(M. Herbort) Periphere Bandinstabilitäten des Kniegelenkes sind in den letzten Jahren sehr stark in den Fokus geraten. Insbesondere als Begleitverletzungen von vorderen oder hinteren Kreuzbandverletzungen scheinen sie eine große Bedeutung für die erfolgreiche Therapie dieser Knieverletzungen zu haben. Es bestehen offensichtlich wichtige synergistisch stabilisierende Zusammenhänge zwischen dem zentralen Pfeiler (VKB/HKB) und den peripheren ligamentären Strukturen, die jedoch durch die rein arthroskopische Sicht in Vergessenheit geraten sind und erst in den letzten Jahren ausführlich analysiert und verstanden wurden. Während die synergistische Bedeutung der medialen und lateralen Gelenkecke für die Versorgung der hinteren Kreuzbandverletzungen bereits seit vielen Jahren bekannt ist und eine vermehrte hintere Schublade auf eine Kombinationsverletzung des hinteren Kreuzbandes mit den posterolateralen oder posteromedialen Strukturen zurückgeführt werden, so wurde ein Zusammenhang des Ausmaßes der anterioren Instabilität und insbesondere der Rotationsinstabilität mit den peripheren Strukturen und einer vorderen Kreuzbandruptur erst kürzlich intensiver untersucht. Seit Langem werden die anterioren Instabilitäten nach vorderer Kreuzbandruptur in unterschiedliche Grade eingeteilt (Lachman: Grad 1 bis 3; Pivot-Shift: Grad 1 bis 3). Insbesondere die Rotationsinstabilität, welche mit unterschiedlicher Ausprägung aus einer vorderen Kreuzbandruptur resultiert, zeigt einen besonders wichtigen Einfluss auf das funktionelle Outcome, die Möglichkeit der Kompensation der Instabilität und auch die Arthrose Entstehung des Gelenkes. Somit besteht in der erfolgreichen Behandlung dieser rotatorischen Instabilität ein wichtiges Ziel der vorderen Kreuzbandchirurgie. Die Bemühungen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren, durch eine isolierte Modifikation der VKB-Rekonstruktionstechnik (z. B. Doppelbündelrekonstruktion) diese hochgradigen Rotationsinstabilitäten (Pivot-Shift Grad 3) in den Griff zu bekommen, waren leider nicht in allen Fällen von Erfolg gekrönt. Zusätzlich wurde in der Vergangenheit die unterschiedliche Ausprägung der Instabilität nach „vermeintlich isolierter VKB-Ruptur“ unkritisch in Kauf genommen und mit Hilfe einer isolierten VKB-Rekonstruktion behandelt. Nach genauer Betrachtung dieser Problematik erscheint es logisch, dass Begleitpathologien (traumatisch oder auch habituell) für diese unterschiedliche Ausprägung der Instabilität nach VKB Ruptur verantwortlich sein können. Bei einer genauen Betrachtung der mechanischen Vektoren und Hebelwirkungen im Kniegelenk, welche durch die anatomische Platzierung der Bandstrukturen Einfluss auf eine rotatorische Instabilität nehmen, wird dem Betrachter sofort klar, dass eine dezentrale, periphere Struktur das Kniegelenk deutlich erfolgreicher gegen eine Rotationskomponente stabilisieren kann als das im Zentrum des Kniegelenkes verlaufende vordere Kreuzband. Die am häufigsten vorkommende Rotationsinstabilität nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes ist die anterolaterale Rotationsinstabilität. Diese wird unter anderem in dem Zusammenhang mit Verletzungen der anterolateralen Kapselbandstrukturen gebracht. Die Diskussion über die „Wiederentdeckung“ des anterolateralen Ligamentes (ALL) hat den Fokus auf diese Rotationsinstabilität gelenkt. Neben der anterolateralen Rotationsinstabilität gibt es jedoch auch gehäuft eine anteromediale Rotationsinstabilität, welche durch eine (Teil-)Insuffizienz der medialen Bandstrukturen verursacht wird (Abb. 1). Abb. 1 Schematische Darstellung der vier möglichen Rotationsinstabilitäten und der beteiligten peripheren Bandstrukturen. 2020 AGA-Komitee-Knie-Ligament × Neben der reinen Rotationsinstabilität spielen verbleibende Instabilitäten der peripheren Bandstrukturen zur Stabilisierung gegen Varus- und Valgusstress eine wichtige Rolle. Auch in Bezug auf die Kniestabilisierung gegen Varus- und Valguskräfte besitzen die Seitenbandstrukturen optimale biomechanische Eigenschaften aufgrund ihrer Insertionsanatomie. Bei bestehender Insuffizienz oder auch Teilinsuffizienz dieser Strukturen kann eine Überlastung der zentralen Bandstrukturen z. B. in Folge einer isolierten VKB-Rekonstruktion bei Insuffizienz des medialen Kollateralbandapparates erfolgen. Hierdurch wird die VKB-Plastik in ihrer fragilen Phase der Einheilung und des Remodelings aufgrund der ungünstigen Hebelgesetze durch eine valgisierende Krafteinwirkung bei Teilinsuffizienz des medialen Bandapparates sprichwörtlich ausgehebelt, vergleichbar zu einem Flaschenöffner, der einen Kronkorken entfernt (Abb. 2). Abb. 2 Schematische Darstellung der Hebelverhältnisse im Kniegelenk vom vorderen Kreuzband und den medialen Bandstrukturen unter Einwirkung eines Valgusstresses. 2020 AGA-Komitee-Knie-Ligament × Neben den rein ligamentären Stabilisatoren des Kniegelenkes haben jedoch auch die Menisci als auch die knöcherne Konfiguration einen entscheidenden Einfluss auf die Stabilität des Kniegelenkes. Vor allem das Ausmaß des tibialen Slopes wurde in den letzten Jahren als ein wichtiger synergistischer Faktor sowohl des vorderen als auch hinteren Kreuzbandes erkannt. Zusammenfassung In Bezug auf die Stabilisierung des Kniegelenkes gegen Rotationskräfte als auch gegen Varus- und Valguskräfte haben die peripheren Bandstrukturen des Kniegelenkes eine essenzielle Aufgabe und können nicht durch isolierte zentrale Bandrekonstruktionen ersetzt werden. Zusätzlich haben sie synergistisch stabilisierenden Effekt auf translationale Kräfte und unterstützen auch in Bezug auf diese Stabilisierung die Kreuzbänder. Aus diesem Grund sollten periphere Bandinsuffizienzen in keinem Fall übersehen und bei Bedarf auch operativ-rekonstruktiv adressiert werden. Neben den Bändern sollten jedoch auch die synergistisch stabilisierenden Einflüsse der Menisci und des Knochens (z. B. Slope) berücksichtigt und ins Therapieregime eingeschlossen werden. Dieses Heft bietet Ihnen eine umfassende Übersicht über die Grundlagen, die Diagnostik und adäquate Therapie solcher periphereren Bandinstabilitäten des Kniegelenkes.