Erdnüsse: für Kinder das Hauptproblem

Nahrungsmittelallergien sind für die meisten Anaphylaxien bei Kindern verantwortlich [1]. Die Erdnuss ist dabei mit Abstand der häufigste Auslöser. Wie aktuelle Daten aus dem europäischen Anaphylaxie-Register unterstreichen, verlaufen die durch Erdnüsse ausgelösten Anaphylaxien oft schwer und müssen eher stationär behandelt werden als anaphylaktische Reaktionen anderer Ursache [1]. Als besondere Herausforderungen erweisen sich Probleme im Krankheitsmanagement und psychosoziale Auswirkungen im Alltagsleben. Der Bedarf für eine kausale Therapie ist hoch. Die Anaphylaxie ist das Maximum der allergischen Sofortreaktion. Allergische Reaktionen können von plötzlich auftretenden Hauterscheinungen und Allgemeinsymptomen (Schweregrad I) bis hin zu einer potenziell lebensbedrohlichen Beteiligung des Herzkreislaufsystems und der Atemwege (Schweregrad III und IV) reichen [2]. Bei der Präsentation von aktuellen Daten aus dem Anaphylaxie-Register sprach Prof. Dr. Margitta Worm, Allergie-Centrum-Charité – Universitätsmedizin Berlin, von der „Spitze der allergischen Reaktionen“. Datenquelle Anaphylaxie-Register Das Anaphylaxie-Register wurde im Jahr 2006 im deutschsprachigen Raum initiiert, um Daten von Patienten mit schweren allergischen Reaktionen systematisch zu erfassen (www.anaphylaxie.net). Inzwischen beteiligen sich Zentren aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Spanien, Italien, Griechenland, Frankreich, Belgien, Irland, Polen, Bulgarien, den Niederlanden und Brasilien. Mit Stand vom 16.10.2020 sind 14.525 Fälle eingeschlossen, davon 8.174 aus Deutschland. Nahrungsmittel sind die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie bei Kindern und Jugendlichen, bei Erwachsenen Insektengifte, gefolgt von Medikamenten [1]. In den ersten beiden Lebensjahren sorgen vor allem Kuhmilch und Hühnerei für anaphylaktische Reaktionen; danach nehmen Reaktionen auf Cashew- und Haselnüsse sowie vor allem auf Erdnüsse immer mehr zu [3]. „Die Erdnuss ist mit Abstand der häufigste Auslöser nahrungsmittelinduzierter Anaphylaxien bei Kindern“, führte Worm aus. Das unterstreichen die aktuellen Registerdaten (Abb. 1) [4]. Erdnussspuren sind oft schwer zu vermeiden Um eine allergische Reaktion auszulösen, reicht bei den meisten Betroffenen bereits die Menge Erdnussprotein aus, die in weniger als einem halben Erdnusskern enthalten ist. Viele Süßigkeiten enthalten eine geringe Menge Erdnussprotein – daher können Betroffene eine akzidentielle Exposition nur schwer vermeiden [5]. In etwa der Hälfte der Fälle im Register traten die Symptome innerhalb von zehn Minuten nach der Exposition auf [4]. Neben der Auslösemenge fiel bei den durch Erdnussprotein induzierten Anaphylaxien auch auf, dass sie häufiger schwerer verliefen als bei anderen Nahrungsmitteln und mehr Patienten eine biphasische Reaktion zeigten [4]. Diese potenziell lebensbedrohliche Situation tritt ein, wenn die Symptome nach einer ersten Reaktion und Auflösung der Anaphylaxie auch ohne Exposition wiederauftreten [6]. Auch Kofaktoren wie körperliche Belastung und Asthma als Koerkrankung waren in den ausgewerteten Anaphylaxiefällen signifikant häufiger mit Erdnussprotein als mit anderen Nahrungsmitteln assoziiert (p=0,004; p<0,001) [4]. Adrenalin-Autoinjektor verordnen und schulen Bei Erdnussallergikern war häufiger eine Krankenhausaufnahme notwendig als bei anaphylaktischen Reaktionen auf andere Nahrungsmittel (67% vs. 54%; p=0,004) [4]. Für das Management bekamen Patienten mit erdnussinduzierter Anaphylaxie vielfach einen Adrenalin-Autoinjektor (AAI) verschrieben. „Gerade für unsere Erdnussallergiker ist das eine ganz wichtige Maßnahme, um bei Auftreten von Reaktionen im Alltag ein Selbstmanagement zu ermöglichen“, erklärte Worm. Sie verwies auf das Update 2020 der S2k-Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie, in dem folgende Indikationen für die Verordnung eines AAI genannt werden [7]: systemische allergische Reaktion und Asthma bronchiale (auch ohne Anaphylaxie in der Anamnese), progrediente Schwere der Symptomatik der systemischen allergischen Reaktion, Vorgeschichte früherer anaphylaktischer Reaktionen gegen nicht sicher vermeidbare Auslöser. „Eine leitliniengerechte Versorgung der Patienten ist dringend notwendig“, so Worm. Wichtig sei, dass die Patienten nicht nur einen AAI erhalten, sondern vor allem ausreichend und möglichst wiederholt im Umgang mit dem AAI geschult werden. Dennoch bleibe der Bedarf für eine kausale Therapie hoch.Als erste kausale Therapie für Kinder und Jugendliche (4–17 Jahre) mit Erdnussallergie ist eine orale Immuntherapie als Pulver in Europa seit Dezember 2020 zugelassen. Das Allergen (Erdnussprotein) wird zunächst in sehr geringer Menge gegeben, danach wird die Menge kontinuierlich gesteigert. Nach sechs Monaten schließt sich eine Erhaltungstherapie an. Auf den Verzehr von Erdnüssen muss auch unter der Therapie verzichtet werden, allerdings kann die Schwelle für allergische Reaktionen durch versehentlich verzehrte Erdnüsse durch die Behandlung angehoben werden. Prof. Dr. Kirsten Beyer, Leiterin der Sektion Kinderallergologisches Studienzentrum, Charité – Universitätsmedizin Berlin, präsentierte entsprechende Studiendaten [8,9]. Abb.1: Auslöser der nahrungsmittelinduzierten Anaphylaxien bei Kindern im Anaphylaxie-Register (modifiziert nach [4]) Springer Medizin Verlag GmbH × APPEAL-1-Studie Die Angst vor der Exposition als ständiger Begleiter Für Kinder mit Erdnussallergie und ihre Familien kann das strikte Vermeiden selbst kleiner Mengen des Allergens eine große Herausforderung sein. Das kann erhebliche psychosoziale Konsequenzen haben. Die APPEAL-1-Studie macht den negativen Einfluss einer Erdnussallergie auf das Leben der Betroffenen und ihrer Familien deutlich [10,11]. Allergische Reaktionen auf Erdnüsse sind potenziell lebensbedrohlich und nach US-amerikanischen Daten für die Mehrzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln verantwortlich, betonte Kim Abbenhaus, Geschäftsführerin der Aimmune Therapeutics Germany GmbH. In Europa ist eine Zunahme der Erdnussallergien zu beobachten [12]. Im deutschen Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS, Datenerhebung von 2003 bis 2006) wiesen fast 11% der Kinder und Jugendlichen eine Sensibilisierung gegenüber Erdnuss auf [13]. Die Prognose der Erdnussallergie ist eher ungünstig; nur rund 20% der betroffenen Kinder entwickeln im späteren Lebensalter ohne Behandlung eine ausreichende Toleranz [14]. APPEAL-1 zeigt Probleme auf Kinder mit Erdnussallergie müssen selbst Spuren von Erdnüssen meiden. Allerdings kommen viele trotz größter Vorsicht irgendwann versehentlich mit dem Allergen in Kontakt [15]. Das Risiko einer potenziell lebensbedrohlichen allergischen Reaktion kann den Alltag der Erdnussallergiker und ihrer Familien oft ganz erheblich beeinflussen, wie aktuelle Daten aus der quantitativen Querschnittstudie APPEAL-1 (Allergy to Peanuts imPacting Emotions And Life 1) belegen [10,11]. An der zweiteiligen Online-Befragung nahmen insgesamt 1.846 Erdnussallergiker und ihre Familien (528 Erwachsene und 437 Kinder mit Erdnussallergie sowie 881 Betreuungspersonen) in acht europäischen Ländern teil. Ihre gravierendste allergische Reaktion bewerteten 45% der Teilnehmer als schwerwiegend [10]. 31% gaben an, dass sie in diesem Fall auf die Anwendung eines Adrenalin-Autoinjektors (AAI) angewiesen waren oder ein Krankenhaus aufsuchen mussten [10]. 87% der Teilnehmer nannten mehr als ein Symptom bei ihrer schwersten allergischen Reaktion, am häufigsten Schwellungen (Lippen, Augen, Zunge), Atembeschwerden/Keuchen und Jucken im Mund oder Engegefühl im Hals [10]. Beim Krankheitsmanagement zeigte sich erheblicher Optimierungsbedarf: So waren sich 88% der deutschen APPEAL-1-Studienteilnehmer nicht sicher, wann ein Notfallmedikament wie der AAI anzuwenden ist [11]. 29% gaben an, mit der Diagnose Erdnussallergie zunächst überhaupt nicht gut zurechtgekommen zu sein [11]. Frust, Stress, Angst und mehr Die psychosozialen Auswirkungen der Erdnussallergie auf das Alltagsleben waren enorm: Die meisten Betroffenen (90%) fühlten sich frustriert und gestresst, 36% litten häufig unter Angstgefühlen [11]. Viele berichteten über negative Gefühle im Umgang mit anderen: 65% gaben an, sich isoliert zu fühlen, und 43%, ausgegrenzt worden zu sein [11]. Als problematisch empfunden wurden nicht nur die Momente, in denen es um die Nahrungsaufnahme und mögliche Erdnussspuren ging. Sorgen bereitete auch eine akzidentielle Exposition in Situationen, in denen Essen keine Rolle spielt, z.B. in der Schule (55%), bei sozialen Kontakten (75%) oder der Teilnahme an besonderen Veranstaltungen (89%) [11]. In Deutschland fühlten sich 90% der Betroffenen durch die Erdnussallergie in ihrem Sozialleben eingeschränkt – mehr als im europäischen Vergleich (75%) [11]. Die Studienergebnisse haben damit zum einen gezeigt, wie stark eine Erdnussallergie das Leben von Betroffenen und ihren Familien beeinflussen kann. Zum anderen zeigten sich große Informationslücken und Unsicherheiten, wie der Erkrankung zu begegnen ist [10,11]. Link zur aktuellen Palforzia-Fachinformation: https://www.aimmune.de/pdfs/Commercial_SmPC_DE_Initial_Dec_2020_V1.0.pdf Literatur Anaphylaxie-Register, data on file, Stand: 03/17 Ring J, Klimek L, Allergologie 2020, 43:332–333 Grabenhenrich LB et al., J Allergy Clin Immunol 2016, 137:1128–1137 Maris I et al., submitted to Allergy, preprint, doi:10.22541/au.159672620.00081079 Deschildre A et al., Clin Exp Allergy 2016, 46:610–620 Lee S et al., J Allergy Clin Immunol Pract 2015, 3:408–41e2 Ring J et al., Guidelines (S2) to acute therapy and management of anaphylaxis – update 2020, Allergo J Int 2020, in press Hourihane JOB et al., Lancet Child Adolesc Health 2020, 4:728–739 Vickery BP et al., N Engl J Med 2018, 379:1991–2001 Blumchen K et al., Allergy 2020, 75:2920–2935 DunnGalvin A et al., Allergy 2020, 75:2899–2908 Nwaru BI et al., Allergy 2014, 69:992–1007 https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=15335&site_key=145&zeilenzahl_zaehler=588&NextRow=10&pId=15335&dId=110828 (letzter Zugriff: 09.12.20) Skolnick HS et al., J Allergy Clin Immunol 2001, 107:367–374 Vander Leek TK et al., J Pediatr 2000, 137:749–755 Impressum Frühstückssymposium „Nahrungsmittelallergie in Deutschland: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ und Pressekonferenz, 15. Deutscher Allergiekongress, Wiesbaden, 25. September 2020 Berichterstattung: Dr. Ulrike Wepner, München Artikel gedruckt in Allergo Journal 1/2021 Monatsschrift Kinderheilkunde 1/2021 Mit freundlicher Unterstützung der Aimmune Therapeutics Germany GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Anne Kathrin Steeb Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Nahrungsmittel als Anaphylaxie-Auslöser - Erdnüsse: für Kinder das Hauptproblem

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