Kommentar
Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine retrospektive Auswertung eines großen Patientenkollektivs mit Analkarzinom, basierend auf dem Krebsregister von Ontario. Die Patienten rekrutierten sich aus 16 Kliniken. Auffällig ist, dass fast ein Viertel (23 %) der Patienten Behandlungsunterbrechungen von mehr als 7 Tagen aufwies und dass die Schwankungsbreite zwischen den beteiligten Kliniken diesbezüglich von 9 bis 55 % reichte. Die sowieso schon relativ niedrige Gesamtdosis von 45 Gy als Kriterium für die „Vollständigkeit“ der RT erreichten im Gesamtkollektiv nur 82 % der Patienten, erneut mit Schwankungen zwischen 66 und 93 % je nach Klinik.
Dass ältere Patienten (>70 Jahre) und solche mit mehr Komorbiditäten eine niedrigere Wahrscheinlichkeit hatten, die komplette RCT zu erhalten, ist wenig überraschend. Interessanterweise bestätigt diese Arbeit aber erneut, dass eine HIV-Erkrankung nicht mit Unterbrechungen oder inkompletter RCT assoziiert ist und daher die Standard-RCT bei HIV-Patienten mit Analkarzinom gemäß den aktuellen Behandlungsleitlinien ohne Einschränkung und ohne Dosiskompromisse empfohlen wird [
1]. Interessant wäre gewesen, ob die Rate an Therapieunterbrechungen und -abbrüchen auch mit der jährlichen Patientenzahl pro Zentrum assoziiert ist. Ein solcher Zusammenhang wurde bereits in einer Untersuchung der amerikanischen National Cancer Database gezeigt [
2], und dient als Hinweis auf den prognostischen Wert von ärztlicher Erfahrung. Weitere Gründe für die kompromittierte RCT können aufgrund der Registerdaten leider nicht genannt werden.
Aus strahlenbiologischen Erwägungen ist die Unterbrechung einer Strahlentherapie wegen des bekannten Phänomens der „akzelerierten Repopulierung“ [
3,
4] potenziell nachteilig. Dies konnte für die RCT des Analkarzinoms bei Patienten der RTOG-87-04- und RTOG-98-11-Studien gezeigt werden: Eine verlängerte Gesamtbehandlungszeit war mit einer signifikant schlechteren Prognose assoziiert [
5]. Unklar ist allerdings, warum in der hier diskutierten Arbeit kein Einfluss von Therapieunterbrechungen und einer damit verbundenen Verlängerung der Behandlungszeit auf die onkologischen Endpunkte gezeigt wurde. Es ist deshalb zu mutmaßen, dass das Nichterreichen der Zieldosen zunächst der Therapieunterbrechung geschuldet war, die schließlich nicht in einem Wiederaufnehmen der Therapie mündete. Demnach kann man davon ausgehen, dass die Patienten mit Unterbrechungen trotz Pause(n) eher eine ausreichende Bestrahlungsdosis und Chemotherapiedosis erhalten hatten, was auch als signifikanter Einflussfaktor in der sekundären Auswertung der RTOG-Studie gezeigt wurde.
Fazit
Supportive Maßnahmen sind integraler Bestandteil der Behandlung von Krebspatienten [
6]. Die hier kommentierte Arbeit unterstreicht dies erneut und verlangt ein engmaschiges Monitoring, damit die Notwendigkeit einer supportiven Therapie erkannt und frühzeitig eingeleitet werden kann, beispielsweise für Patienten, die wegen Analkarzinom und sicher einer Vielzahl weiterer Tumorentitäten eine RCT erhalten. Die sogenannte „precision oncology“ mit ihrem Fokus auf eine zielgerichtete Therapie ist in Richtung einer „precision delivery“ mit Fokus auf eine adäquate Therapie zu erweitern.
Daniel Martin, Claus Rödel und
Emmanouil Fokas, Frankfurt/M.
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