Antibiotika als Risikofaktor für chronische Darmerkrankungen

Das häufige Einnehmen von Antibiotika, insbesondere Breitspektrumpräparaten, scheint langfristig auch bei Erwachsenen die Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen zu begünstigen. In einer großen schwedischen Kohorte stieg das CED-Risiko mit der Zahl der Verschreibungen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Sowohl in Europa als auch in den USA sowie in einigen sich rasch entwickelnden Ländern wird derzeit ein deutlicher Anstieg der Inzidenz chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED) beobachtet. Dies könnte, so wird spekuliert, mit den häufigen Antibiotikaverschreibungen in diesen Ländern zusammenhängen. Vor allem bei Kindern gibt es Hinweise, dass die antibiotisch wirksamen Substanzen das Darmmikrobiom durcheinanderbringen und so chronische Entzündungen triggern. Dass diese Vermutung auch für Erwachsene zutrifft, scheint sich nach Auswertung eines schwedischen Registers mit Teilnehmern über 16 Jahren zu bestätigen: Hier zeichnete sich eine deutliche Assoziation zwischen der Zahl der in der Vergangenheit ausgestellten Antibiotikarezepte und der Entwicklung eines M. Crohn, aber auch einer Colitis ulcerosa ab. Schwedisches Register mit knapp 24.000 Patienten Von den im Register erfassten Patienten hatten insgesamt 23.982 zwischen 2007 und 2016 eine CED entwickelt. Diese Patienten wurden prospektiv einer nach Alter, Geschlecht, Region und Kalenderjahr angepassten Kohorte aus der Allgemeinbevölkerung (n = 117.827) gegenübergestellt. Bei der CED-Diagnose waren Morbus-Crohn-Patienten im Mittel 31 Jahre alt, Patienten mit Colitis ulcerosa 36. Um eine umgekehrte Kausalität möglichst auszuschließen – man könnte ja annehmen, dass die Antibiotika verschrieben wurden, um bereits bestehende Symptome einer noch undiagnostizierten CED zu behandeln –, hatten die Forscher grundsätzlich keine Verordnungen berücksichtigt, die innerhalb eines Jahres vor der Diagnose erfolgt waren. Risiko um rund das Doppelte erhöht Nach Berücksichtigung verschiedener Einflussfaktoren (Alter, Geschlecht, Wohnort, Kalenderjahr, Bildungsgrad, Häufigkeit der Arztbesuche) war die Wahrscheinlichkeit einer im Beobachtungszeitraum neu diagnostizierten CED bei den irgendwann zuvor antibiotisch Behandelten gegenüber denjenigen, die nie eine entsprechende Verschreibung erhalten hatten, insgesamt um 88% erhöht. Das Chancenverhältnis (Odds Ratio) für das Auftreten eines M. Crohn betrug nach Adjustierung 2,27, das für eine Colitis ulcerosa 1,74. Die Wahrscheinlichkeit, eine CED zu entwickeln, stieg offenbar mit der Zahl der Verschreibungen. Bei lediglich einem ausgestellten Rezept war das Risiko gegenüber Patienten ohne Antibiotikaverordnung um relative 11% erhöht, bei zwei Rezepten um 38% und bei drei oder mehr um 55%. Breitspektrumpräparate besonders bedenklich Breitspektrumpräparate ließen das Risiko besonders steigen. Dabei war die Assoziation für Antibiotika aus der Klasse der Cephalosporine mit einer adjustierten Odds Ratio (aOR) von 1,20 unter den untersuchten Präparaten am stärksten. Das Forscherteam um Long Nguyen von der Harvard Medical School in Boston führte außerdem zwei Sensitivitätsanalysen durch: In der ersten wurden Antibiotikaverordnungen ausgeschlossen, die nicht nur innerhalb von einem, sondern von zwei Jahren vor Erkrankungsbeginn stattgefunden hatten. Am Ergebnis änderte sich dadurch kaum etwas. Und auch wenn man als Referenzgruppe nicht betroffene Geschwister heranzog, von denen anzunehmen war, dass sie in einem gleichen Umfeld und mit ähnlicher genetischer Ausstattung aufgewachsen waren, blieb der Einfluss der Antibiotikatherapien auf das CED-Risiko signifikant (aOR 1,35). Pilzwachstum begünstigt? Für Studienkommentator Harry Sokol von der Pariser Sorbonne liegt es nahe, dass durch die Wirkung der Antibiotika, die ja gezielt Bakterien angreifen, ökologische Nischen für andere Erreger, vor allem Pilze, frei werden. Dem Experten zufolge könnte dies vor allem für Candida albicans zutreffen, einen Pilz, der bereits als auslösender Faktor für CED diskutiert wurde. Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen müssten im Detail jedoch noch erforscht werden. Das Wichtigste in Kürze Frage: Besteht zwischen der Verschreibung von Antibiotika und der Entwicklung einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung auch bei Erwachsenen ein Zusammenhang? Antwort: Die Auswertung eines schwedischen Registers hat dies bestätigt. Das Risiko, eine CED zu entwickeln, war bei Patienten, die in der Vergangenheit Antibiotika bekommen hatten, signifikant höher und stieg mit der kumulativen Zahl der Rezepte. Bedeutung: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Antibiotika auch bei Erwachsenen die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm empfindlich stören könnten. Einschränkung: Kohortenstudie; Kausalität letztlich nicht bewiesen; Daten auf Schweden beschränkt; nur Verschreibungen, nicht die tatsächliche Einnahme von Antibiotika berücksichtigt.

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Antibiotika als Risikofaktor für chronische Darmerkrankungen

Weiterführende Themen

Magen-Darm-Erkrankungen in der Hausarztpraxis

Live-Webinar: Aktuelle Leitlinien bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Springer Medizin

Bitte loggen Sie sich ein, um Zugang zu diesem Inhalt zu erhalten

Weiterführende Themen

Magen-Darm-Erkrankungen in der Hausarztpraxis