Digitale Anästhesie-Doku – Was bringt die Umstellung?

Herr Prof. Zacharowski, an Ihrer Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Uniklinikum Frankfurt arbeiten über 100 Anästhesisten, die pro Jahr Tausende von komplexen Anästhesie-Prozeduren mit den unterschiedlichsten Geräten an unterschiedlichen Orten durchführen. Worin sehen Sie die grundlegenden Vorteile einer elektronische Anästhesie-Dokumentation gegenüber den Papierprotokollen? Zunächst einmal in der Lesbarkeit der Dokumentation. Denn jede bisher unleserliche Handschrift wird durch den Zwang zu Tastatur oder Maus plötzlich für alle lesbar. Das führt letztendlich auch zu einem Zugewinn an Patientensicherheit, besonders an der Schnittstelle Prämedikation und OP. Durch die direkte Übernahme von Vitalparametern und Daten aus den Narkosegeräten und Monitoren und damit die Vermeidung von Übertragungsfehlern steigt die Dokumentationsqualität weiter an. Die erhobenen Daten lassen sich besser auswerten vor allem für buchhalterische, aber auch wissenschaftliche Zwecke. Alle dokumentierten Leistungen können zu 100% abgerechnet werden. Spielen auch rechtliche Aspekte eine Rolle? Ja. Eine formaljuristisch sauberere Dokumentation durch eine verpflichtende Angabe bestimmter Parameter wie z.B. der Cormack & Lehane-Klassfikation bei Intubation, der Indikationsabfrage bei Transfusionen oder präoperativer Checklisten vor Beginn der Narkose etc. sowie der korrekten und umfassenden Wiedergabe von hämodynamischen oder Beatmungsparametern wird geschaffen. Ein weiterer Punkt ist die Personalzeitersparnis: Da die gesamte Dokumentation zu jeder Zeit und an jedem zugriffsberechtigten PC verfügbar ist, verliert niemand Zeit beim Suchen von Akten, Prämedikationsbögen oder OP-Protokollen. Auch bei Re-Prämedikationen ist die Zeitersparnis deutlich: Bereits zur vorherigen OP erfasste Daten müssen nicht erneut erhoben werden. Durch die digitale Dokumentation entfällt auch das zeitaufwändige Scannen und Korrigieren von Papierprotokollen. Und man darf nicht vergessen, dass die digitale Dokumentation auch die Archivkosten senkt. Empfehlung der Redaktion 20.01.2019 | Klinik aktuell | Interview | Online-Artikel Mehr Zeit für Patient und Narkose – bessere Versorgung Wie sieht die praktische tägliche Arbeit mit einem digitalen Anästhesie-Dokumentationssystem auf Station aus? Der Frankfurter Anästhesist Dr. von Groeben berichtet von den Erfahrungen des Teams der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin am Uniklinikum Frankfurt. Sie haben sich dafür entschieden, mit Sandman.MD ein digitales Anästhesie-Dokumentationsprogramm einzuführen, bei dem jeder Anästhesist Prämedikations- und OP-Protokolle auf einem Tablet-Computer führt. Können Sie kurz skizzieren, was Sie dazu bewogen hat, sich für dieses System zu entscheiden? Es ist ein kostengünstiges und vor allem auch mobiles System. Die Hardwarekosten sind überschaubar, statt festinstallierten Medical PC pro Arbeitsplatz bekommt jeder ärztliche Mitarbeiter ein Tablet, das er mit sich führt. Zudem lässt sich das System mit den Dongles, die an der verfügbaren seriellen Schnittstelle der Anästhesiegeräte eingesteckt werden, sehr einfach installieren, die Datenübertragung zwischen Geräten und Tablet erfolgt dann per Bluetooth. Man braucht also auch keine flächendeckende W-Lan-Netzinfrastruktur. Lediglich zu Start und Ende eines Protokolls oder einer Prämedikation muss eine Verbindung mit dem Server bestehen, daher kann das System auch auf Stationen, in Außenkliniken oder in Bereichen eingesetzt werden, die keine Netzabdeckung haben. Während der Prämedikation oder der Operation kann man aus der Applikation heraus Fotos machen und damit beliebige nicht textuelle Informationen festhalten, z.B. den Zustand des Patienten, den Zahnstatus, Geräteanzeigen, Blutgasanalysen oder den Barcode von Erythrozytenkonzentraten. Das dient der Dokumentationsgenauigkeit und damit auch der Beweissicherung. Diese Funktionalität wäre mit fest installierten MedicalPC nicht möglich, kommt aber in der Praxis inzwischen ständig zum Einsatz. Ein weiterer Aspekt ist, dass der aktuelle Standard des Anästhesie-Kerndatensatzes in Sandman.MD hinterlegt ist, damit können Daten entsprechend der Vorgaben von BDA und DGAI zur Qualitätssicherung generiert werden. Digitale Anästhesiedokumentation auf dem Tablet Sandman.MD ist eine digitale mobile Lösung zur vollständigen Dokumentation aller Schritte in der Anästhesie auf iPads (weitere Infos: appatwork.com). Wie ist es Ihnen gelungen die kaufmännische Klinikleitung von der Einführung des Systems zu überzeugen? Durch Gegenüberstellung von Vorteilen und Nachteilen sowie einem Vergleich der Kosten des alten papierbasierten Systems mit denen des neuen digitalen Systems im Hinblick auf Personalaufwand, Hardware und Software. Wie lange hat es gedauert von der Entscheidung bis das System im Vollbetrieb funktioniert hat? Der erste Kontakt mit dem Anbieter des Systems war im Januar 2015. Nach ersten Tests haben wir unsere Anforderungen definiert. Zu klären waren z.B. Fragen zu Hygiene, Datenschutz, Einbindung in das Krankenhausinformationssystem, Hardware. Nach Abarbeitung aller Anforderungen haben wir ca. sechs Monate bis zum Kick off gebraucht. Die Einführung begann dann im Dezember 2017. Binnen zwei Wochen waren dann 60% aller Arbeitsplätze einsatzbereit. Jetzt sind ca. 75% der Arbeitsplätze (Stand Juli 2018) angebunden, die restlichen folgen in den nächsten drei Monaten. Sandman.MD ... ... ist eine digitale mobile Lösung zur vollständigen Dokumentation aller Schritte in der Anästhesie auf iPads. Von der Patientenaufnahme mit Anamnese über die Planung und Durchführung der Anästhesie bis zur postoperativen Betreuung können alle Daten erfasst und Ergebnisse dokumentiert werden. Mit dem Sandman.MD-eigenen Kommunikationsverfahren lassen sich Messwerte von Anästhesiegeräten und Patientenmonitoren automatisch und drahtlos auf dem mobilen Arbeitsplatz protokollieren. Ein Krankenhaus-LAN oder -WLAN im OP-Saal ist nicht notwendig. Weitere Infos: appatwork.com Jetzt, nachdem das System schon eine Weile in Betrieb ist: Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt, gibt es schon konkrete Anzeichen der Verbesserung? Ja. Meine Erwartungen haben sich bisher voll erfüllt. Alle Protokolle sind jederzeit auffindbar und vor allem lesbar! Insgesamt ist die Dokumentation nun hoch standarisiert. Die Voraussetzungen zur korrekten Abrechnung werden nun zuverlässig erreicht, außerdem besteht bei Re-Prämedikationen auch ein deutlicher Zeitgewinn, weil die Daten der vorherigen Prämedikation direkt aufs Tablet abgerufen werden können. Erwarten Sie auch, dass sich anhand der strukturierten Daten, die das Programm liefern kann, auch Vorteile im Hinblick auf OP-Planung, Material- und Medikamentenbedarfsplanung ergeben? Langfristig wird das das Ziel sein. Ein Material- und Kostenmodul ist in dem System bisher noch nicht implementiert. Im Hinblick auf die OP-Planung rechnen wir damit, dass dort mittel- bis langfristig durch die Auswertung der Daten Analysen möglich werden, die die OP-Planung optimieren. Zur Person Prof. Dr. Dr. Kai Zacharowski ist Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er ist Anästhesiologe, Intensivmediziner und klinischer Pharmakologe. Forschungsschwerpunkte sind Risiken in der Anästhesie und Intensivmedizin, das komplexe Zusammenspiel von Immun‐ und Gerinnungssystem, Sepsis sowie das Patient Blood Management.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Digitale Anästhesie-Doku – Was bringt die Umstellung?

Weiterführende Themen

Neu im Fachgebiet AINS

Stereotaktische Radiatio schlägt konventionelle Bestrahlung

Fünf Dinge, die im Kindernotfall besser zu unterlassen sind

Hochrisiko-Eingriffe für postoperative Übelkeit

Diclofenac-Gel versus Ibuprofen bei akuten Rückenschmerzen

Update AINS