Funktionell/Impingement > Posterosuperiores Glenoid-Impingement im Handball

Andreas Voss, Jens Agneskirchner Die Pathophysiologie des posterosuperioren Glenoid-Impingements (PSGI), welches ursächlich für häufig auftretende Schulterschmerzen bei Überkopfsportlern ist, wurde bereits 1992 von Walch beschrieben [5]. Während der hohen Außenrotation (ABER-Position) kommt es zu einem physiologischen Kontakt zwischen der Supra-/Infraspinatussehne und dem dorsokranialen Labrumkomplex [2]. Zusätzlich wurde zunächst durch Verna und dann durch Burkhard das klinische Bild des glenohumeralen Innenrotationsdefizits (GIRD) beschrieben, bei dem es zu einer pathophysiologischen Veränderung der Schulterbewegung im Wurfsport kommt [1, 4]. Die für die Wurfbewegung benötigte erweiterte hohe Außenrotation führt zu einer reduzierten Innenrotation. Dieser Effekt triggert in der hohen Außenrotation den Kontakt im Bereich des posterosuperioren Labrumkomplexes und der Sehnen des Supra- und Infraspinatus. Gerade bei Wurfsportlern kommt es aufgrund des repetitiven Stresses zwischen Glenoid und Sehne zur Inflammation mit Degeneration und Schmerz. Zeigen sich nun in diesem Bereich weichteilige oder knöcherne Veränderungen, kommt es zum sog. PSGI. Die Diagnostik dieses pathologischen Impingements und die Abgrenzung vom physiologischen Kontakt ohne messbare strukturelle Veränderungen ist essenziell, da die Therapie des posterosuperioren Impingements (PSI) zunächst vorrangig konservativ ist, wohingegen bei Fehlschlagen konservativer Ansätze oder strukturell pathologischen Veränderungen (PSGI) oft eine chirurgische Intervention sinnvoll ist [3]. Anamnese Eine 19-jährige Handballspielerin stellte sich erstmalig im August 2018 bei einem auswärtigen Orthopäden vor. Dort berichtete sie von wiederkehrenden Schmerzen im Bereich der rechten Schulter, v. a. bei Torwurfbewegungen. Nach zunächst durchgeführter Sportkarenz kam es zu einer deutlichen Beschwerdelinderung. Alltagsaktivitäten und Nachtschlaf waren nicht eingeschränkt. Im weiteren Verlauf erfolgten regelmäßige Konsultationen aufgrund wiederkehrender Schmerzen bei sportlicher Aktivität im Bereich der rechten Schulter. Zusätzlich kam es im Januar 2019 zu einem Sturz nach Gegnerkontakt mit einer Kapselverletzung der rechten Schulter, welche konservativ behandelt wurde. Aufgrund der anhaltenden Beschwerden und nach frustraner konservativer Therapie erfolgte im September 2019 die Vorstellung zur Einholung einer Zweitmeinung. Abb. 1 Magnetresonanztomographie (MRT) der rechten Schulter (a parasagittal – T2, b koronar – T1), gelber Kreis hyperintense Darstellung des posterosuperioren Glenoids als Hinweis für eine Überlastungsreaktion 2020 Springer Nature Switzerland AG. Part of Springer Nature. × Abb. 2 Intraartikuläre Darstellung der rechten Schulter mit Blick auf das posterosuperioren Gleno-id. a Resektion der Weichteile oberhalb des Labrums mit dem Shaver. b Darstellung des knöchernen Impingements medial des posterosuperioren Glenoidrands. Gelbe Line knöchernes Impingement, ISP Infraspinatus, L Labrum, G Glenoid, H Humeruskopf 2020 Springer Nature Switzerland AG. Part of Springer Nature. × Diagnostik Klinische Untersuchung In der klinischen Untersuchung zeigte sich eine beidseitige Abduktion der Schultern bis 180 Grad sowie eine Außenrotation (ARO) bis 80 Grad. Im Vergleich zur gesunden linken Schulter zeigt sich im Bereich der rechten Schulter eine deutlich reduzierte hohe Innenrotation als typischer Hinweis für ein GIRD. Zusätzlich zeigt sich eine vermehrte hohe Außenrotation mit endgradigen Schmerzen. Die weiteren Tests hinsichtlich Rotatorenmanschette, Instabilität, Akromioklavikulargelenk und langer Bizepssehne blieben unauffällig. Des Weiteren zeigte sich eine erhebliche Schmerzhaftigkeit der Schulter in der Provokationsposition hohe ARO und Abduktion (ABD). Magnetresonanztomographie Die MRT-Untersuchung der rechten Schulter zeigte an der posterioren Zirkumferenz des Glenoids eine leichte kortikale Irregularität mit pathologischer Kontrastmittelaufnahme auch des Knochens. Das Periost wirkt dort schalenförmig abgehoben. Das posterosuperiore Labrum zeigt eine leichte Signalalteration ohne Hinweis auf eine Ruptur. Auch im Bereich der Rotatorenmanschette fand sich kein Hinweis auf eine Ruptur (Abb. 1, MRT). In Zusammenschau der klinischen und radiologischen Befunde wurde die Diagnose eines knöchernen posterosuperioren Glenoid-Impingements gestellt und zusammen mit der Patientin die Indikation zur arthroskopischen posterosuperioren Glenoidplastik gestellt. Operation Die Patientin wurde in der Beach-chair-Position gelagert und in standardisierter Weise steril abwaschen und abgedeckt. Bei der Narkoseuntersuchung zeigte sich das GIRD-Syndrom, wie bekannt, sonst freie Beweglichkeit ohne Anzeichen einer Instabilität. Nach Einbringen des Arthroskops über einen posterioren Standardzugang erfolgte der diagnostische Rundgang. Wie erwartet, zeigte sich im Bereich des posterosuperioren Glenoids eine deutliche Ausfransung als Reaktion auf das PSI, bei noch intaktem oberem Labrum und Bizepssehne. Der weitere Rundgang brachte keine weiteren pathologischen Befunde. Nun erfolgte die Anlage eines anterolateralen Portals und Umsetzung des Arthroskops. Hier zeigt sich nun ein balkonartig ins Gelenk ragender posterosuperiorer Knochensaum. Es erfolgte das arthroskopische Freipräparieren des Knochenwulstes (ca. 5 mm) am posterosuperioren Glenoid (Abb. 2). Anschließend wurde die Pathologie mittels Fräse abgetragen und das Glenoid getrimmt. Eine Untersuchung mit dem Tasthaken zeigte ein stabiles Labrum, sodass keine Labrumfixation erforderlich war. Zusätzlich wurde eine posteriore Kapsulotomie zur Behandlung des GIRD durchgeführt. Abschließend erfolgte die Darstellung des Subakromialraums, ohne Hinweise auf behandlungsbedürftige Patholgien. Postoperatives Procedere und Nachuntersuchung Das postoperative Procedere erfolgte nach einem adaptierten Schema (Tab. 1). Sechs Wochen postoperativ stellte sich die Patientin zur klinischen Verlaufskontrolle vor. Sie berichtete von einer kompletten Schmerzfreiheit in jeglicher Position. Alltagsaktivitäten konnten schmerzfrei und ohne Einschränkung durchgeführt werden. Der Nachtschlaf war nicht gestört und eine orale analgetische Therapie wurde nicht mehr durchgeführt. In der klinischen Untersuchung zeigte sich im Vergleich zum präoperativen Befund eine Verbesserung des GIRD, aber noch immer mit vermehrter hoher Außenrotation, diese jedoch ohne endgradigen Schmerz (Abb. 3). Tab. 1 Postoperatives Procedere nach arthroskopischer posterosuperiorer Glenoidplastik hinsichtlich Fixation und Mobilisation Zeit postop. Fixation Bewegungs- umfang Kranken- gymnastik Physikalische Therapie Opertions- tag Thorax-Abduktionskissen bei Bedarf lösen Bis 60° Abduktion und Flexion, freie Innen- und Außenrotation (passiv) Passiv: Vor- und Zurückführen des Armes (Sägen), assistierte Bewegungen ohne Erreichen der Schmerzgrenze Eisanwendungen, evtl. Aircast® Cryo/Cuff™, orale Antiphlogistika (wenn keine Kontraindikationen), Lymphdrainage 1. Tag Thorax-Abduktionskissen noch nach Bedarf (nachts) Bis 60° Abduktion und Flexion, freie Innen- und Außenrotation (passiv) Assistierte Bewegungsübungen ohne Erreichen der Schmerzgrenze (achsengeführt) Wichtig: keine aktive Abduktion/Flexion! Eisanwendungen, Antiphlogistika 2. Tag bis 3. Woche Thorax-Abduktionskissen nur nach Bedarf Schrittweise vorsichtig steigernd bis 90° Abduktion und Flexion, freie Rotation (vorwiegend passiv) Assistierte (achsengeführt, rotationsneutral). Aktive Bewegungen nur wenn schmerzfrei! Kältetherapie, evtl. Elektrotherapie, Lymphdrainage des Arms, wenn erforderlich, ggf. Behandlung schmerzhafter Sehnenansätze 4. bis 6. Woche Keine Steigernd nach Maßgabe der Beschwerden Assistierte und zunehmend aktive Bewegungsübungen Kältetherapie, evtl. Elektrotherapie, ggf. Behandlung schmerzhafter Sehnenansätze Diskussion Die Vorstellung eines Leistungssportlers mit Überkopf- und Wurfbelastung in einer orthopädischen Sprechstunde ist selten. Gerade im semiprofessionellen Leistungssport fehlen oft die nötigen Ressourcen, um pathologische Veränderungen frühzeitig zu erkennen oder vorzubeugen. Viele der beschriebenen Beschwerden gehen auf eine funktionelle Problematik durch Überbelastung zurück, bei der es zu Dysbalancen im Bereich der periskapulären Muskulatur kommt. Gerade im Wurfsport ist daher der konservative Therapieansatz sinnvoll und meist auch erfolgreich, da sich pathologische Bewegungsmuster durch spezialisierte Therapieprotokolle wieder normalisieren lassen. In der klinischen sowie radiologischen Diagnostik ist es äußerst schwierig, zwischen einem physiologischen Kontakt bei einem PSI und einer pathologischen Veränderung im Bereich des posterosuperioren Glenoids zu unterscheiden. Dies liegt sowohl an der sehr speziellen Entität der Pathologie, also auch an der Tatsache, dass MRT-Spezialaufnahmen (z. B. ABER-Position) in der gängigen Praxis nicht angefertigt werden, oder gerade bei jungen Patienten eine Computertomographie (CT) vermieden wird. Aber genau diese Differenzierung zwischen physiologisch und pathologisch ist entscheidet, da nur dann auch ein operativer Therapieansatz sinnvoll sein kann. Die pathomorphologischen Veränderungen sind v. a. humeralseitigekapsuläre und/oder tendinöse gelenkseitige Läsionen im Bereich des Infraspinatus. Zusätzlich zeigen sich glenoidseitige labrale sowie ggf. auch knöcherne Veränderungen. Diese sind jedoch in der dominanten angloamerikanischen Literatur weitestgehend unbekannt. In der Arbeit von Levigne et al. [3] konnte gezeigt werden, dass eben dieses spezielle Patientengut auch knöcherne Veränderungen mit Ausziehungen im Bereich des posterosuperioren Glenoids aufweisen kann. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die CT-Untersuchung in Frankreich im Vergleich zum restlichen europäischen und angloamerikanischen Raum weitaus häufiger durchgeführt wird. Diese knöchernen Veränderungen können schon primär vorhanden sein oder sich im Laufe der Zeit als sog. Traktionssporn bilden. Abb. 3 Klinische Nachuntersuchung der rechten Schulter 6 Wochen postoperativ. Problemlose und schmerzfreie hohe Außenrotation (a) und Innenrotation (b) 2020 Springer Nature Switzerland AG. Part of Springer Nature. × Daher ist die Erfassung solcher Sporne zwingend notwendig und eine operative Abtragung logisch. Hierzu kann v. a. eine T2-gewichtete MRT-Bildgebung hilfreich sein, um ein eventuelles Knochenmarködem zu erfassen. Die CT-Diagnostik kann zur sichereren Beurteilung des Knochens noch ergänzt werden. Bei der operativen Versorgung gelingt die Visualisierung nur durch das Umstecken des Arthroskops von ventral nach lateral. Sollte die Pathologie nicht eindeutig darzustellen zu sein, muss ggf. das Labrum angehoben werden, um den Sporn zu identifizieren. Diese Fallpräsentation soll helfen, für diese Pathologie zu sensibilisieren, und ermutigen, eine entsprechende spezifische Feindiagnostik zu veranlassen. Da Überkopfsportler meist schon mehrere Ärzte zu Rate gezogen haben, sind diese äußerst dankbar, weil lange und frustrane konservative Therapieversuche doch noch ein positives Ende nehmen können. Fazit In der klinisch-radiologischen Untersuchung ist das posterosuperiore Glenoid-Impingement (PSGI) von dem klassischen posterosuperioren Impingement (PSI) zu unterscheiden. Das PSGI profitiert von einer operativen Therapie, wohingegen das PSI als klassische Domäne der konservativen Therapie gilt. Wichtig ist die Beurteilung des Glenoids in der MRT (ggf. auch CT), um Hinweise für eine knöcherne Veränderung oder Überlastung des Knochens zu finden. Die operative Versorgung des PSGI mittels arthroskopischer posterosuperiorer Glenoidplastik zeigt hervorragende klinische Ergebnisse, wie auch in der Literatur bestätigt wird. Autoren Andreas Voss1,2 • Jens Agneskirchner3 1 Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Regensburg, Regensburg, Deutschland 2 sporthopaedicum Straubing/Regensburg, Regensburg, Deutschland 3 go:h Gelenkchirurgie Orthopädie Hannover, Hannover, Deutschland Korrespondenzadresse PD Dr. med. Jens Agneskirchner go:h Gelenkchirurgie Orthopädie Hannover Bertastraße 10, 30159 Hannover, Deutschland jens.agneskirchner@g-o-hannover.de Erstpubliziert in Arthroskopie 5/2020 https://doi.org/10.1007/s00142-020-00401-2 Arthroskopie interessiert Sie? Wenn Sie weitere Beiträge zum arthroskopischen Grundlagenwissen lesen möchten, gelangen Sie hier zu Arthropedia. Dort finden Sie alle Beiträge, gegliedert nach anatomischen Regionen.

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