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Erschienen in:

Open Access 18.10.2021 | Anästhetika | Notfallmedizin

Volatile Anästhetika zur präklinischen Analgesie durch Rettungssanitäter – Eine Übersicht

verfasst von: Prim. PD Dr. Helmut Trimmel, MSc, Alexander Egger, Reinhard Doppler, Christoph Beywinkler, Wolfgang G. Voelckel, Janett Kreutziger

Erschienen in: Die Anaesthesiologie | Ausgabe 3/2022

Zusammenfassung

Patienten mit Schmerzen können durch den nichtärztlichen Rettungsdienst mitunter nur inadäquat versorgt werden, da aufgrund rechtlicher Einschränkungen die Anwendung stark wirksamer Schmerzmittel (Opioide) bzw. ausbildungsbedingt eine i.v.-Therapie in Deutschland und Österreich oft nicht möglich ist. Häufig müssen Notärzte für schmerzgeplagte Patienten nachgefordert werden, wodurch deren Verfügbarkeit für z. B. vitale Notfälle reduziert sein kann. Inhalativ zu verabreichende Analgetika könnten hierfür eine interessante Alternative darstellen.
Derzeit steht dazu in Deutschland und Österreich Lachgas (N2O, als Livopan® im Handel) zur Verfügung, eine Mischung aus jeweils 50 % Lachgas und Sauerstoff. In Österreich ist seit 2018 auch Methoxyfluran (Penthrop®) zur Behandlung mäßiger bis starker Schmerzen nach einem Trauma für die prä- und innerklinische Anwendung bei Erwachsenen zugelassen.
In der Zusammenschau der vorhandenen Literatur, jahrzehntelanger Erfahrung in der Anwendung der Sauerstoff-Lachgas-Mischung im angloamerikanischen Bereich und von inhalativem Methoxyfluran v. a. in Australien sowie aktuellen Studien aus Europa kann gefolgert werden, dass diese bei Einhaltung der Anwendungsvorschriften effektiv, sicher und nebenwirkungsarm sind. Dies bestätigt auch eine eigene Untersuchung zu Methoxyfluran im präklinischen Einsatz. Die Anwendung von Lachgas ist aufgrund des Druckgaszylinders von der Handhabung her etwas aufwendig; Methoxyfluran ist einfacher anzuwenden und bei starken Schmerzen auch wirksamer. Die Zulassung von Methoxyfluran ist jedoch auf Erwachsene beschränkt, wo es mit zunehmendem Alter deutlich besser wirkt. Der Einsatz von Lachgas und insbesondere Methoxyfluran könnte aufgrund der Datenlage wie auch eigener Erfahrungen für rettungsdienstliches Fachpersonal nach entsprechender Einweisung empfohlen werden.
Hinweise
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Hintergrund

Die wirksame Behandlung akuter Schmerzen außerhalb eines Krankenhauses kann für nichtärztliches Rettungsdienstpersonal eine Herausforderung darstellen. Häufig müssen Notärzte für schmerzgeplagte Patienten nachgefordert werden, wodurch deren Verfügbarkeit für z. B. vitale Notfälle limitiert sein kann.
An möglichen Ursachen werden in der Literatur verschiedene Aspekte diskutiert:
  • unzureichende Ausbildung bzw. klinische Erfahrung des eingesetzten Personals,
  • fehlende Therapiestandards [3, 22],
  • Sorge um potenzielle, ggf. nicht-beherrschbare Nebenwirkungen [22, 49],
  • gesetzliche Limitationen für das nichtärztliche Rettungsdienstpersonal in Bezug auf die i.v.-Verabreichung von Medikamenten bzw. die Anwendung von Opioiden,
  • unzureichende Erfassung (z. B. mittels Numeric Rating Scale [NRS] oder visueller Analogskala [VAS]) und Unterschätzung von Schmerzzuständen im notärztlichen wie auch im nichtärztlichen Bereich [22, 49],
  • verzögerter Wirkungseintritt bzw. zu geringe Wirkung von Nicht-Opioidanalgetika bei starken Schmerzen, auch wenn einzelne Untersuchungen gegenteilige Effekte aufzeigen [15, 21, 37].

Voraussetzungen für nichtärztlich verabreichte Analgesie

Eine adäquate analgetische Versorgung von Notfallpatienten ist prähospital wie innerklinisch ein wichtiges Qualitätskriterium, flächendeckend und ggf. auch arztunabhängig standardisiert sicherzustellen [27]. Dies sollte mit klaren Algorithmen und einfach anzuwendenden, nebenwirkungsarmen Medikamenten auch erreichbar sein. Folgende Voraussetzungen müssen aus Sicht der Autoren dabei erfüllt sein: kein kritischer Einfluss auf Vitalfunktionen (Bewusstsein, Atmung, Kreislauf), milde, einfach beherrschbare Nebenwirkungen ohne Potenzial der Patientengefährdung, einfache Applikation, rascher Wirkungseintritt, gute Steuerbarkeit, einfache Lagerungsfähigkeit (Temperaturstabilität), geringer Dokumentationsaufwand (nicht wie bei Opioiden), geringes Missbrauchspotenzial, akzeptable Kosten. Daneben sind vertretbarer Schulungsaufwand und akzeptable Arbeitsplatzbelastung und schließlich die Freigabe zur Applikation durch Rettungsdienstfachpersonal gemäß nationalen gesetzlichen Festlegungen, wie z. B. dem österreichischen Sanitätergesetz (Bundesgesetzblatt [BGBl.] I Nr. 30/2002) oder dem Notfallsanitätergesetz in Deutschland (BGBl. I S 1384/2014), erforderlich.

Medikamente zur inhalativen Analgesie

In der Europäischen Union sind aktuell zwei Medikamente, die per inhalationem verabreicht werden und diese Voraussetzungen erfüllen könnten, zugelassen: Lachgas (N2O) und Methoxyfluran.
Bei inhalativen Analgetika entfällt naturgemäß die Notwendigkeit eines i.v.-Zugangs für die Schmerzbehandlung, zudem erfolgt die Verabreichung patientengesteuert: Je nach Schmerzniveau kann der Patient die Zufuhr jederzeit unterbrechen oder durch Erhöhung von Atemfrequenz bzw. Atemzugvolumen auch intensivieren. Dies erfordert selbstverständlich ein Minimum an Compliance und Sprachverständnis. Der Wirkungseintritt ist rasch, die Verträglichkeit gut – kritische Nebenwirkungen (anhaltende Bewusstseinstrübung, interventionsbedürftige Atem- oder Kreislaufdepression) sind für beide Substanzen in der prähospitalen Anwendung nicht beschrieben [17, 43, 44].
Die analgetische Potenz von Methoxyfluran scheint im Vergleich zu Opioiden nicht sehr stark: Circa ein Drittel der Potenz von Morphin [40] bzw. 3 ml Methoxyfluran etwa vergleichbar mit ca. 25 µg Fentanyl i.v. [36], wurde in limitierten Settings beschrieben. Trotzdem kann Methoxyfluran in der klinischen Anwendung auch mit Opioiden bestehen [35]. Im angloamerikanischen Raum hat sich die Mischung aus jeweils 50 % Sauerstoff und Lachgas (Entonox®) prähospital wie innerklinisch seit Jahrzehnten bewährt [6, 17] und wird auch in Kombination mit Opioiden angewendet [28, 41, 50]. Die Zulassung in Deutschland und Österreich zur „Behandlung kurzzeitiger Schmerzzustände von leichter bis mittlerer Intensität“ gemäß Fachinformation liegt für Patienten jeden Alters > 1 Monat seit Jahren vor. Lachgas ist hier als Livopan® (Fa. Linde Healthcare, 85764 Oberschleißheim bzw. bzw. 1030 Wien, Österreich) im Handel.
Methoxyfluran ist ein volatiles Anästhetikum, welches nur mehr in niedriger, rein analgetischer Konzentration zum Einsatz kommt (in Australien seit 1975, in Neuseeland seit 2002, in einigen Ländern Osteuropas seit 2010) [8, 11, 13, 24]. Die Anwendung von Methoxyfluran ist an mehr als 5 Mio. Patienten erfolgt und an über 200.000 erwachsenen und pädiatrischen Patienten in Registerdaten (Tab. 1) oder prospektiven Studien untersucht [9, 34, 40]. Ernste Nebenwirkungen, insbesondere das Auftreten einer malignen Hyperthermie, wurden bis dato nicht publiziert [32].
Tab. 1
Methoxyfluran Registerdaten
Autor
Typ
Setting
Anzahl, Patienten [Methoxyfluran-Medikation]
Alter
Methoxyfluran, Ergebnis
Middleton 2010 [22]
Retrospektiv, Vergleichsstudie
Prähospital, Australien
42.844 [19.235]
16–100 Jahre
3,2 mediane Reduktion in der VNRS-11 (59,1 % erreichten ≥ 30 %ige Reduktion in der Schmerzwahrnehmung)
Johnston 2011 [23]
Retrospektiv, Beobachtungsstudie
Prähospital, Australien
1024 [465]
Keine Einschränkung
VAS-Reduktion: 5 min: 2,0; bei Klinikeinlieferung: 2,5
Oxer 2007 [42]
Retrospektiv, Beobachtungsstudie
Prähospital, Australien
17.334 [10.706]
Keine Einschränkung
> 90 % gute oder mind. teilweise Schmerzerleichterung
Bendall 2011 [18]
Retrospektiv, Vergleichsstudie
Prähospital, Australien
3312 [2093]
5–15 Jahre
Effektive Analgesie bei 78,3 % aller Patienten, (VNRS-11-Reduktion in ≥ 30 %)
Jacobs 2010 [31]
Retrospektiv, Vergleichsstudie
Prähospital, Australien
135.770 [17.629]
1–104 Jahre
Kein Unterschied in kardialen Komplikationen, Nieren- oder Leberfunktionseinschränkungen, Diabetes oder Krebserkrankungen bei Patienten, die Methoxyfluran erhalten haben (Vgl. zu Gesamtkollektiv)
VNRS „verbal numeric rating scale“, VAS „visual analog scale“
Während sich Lachgas in Mitteleuropa trotz einiger positiver Studien [18, 29] bislang kaum durchgesetzt hat, war Methoxyfluran hier bis vor Kurzem gar nicht zugelassen. Erst 2018 erhielt es die Zulassung durch die European Medicine Agency (EMA); in Österreich wird es unter dem Namen „Penthrop®“ zur Behandlung mittlerer und starker Schmerzen nach Trauma vertrieben. In Deutschland stoppte der Hersteller Mundipharma im Oktober 2019 die Markteinführung von Methoxyfluran („Penthrox®“). Als Gründe wurden gemäß einer Information der Arbeitsgemeinschaft Notärzte in Nordrhein-Westfalen (AGNNW) „Zulassungs- und Anwendungsbeschränkungen“ ohne weiterführende Informationen sowie „Probleme durch den Brexit“ angegeben. Nach mündlicher Mitteilung seitens der Firma hatte die Entscheidung v. a. Marketinggründe, die ausschließlich Deutschland betrafen. Dabei hatten einige Rettungsdienste bereits die Einführung von Penthrox® geplant [1].

Literaturüberblick

Lachgas

Pharmakologie

Lachgas wurde erstmals 1772 von Priestley und Leeds synthetisiert, aber erst 1844 als Analgetikum praktisch eingesetzt. In der klinischen Anwendung ist die Farb- und Geruchslosigkeit insbesondere bei Kindern vorteilhaft. Lachgas bewirkt über den N‑Methyl-D-Aspartat(NMDA)-Rezeptor kaum Atemdepressionen, jedoch auch keine suffiziente Anästhesie (minimale alveoläre Konzentration, MAC = 110 %) [33]. Durch die hohe Diffusionskapazität flutet das Gas im Körper extrem schnell an und wieder ab. Bei Anwendung von Konzentrationen >50 % ist die Gabe von 100 %igem Sauerstoff über mindestens 3 min am Ende der Verabreichung notwendig, um eine alveoläre Diffusionshypoxie zu vermeiden. Vorsicht ist weiters bei der notfallmedizinischen Anwendung bei Innenohrverletzungen oder Pneumothorax geboten. Eine leichte Sympathikusstimulation wurde ebenfalls beschrieben, die den gering negativ inotropen Effekt kompensieren kann. Bei kurzfristiger, prähospitaler Anwendung drohen außer Übelkeit, Bewusstseinseinengung und der erwähnten Diffusion in Hohlorgane aufgrund der geringen Metabolisierung (beachte: Darmbakterien) keine relevanten Nebenwirkungen. Die Gabe von Antiemetika in niedriger Dosierung, insbesondere 5HT3-Antagonisten oder Droperidol (1,25 mg/70 kgKG) kann evtl. erforderlich sein. Hochdosierte Anwendung über einen längeren Zeitraum (> 6 h) kann jedoch zu Störungen im Vitamin‑B12-Stoffwechsel führen (Oxidation des Kobaltions im Kobalamin). Vitamin B12 ist ein wichtiger Kofaktor der Methioninsynthetase, die wiederum bei der Synthese von DNA, Cholin, Phospholipiden und Myelin mitwirkt. Bei Mangel an Cobalamin drohen daher hämatologische, neurologische und reproduktionstoxische Wirkungen sowie ggf. Störungen der embryonalen Entwicklung. Daher sollte es bei Patienten nach einer Gastrektomie, mit „Blind-loop“-Syndrom, Alkoholismus oder Patienten, die sich streng vegetarisch/vegan ernähren, aufgrund deren eingeschränkter Kobalaminreserven nur kurzfristig angewandt werden.

Praxis

Lachgas-Sauerstoff-Mischungen sind seit Jahrzehnten zur Analgesie im Einsatz. Die Literatur ist umfangreich, sowohl für den prä- als auch für den innerklinischen Bereich (Notfallaufnahme, Geburtshilfe, Pädiatrie). Beispielhaft und relativ aktuell sei hier die randomisierte, placebokontrollierte Studie von Ducasse et al. in Toulouse genannt, die die erfolgreiche Anwendung von Lachgas durch Paramedics bei erwachsenen Traumapatienten zeigen konnten. In zwei Drittel der Patienten mit einem initialen Schmerzniveau von 6 auf der NRS wurde eine ausreichende Analgesie (NRS < 3 nach 15 min) erreicht [18]. Auch bei Kindern und Jugendlichen wurde Lachgas, allerdings in Kombination mit intranasalem Fentanyl, für kurzfristige, notfallmedizinische Eingriffe wie Repositionierungen und Lagerungsmanöver erfolgreich eingesetzt [30]. Die Rate an Nebenwirkungen wie tiefere Sedierung oder Übelkeit und Erbrechen war mit < 5 % für ein innerklinisches Setting tolerabel [51]. Auch in Deutschland wurde die Lachgas-Sauerstoff-Mischung bei erwachsenen Traumapatienten (n = 35), etwa im Rahmen der LabET-Studie, erfolgreich als Monotherapeutikum eingesetzt und gefolgert, dass dieses Medikament für die Anwendung durch nichtärztliches Rettungsdienstfachpersonal durchaus geeignet wäre [29].
In Österreich wurde Lachgas zur Überbrückung bei stärksten Schmerzen (im Schnitt NRS = 8) 2012 in einem Pilotprojekt des Roten Kreuzes Steiermark durch nichtärztliches Rettungsdienstfachpersonal bis zum Eintreffen des Notarztes in einer kleinen Kohorte von erwachsenen Notfallpatienten (n = 65) nach einem Trauma angewandt. Die Schmerzintensität sank binnen 10 min nach Beginn der Applikation von initial 8 Punkten auf der NRS-Skala um 3,4 Punkte. Diese Behandlung wurde von 91 % der Patienten subjektiv als angenehm empfunden (ausreichende Schmerzreduktion), wenngleich ein NRS von 4,6 Punkten nach Therapie aus ärztlicher Sicht nicht zufriedenstellen kann. Ein Nachteil von Lachgas ist jedenfalls das relativ hohe Gewicht der notwendigen Devices – Druckgasflasche, Druckminderer und Demand-Ventil (Abb. 1) beanspruchen relativ viel Platz und lassen N2O für manche Bereiche (z. B. alpines Setting) als eher ungeeignet erscheinen.

Methoxyfluran

Pharmakologie

Bereits 1940 wurden fluorierte Kohlenwasserstoffe von Robbins auf ihre anästhesiologische Aktivität hin untersucht [48]. Doch erst 1956 testeten Van Poznak und Artusio 2,2-Dichlor-1:1-difluorethylmethylester (C3H4Cl2F2O) aus der Klasse der Dialkylester in Hunden [45]. Am Menschen wurde Methoxyfluran erstmals 1960 untersucht [5, 46]. Die klare, nahezu farblose Flüssigkeit mit charakteristisch fruchtigem Geruch (Fachinformation Penthrop® [26]) hat von allen bisher beschriebenen volatilen Anästhetika die höchste Potenz mit der niedrigsten MAC (0,16 %). In niedriger Dosierung hat es sehr gute analgetische Eigenschaften [52]. Die Metabolisierung findet in der Leber statt, wo es zu Fluorid und Dichloressigsäure demethylisiert (CYP450 2E14) wird, um dann durch Dechlorierung zu Methoxydifluoressigsäure und Oxalsäure abgebaut zu werden. Dabei wird Fluorid freigesetzt, was bei lang dauernder Anwendung in hohen Dosierungen nephrotoxisch wirken kann [16, 38]. Bei kurzer Anwendung im Rahmen von notfallmedizinischen Einsätzen oder Interventionen ist diesbezüglich kein Risiko zu erwarten. Dennoch wird seitens des Herstellers empfohlen, Methoxyfluran bei anamnestischem Hinweis auf vorbestehende Leberschädigung oder klinisch manifester Niereninsuffizienz nicht einzusetzen. Als unerwünschte Wirkungen werden Schwindel, Kopfschmerzen, Schläfrigkeit, Mundtrockenheit und Übelkeit angegeben. Seltener, doch für den Rettungsdienst relevant sind euphorische Stimmungslage, ein Gefühl wie bei Trunkenheit, Dysarthrie, Amnesie, Diplopie, Blutdruckschwankungen ohne Interventionserfordernis (Hypo- und Hypertonie), Hustenreiz und Speichelsekretion. Bei richtiger Anwendung eines Penthrop®-Inhalators mit Aktivkohlekammer zur Absorption des rückgeatmeten Methoxyflurans sollte kaum Methoxyfluran in die Umwelt gelangen. Bei chronischer Exposition, etwa in geschlossenen Räumen, wurde laut Fachinformation ein Anstieg von Leberenzymen, Blutharnstoff-Stickstoff und Serumharnsäure gefunden.

Praxis

In PubMed finden sich unter den Suchbegriffen „inhaled methoxyflurane“ and „emergency“ aktuell 55 Studien. Das Medikament ist, wie erwähnt, seit Jahrzehnten im notfallmedizinischen prä- und innerklinischen Einsatz. Millionen von Patienten wurden durch Paramedics prähospital [13, 34, 40] wie auch von Notfallmedizinern innerklinisch erfolgreich und sicher versorgt [14, 25, 43]. Bei über 200.000 Notfallpatienten mit kurzer Anwendung von Methoxyfluran, die in publizierte Studien eingeschlossen wurden, wurde bisher kein einziger Fall von maligner Hyperthermie – um die potenziell gefährlichste Nebenwirkung zu nennen – oder Hinweise auf Nierenschädigung dokumentiert. Auch sonst sind die Nebenwirkungen mild und es ist eigentlich erstaunlich, dass die Anwendung dieser Substanz in Europa bisher nur von begrenztem Interesse war. Mittlerweile liegen für Methoxyfluran neben der Zulassungsstudie („STOP!-Trial“[14]) weitere europäische, prospektive, randomisierte Studien aus Frankreich, Italien und Spanien vor, die in innerklinischen Notfallaufnahmen durchgeführt wurden [12, 39, 47]. Methoxyfluran senkte im Vergleich zu Placebo Schmerzen signifikant – gemessen anhand der VAS (0–100) um durchschnittlich 35 Punkte [14]. In Spanien wurde Methoxyfluran bei posttraumatischen Schmerzen mit der lokal etablierten Standardanalgesie (NSAR bei VAS ≤ 6, darüber ggf. zusätzliche Opioidgaben) multizentrisch verglichen und war dieser nach 20 min deutlich überlegen [12]. Daten aus Notaufnahmestationen in Italien zeigten ebenfalls, dass der analgetische Effekt von Methoxyfluran z. T. hochsignifikant der Standardtherapie überlegen war. Hier wurde Methoxyfluran bei 270 Erwachsenen nach Extremitätentrauma gegen i.v. verabreichtes Paracetamol, Ketoprofen (bei NRS 4–6) und/oder Morphin (bei NRS 7–10) getestet [39]. Auch in Frankreich wurde Methoxyfluran multizentrisch bei Erwachsenen nach Trauma innerklinisch gegen Placebo getestet: Je stärker die Ausgangsschmerzen waren, desto größer war der Effekt von Methoxyfluran. Mit dem inhalativen Analgetikum wurde deutlich weniger Zusatzmedikation in Form von Opioiden benötigt [47].
Nach diesen Erfolg versprechenden innerklinischen Anwendungen stellte sich natürlich die Frage nach der prähospitalen Anwendbarkeit im zentraleuropäischen, notfallmedizinischen Setting. Vor Kurzem wurde in Österreich dazu eine Anwendungsbeobachtung von Methoxyfluran zur prähospitalen Analgesie nach einem Trauma durchgeführt [53]. Methoxyfluran wurde an luft- als auch bodengebundenen Notarztmitteln zur Behandlung von mittleren bis starken Schmerzen bei erwachsenen, bewusstseinsklaren Patienten eingesetzt. Bedingt durch die SARS-CoV-2-Pandemie wurden zwar nur 109 der geplanten 200 Patienten eingeschlossen, dennoch konnten wichtige, z. T. auch signifikante Ergebnisse in Bezug auf Anwenderfreundlichkeit und Effizienz von Methoxyfluran detektiert werden. Die mittels NRS erhobene Schmerzstärke lag bei Eintreffen des Notarztes im Median bei 8 Punkten (7–8), 15 min nach Behandlungsbeginn bei 4 (3–5). Bei knapp zwei Drittel der Patienten wurde keinerlei zusätzliche Analgesie benötigt, wobei sich in der Wirksamkeit eine Altersabhängigkeit zeigte. Je älter die Patienten waren, umso effizienter war Methoxyfluran, d. h., desto seltener wurde eine Zusatzmedikation (bei über 80-Jährigen nur 11 %) benötigt. Dies lässt sich mit der Abhängigkeit des MAC-Werts vom Alter gut erklären und könnte sohin Anlass für Überlegungen zu Dosisvarianzen für verschiedene Altersgruppen geben. Waren Blutdruck und Herzfrequenz der Patienten zu Beginn der Behandlung schmerzbedingt etwas ausgelenkt, normalisierten sich diese unter der Behandlung; Atmung und Bewusstsein wurden nicht beeinträchtigt. Auch die Nebenwirkungen, die in etwa der Hälfte aller behandelten Patienten auftraten, waren in jedem Fall mild. Am häufigsten wurde ein Schwindelgefühl mit 37,8 % angegeben. Mit zunehmendem Alter nahmen die Nebenwirkungen tendenziell in ihrer Häufigkeit, nicht jedoch in der Schwere zu. Unangenehme Geruchs- bzw. Geschmacksempfindungen als Nebenwirkung gaben fünf Patienten an. Ein größeres Problem waren technische Schwierigkeiten: Bei 15 % aller Anwendungen tropfte während der Vorbereitung des Inhalators Flüssigkeit aus dem Mundstück, was eine deutlich verstärkte Geruchsbelastung in der Umgebung zur Folge hatte. In geschlossenen Räumen (Hubschrauberkabine, Rettungswagen) wurde bei jedem fünften Einsatz eine Geruchsbelastung auch ohne das beschriebene Befüllungsproblem rückgemeldet. Dennoch wurde die Anwenderfreundlichkeit in der Summe von den Notärzten als gut bezeichnet und die Zufriedenheit von Patienten und Anwendern war sehr hoch.

Diskussion

Die Literatur zeigt, dass die inhalative Schmerztherapie nach einem Trauma wie auch bei prozeduralen Schmerzen mit Methoxyfluran ebenso wie mit Lachgas effizient und gut verträglich ist, auch wenn nicht für alle Patienten eine ausreichende Analgesie mit einem inhalativen Analgetikum als Monotherapeutikum erreicht werden kann. Sie zeichnet sich durch einen raschen Beginn der Analgesie aus und wird von den Patienten positiv bewertet [32, 43, 44]. Methoxyfluran ist in der Handhabung deutlich weniger aufwendig als Lachgas [24, 35, 44], wenngleich die Anwendung ebenfalls nicht ganz simpel ist. Der Umgang mit dem Inhalator muss schmerzgeplagten Patienten – insbesondere älteren – einfühlsam erklärt werden: in der Akutsituation ist das nicht immer einfach. Die Wirksamkeit hängt entscheidend davon ab, ob der Patient die Handhabung richtig verstanden hat und durchführt. Die Möglichkeit zur Konzentrationserhöhung durch Verschließen des „dilutor hole“ sollte etwa erst nach einer Eingewöhnungsphase angesprochen werden. Patienten können den bei voller Konzentration anfänglich scharfen Geschmack als eher unangenehm empfinden und dann eine weitere Anwendung möglicherweise ablehnen. Nach fünf bis sechs tiefen Atemzügen tritt dieses Phänomen kaum mehr auf, die Analgesie hingegen setzt bereits ein. Auch das Vorbereiten des Inhalators ist nicht ganz einfach: die Flüssigkeit kann beim Befüllungsvorgang aus dem Mundstück auf den Boden tropfen. Dies kann die Wirkung abschwächen bzw. die Nutzungsdauer verkürzen. Hier soll eine Neukonfektion des Devices Verbesserung bringen (Abb. 2: „Penthrox® Inhaler Selfie“, Medical Developments International Limited [MDI], Scoresby, Victoria, Australia). Der neue Inhalator wird die Wirkstoffphiole bereits integriert haben, sodass ein manuelles Befüllen nicht mehr erforderlich ist.
Negative Auswirkungen für das Personal sind im prähospitalen Einsatz weder für Lachgas noch für Methoxyfluran zu erwarten. Die gesetzlichen Grenzwerte für Lachgas sind in den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) in Deutschland durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin [7] bzw. das Bundesministerium für Arbeit in Österreich [10] mit 100 ppm als Tagesmittelwert festgelegt. Kurzfristige höhere Konzentrationen bis 400 ppm werden akzeptiert. Für Methoxyfluran werden in Deutschland und Österreich 2 ppm als Tagesmittelwert (bzw. 14 mg/m3) und 4 ppm als kurzfristige Belastung in der Umgebungsluft als Grenzwert festgelegt [2, 10]. Eine aktuelle Studie aus Frankreich, die körpernahe Konzentrationen von Methoxyfluran bei Pflegepersonal einer innerklinischen Notfallstation mit regelmäßiger Anwendung während der 8 h-Schichten analysierte, fand eine mit 0,017 ppm sehr niedrige Durchschnittsbelastung [19]. Auch Messungen der Konzentration von Methoxyfluran in mobilen Ambulanzen konnte keine bedenklichen Konzentrationen beim behandelnden, nichtärztlichen Personal nachweisen (< 0,2 ppm). Die Schwelle für eine Geruchswahrnehmung von Methoxyfluran liegt weit unter den gesetzlichen Grenzwerten, aber über der durchschnittlichen Konzentration in Rettungsfahrzeugen und Ambulanzen (0,13–0,19 ppm) [4, 20]. In der Summe lässt sich trotz des wahrnehmbaren Geruchs von Methoxyfluran bzw. der nichtwahrnehmbaren Luftkonzentration von Lachgas selbst bei regelmäßigem Gebrauch als Notfallanalgetikum keine gesundheitliche Gefährdung der Behandler ableiten.
Die Bereitschaft von Notärzten, ein inhalatives Analgetikum einzusetzen, ist angesichts moderner, intranasal oder bukkal appliziert rasch wirksamer Opioide wohl limitiert. Natürlich ist Methoxyfluran weniger wirksam als diese [40]; dieser Umstand muss jedoch gegen die aufwendigere Logistik, das Erfordernis einer exakten ärztlichen (!) Verabreichungsdokumentation, die strenge Überwachung der Lagerhaltung sowie v. a. gesetzliche Limitierungen der Anwendung von Opioiden durch nichtärztliche Berufsgruppen abgewogen werden. Notärzten stehen potente(re) Analgetika zur Verfügung: Unsere Ergebnisse wie auch die vorhandene Literatur bestätigen jedoch, dass Methoxyfluran auch rettungsdienstlichem Fachpersonal in Europa eine suffiziente und v. a. sichere Behandlung von Patienten mit mittleren bis starken Schmerzen ermöglichen kann; ggf. auch in Kombination mit i.v. zu verabreichenden Nichtopioidanalgetika. Unter Anwendung eines definierten Behandlungsalgorithmus (Abb. 3) ließe sich die Zahl notärztlicher Einsätze ausschließlich zur Analgesie verringern und deren Verfügbarkeit für andere, vitalgefährdete Patienten erhöhen [23].

Fazit für die Praxis

  • Lachgas und Methoxyfluran sind sicher anzuwendende, gut wirksame Inhalationsanalgetika. Lachgas ist für alle Altersgruppen, Methoxyfluran derzeit nur für erwachsene Patienten zugelassen, wobei ältere Patienten in der aktuellen Einheitsdosierung deutlich stärker von seiner analgetischen Wirkung profitieren.
  • Die Applikation beider Medikamente erfolgt patientengesteuert; die unerwünschten Arzneimittelwirkungen bei kurzer Anwendung sind mild. Besondere Vorteile von Methoxyfluran liegen in der einfachen Logistik und stärkeren Analgesie; Limitationen in der Anwendung können aufgrund unzureichender Compliance auftreten. Ein weiterer Nachteil ist die Geruchsbelastung für das Rettungsdienstpersonal in geschlossenen Räumen, auch wenn dies nie die gesetzlich zulässigen Arbeitsplatzkonzentrationen erreicht. Hier wird herstellerseitig Abhilfe durch einen neuen Inhalator versprochen.
  • Die Anwendung von Methoxyfluran anhand eines definierten Algorithmus kann aus unserer Sicht auch für nichtärztliches Personal empfohlen werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

H. Trimmel: grants, payments, support for travel from Mundipharma Austria: the „MetAir“ trial was supported by an unrestricted grant from Mundipharma, Austria. H. Trimmel participated in advisory board meetings for methoxyflurane (Penthrox®) in Vienna (2018) and London (2019), received travel reimbursement and honoraria for lectures in context with inhaled analgesia. Leadership or fiduciary role in ÖGARI: Helmut Trimmel chairs the section „Emergency Medicine“ of ÖGARI. R. Doppler, A. Egger, C. Beywinkler, W.G. Voelckel und J. Kreutziger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
29.
Zurück zum Zitat Hengefeld N, Lukas RP, Klaus S, Van Aken H, Boh A (2014) Lachgas-Sauerstoff-Gemisch (Livopan®) bei Extremitätentrauma – die LAbET-Studie. Anasth Intensivmed 2:13 Hengefeld N, Lukas RP, Klaus S, Van Aken H, Boh A (2014) Lachgas-Sauerstoff-Gemisch (Livopan®) bei Extremitätentrauma – die LAbET-Studie. Anasth Intensivmed 2:13
42.
Zurück zum Zitat Oxer HF, Wilkes G (2007) Methoxyflurane is a safe, easy, effective analgesic for prehospital pain relief. Prehosp Disast Med 22:s77 Oxer HF, Wilkes G (2007) Methoxyflurane is a safe, easy, effective analgesic for prehospital pain relief. Prehosp Disast Med 22:s77
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Zurück zum Zitat Robbins BH (1940) Preliminary studies of anesthetic activity of luorinated hydrocarbons. J Pharmacol Exp Ther 86:197–204 Robbins BH (1940) Preliminary studies of anesthetic activity of luorinated hydrocarbons. J Pharmacol Exp Ther 86:197–204
53.
Zurück zum Zitat Trimmel H, Egger A, Doppler R et al Usability and efficacy of inhaled methoxyflurane for pre-hospital analgesia—a prospective, observational study. BMC Emerg Med Trimmel H, Egger A, Doppler R et al Usability and efficacy of inhaled methoxyflurane for pre-hospital analgesia—a prospective, observational study. BMC Emerg Med
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verfasst von
Prim. PD Dr. Helmut Trimmel, MSc
Alexander Egger
Reinhard Doppler
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18.10.2021
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Anaesthesiologie / Ausgabe 3/2022
Print ISSN: 2731-6858
Elektronische ISSN: 2731-6866
DOI
https://doi.org/10.1007/s00101-021-01051-1

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