Da die uneinheitliche Verwendung von schlecht definierten Begriffen speziell in den Situationen am Lebensende zu Verwirrung führt und Fehlinterpretationen erlaubt, empfiehlt die ARGE Ethik der ÖGARI eine klare Definition der Begrifflichkeiten mit der Hoffnung auf eine baldige und umfassende Implementierung dieser modernen Begrifflichkeiten in die klinische Praxis.
Die von der ARGE Ethik der ÖGARI vorgeschlagenen Begriffe rund um die Situationen am Lebensende lehnen sich eng an die von der Bioethikkommission des österreichischen Bundeskanzleramtes vorgeschlagene Terminologie an. Dies sind die Empfehlungen der Bioethikkommission zur
Terminologie medizinischer Entscheidungen am Lebensende (2011) sowie der Artikel zu
Sterben in Würde aus dem Jahr 2015 [
1].
Therapiezieländerung
Einer der wichtigsten Begriffe moderner Terminologie rund um die Situationen am Lebensende ist die
Therapiezieländerung (TZÄ): TZÄ ist die therapeutische Entscheidung, das Therapieziel (TZ) von Heilung Richtung Palliation zu ändern und schlussendlich Sterbende im Rahmen einer
Comfort Terminal Care (CTC) zu begleiten (Tab.
1; [
2]). Dies immer dann, wenn eine technisch noch machbare medizinische Handlung nicht mehr zielführend/indiziert bzw. wirkungslos ist. Intention der TZÄ ist es, bei schwerer, weit fortgeschrittener Erkrankung Sterben zuzulassen. Beim Übergang einer kurativen zu einer palliativen Zielsetzung wird dabei der Fokus von
Heilen auf
Wohltun gerichtet, um ein
„gutes Leben am Ende des Lebens“ und ein
„Sterben in Würde“ unter
bestmöglicher Symptomlinderung (ohne Angst, Stress, Schmerzen, Atemnot, Schwäche, Mundtrockenheit, Delir, Übelkeit etc. …) unter ärztlicher und pflegerischer Begleitung zu ermöglichen [
3,
4].
Tab. 1
Begriffe, die für die korrekte Dokumentation der Durchführung einer Therapiezieländerung (TZÄ) notwendig sind
DNR/DNAR | Do not resuscitate/Do not attempt resuscitation: mechanisch, medikamentös, elektrisch |
DNE | Do not escalate: laufende Therapie nicht steigern; genau zu definierende Therapiebegrenzung hinsichtlich bestimmter Maßnahmen, z. B. Antibiose, Katecholamine, Gerinnungsfaktoren etc. |
RID | Re-evaluate indication and deescalate: Indikation und Therapieziel überdenken (1 × tgl. im Rahmen der Visite lt. Empfehlung der ARGE Ethik der ÖGARI) und bei fehlender Indikation deeskalieren |
WITHHOLD | Therapie nicht beginnen: CPR, Intubation, Aufnahme ad Intensiv, OP, Hämofiltration, Antibiose etc. |
WITHDRAW | Therapie beenden: Antibiose, HF, Beatmung/Tubus, Katecholamine, ECMO etc. |
CTC | Comfort Terminal Care: palliativmedizinische Betreuung in der Sterbephasea |
AND | Allow natural death: Wird auf der Normalstation häufig als sog. „soft DNR/DNAR“ verstanden und ist oft ein inhaltlich schlecht definierter/vager Begriff, vor allem wenn keine differenzierte Auffassung von Handlung/Nichthandlung besteht. Generell nicht gut geeignet für intensivmedizinisches Setting (evtl. verwendbar, wenn sterbende Patient:in nicht mehr von der Intensivstation weggelegt wird) |
Auf die alten, durchaus noch gebräuchlichen Begriffe wie
Therapie-Beendigung, Therapie-Abbruch, Therapie-Rückzug sollte gänzlich verzichtet werden, da sie verwirrend und missverständlich sind. Bei der Betreuung schwerstkranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase gibt es noch sehr viel zu tun.
Beendigung, Abbruch, Rückzug sind daher keine korrekten, weil zu kurz greifende Begriffe, da sie nur die Beendigung einer auf Heilung ausgerichteten Therapie implizieren und den notwendigen Fokus hin zu folgender palliativmedizinischer Behandlung außer Acht lassen [
5‐
7].
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich aus dem Recht auf Autonomie das Recht auf Unvernunft ableitet. Dies bedeutet, dass Menschen nach ausführlicher Aufklärung über die Konsequenzen eine technisch mögliche und medizinisch indizierte Behandlung ohne Angabe von Gründen ablehnen dürfen, selbst wenn diese im Sinne von Lebenserhaltung ein Therapieziel hätte und der Tod Folge der Entscheidung wäre.
Die TZÄ stellt auch eine der Grundlagen für eine Organspende im Rahmen einer DCD – Donation after Circulatory Determination of Death (Maastricht III) – in Österreich dar [
8] und ist strikt vom Assistierten Suizid (AS) laut dem österreichischem Sterbeverfügungsgesetz (StVfG) abzugrenzen, bei dem der Tod durch eine aktive, zum Tode führende Handlung herbeigeführt wird [
9‐
15]. Das Zuführen eines tödlich wirkenden Präparates muss durch die sterbewillige Person selbst herbeigeführt werden. Wir verweisen auch auf das von der ARGE Ethik der ÖGARI erstellte Positionspapier zur DCD in Österreich vom 16.12.2020 [
8].
Es soll Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass alle therapeutischen Handlungen im Rahmen einer TZÄ – der Nicht-Beginn gleich wie die Beendigung – ethisch gleichwertig sind, unabhängig von der Geschwindigkeit des Todeseintritts. Schneller Todeseintritt als Folge einer TZÄ wird oft als belastend empfunden, manchmal sogar als aktive Herbeiführung des Todes missverstanden. Im Gegensatz zur beabsichtigten Tötung eines Menschen im Rahmen eines AS/einer Tötung auf Verlangen ist die Absicht einer TZÄ das Zulassen des Sterbens und dadurch die Vermeidung der Leidensverlängerung, die bedingt ist durch die Durchführung technisch möglicher medizinischer Handlungen, obwohl schon klar ist, dass der Tod unausweichlich ist.
Wir sprechen in der Ethik von der
Futility, der Aussichtslosigkeit einer technisch zwar möglichen, aber nicht mehr indizierten Behandlung. Futility ist durch das Hinauszögern des Sterbeprozesses und damit die sinnlose Verlängerung von Leiden eine große Belastung für die Patient:innen sowie für deren Angehörige, aber auch für die betreuenden medizinischen Teams. Futility ist der häufigste Grund für Burnout bei Medical Professionals [
16]. Die Durchführung einer nicht verhältnismäßigen, unangemessenen Behandlung missachtet zudem des Prinzips der Gerechtigkeit, sodass Futility gleichermaßen alle vier Prinzipien des Georgetown-Mantras verletzt, das eines der wichtigsten ethischen Grundlagen schwieriger medizinischer Entscheidungsfindung ist [
17].
Eine Therapiezieländerung von Heilung Richtung Palliativmedizin mit dem Ziel „Sterben zuzulassen“ muss für medizinisches Personal immer auch gleichzeitig bedeuten, eine palliative Therapie für die letzte Phase des Lebens und schlussendlich auch im Rahmen der Sterbebegleitung zu initiieren, mit dem Ziel des Wohltuns und der Bemühung um bestmögliche Symptomlinderung (siehe Ärztegesetz § 49 [
18,
19]). In der Sterbephase sprechen wir von der sogenannten
Comfort Terminal Care (siehe Tab.
1).
Sterbehilfe
Sterbehilfe ist mittlerweile ein inhaltsveränderter Begriff, den wir vorschlagen, NICHT mehr für medizinische Handlungen am Lebensende im Sinne einer TZÄ, von Heilung Richtung Palliation, zu verwenden. Der Wortteil Hilfe ist zwar prinzipiell positiv konnotiert, das Wort Sterbehilfe impliziert aber mittlerweile meist die aktive Herbeiführung des Todes eines Menschen (z. B. im Rahmen eines AS, Tötung auf Verlangen) und ist damit missverständlich. Ärzt:innen und Pflegepersonen helfen sehr wohl Menschen in der letzten Phase ihres Lebens, nicht leiden zu müssen und unter guter Symptomlinderung (ohne Angst, Stress, Schmerzen, Atemnot, Schwäche, Mundtrockenheit, Delir, Übelkeit etc. …) „in Würde sterben“ zu können/dürfen. Der Fokus liegt bei fortgeschrittener Erkrankung angesichts der großen medizinischen Machbarkeit auf einer guten und rechtzeitigen medizinischen Entscheidungsfindung (TZÄ) mit der Intention, Sterben zuzulassen, den Sterbeprozess nicht hinauszuzögern und Leiden nicht zu verlängern, um dadurch Übertherapie und deren Folge, die chronisch kritische Erkrankung, zu vermeiden.
Warum der Begriff „Aktive Sterbehilfe“ nicht oder nur sehr bewusst verwendet werden sollte
Der Begriff aktive Sterbehilfe ist missverständlich, weil etwa bei einer TZÄ, zum Beispiel im Rahmen eines Withdraws (RID = reevaluate indication and deescalate/withdraw) aktive ärztliche Handlungen notwendig sind, um dem geänderten Therapieziel gerecht zu werden (u. a. Umstellen/Einstellen der maschinellen Beatmung, Beendigung der Hämofiltration, Abschalten der Katecholamintherapie oder Ernährung, Adaptation der Sedierungstherapie). Es ist dabei ganz klar zu differenzieren, dass die Intention einer TZÄ nicht die aktive Tötung eines Menschen ist (das wäre Mord!), sondern es darum geht, Sterben zuzulassen, indem technisch machbare, aber nicht mehr indizierte/gewünschte Maßnahmen beendet oder nicht begonnen werden mit dem Ziel, Leiden nicht zu verlängern und Sterben nicht künstlich hinauszuzögern. Dies wäre sowohl ethisch als auch rechtlich nicht geboten bzw. verboten, weil es entweder keine Indikation für eine technisch machbare, therapeutische Handlung gibt oder Patient:in diese selbst ablehnt – durch einen selbst geäußerten, mündlichen und/oder verschriftlichten Willen (z. B. Patient:innenverfügung) oder einen überbrachten, also mutmaßlichen Patient:innenwillen.
Tab. 2
Gebräuchliche Begrifflichkeiten rund um Assistierten Suizid und Lebensende
Suizid
| Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und wird übersetzt mit „Selbsttötung“, ist also eine selbstausgeführte Handlung, die den Tod herbeiführt |
Assistierter Suizid (AS)
| Bezeichnet die Unterstützung der Suizidhandlung einer sterbewilligen Person durch eine helfende (= dritte) Person, wobei die sterbewillige Person die letzte, zum Tode führende Handlung selbst durchführen muss (z. B. das Präparat selbst einnehmen, die Perfusorspritze selbst starten etc. …). Der assistierte Suizid ist seit 01.01.2022 in Österreich straffrei gestellt. |
Tötung auf Verlangen
| Einem Menschen wird auf seinen Willen hin ein Präparat durch eine dritte, Beihilfe leistende Person verabreicht (z. B. über intravenöse Leitung, Magensonde etc.) mit der Absicht, den Tod herbeizuführen (z. B. Barbiturate, Muskelrelaxanzien, Propofol etc.). Die Tötung auf Verlangen ist in Österreich verboten |
Euthanasie
| In englischsprachigen Ländern wird die Tötung auf Verlangen als „euthanasia“ bezeichnet. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und hatte ursprünglich die positive Bedeutung „der schöne Tod“. In deutschsprachigen Ländern ist der Begriff der Euthanasie negativ konnotiert, da darunter meist der systematische Mord an Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus verstanden wird |
Physician Assisted Suicide (PAS)
| Kommt ebenfalls aus dem angloamerikanischen Raum und entspricht nicht immer genau der ärztlichen Aufklärung bzw. der erlaubten ärztlichen Beihilfe zum AS lt. dem derzeitig gültigen StVfG in Österreich. Für diese Begrifflichkeit ist in Österreich die Frage nach der Garantenstellung von Ärzt:innen, nach der unterlassenen Hilfeleistung und dem Berufsethos noch nicht ausreichend geklärt |
Medical Assistance in Dying (MAiD)
| Die aktive Gabe von tödlich wirkenden Substanzen durch eine dritte Person (Ärzt:in, Person aus den Gesundheitsberufen), was z. B. in Belgien (seit 2005), Niederlanden (seit 2012), Kanada (seit 2019) und Spanien (seit 2021) erlaubt ist. Dies entspricht in Österreich dem Begriff der „Tötung auf Verlangen“ und ist lt. österreichischer Rechtsprechung verboten |
Warum der Begriff „Passive Sterbehilfe“ nicht mehr verwendet werden sollte
Der Begriff passive Sterbehilfe ist missverständlich, weil die Begrenzung einer Therapie durch Nicht-Handeln (DNR, DNE, Withhold) im Rahmen einer Therapiezieländerung erstens eine aktive ärztliche Entscheidung erfordert und oft auch aktives ärztliches Handeln notwendig macht (s. oben), um Sterben zuzulassen, wenn es keine Indikation/kein für die Person wünschenswertes und erreichbares Therapieziel gibt oder Patient:in eine technisch machbare medizinischen (Be‑)Handlung ablehnt (z. B. Dialyse bei Nierenversagen nicht beginnen, keine Reanimation, Anpassung der Beatmungstherapie, keine Operation bei Blutung etc. …).
Warum der Begriff „Indirekte Sterbehilfe“ nicht mehr verwendet werden sollte
Der Begriff der indirekten Sterbehilfe ist missverständlich, weil damit inhaltlich nicht die Leidenslinderung als medizinische Entscheidungsgrundlage in den Vordergrund gerückt wird (deren Folge dann auch irgendwann der Tod ist), sondern „Helfen beim Sterben“ rein semantisch das Handlungsziel ist.
Therapien am Lebensende sind zu indizieren und durchzuführen wie alle anderen Therapien auch. Therapien am Lebensende legen den Fokus auf bestmögliche Symptomlinderung, um Leiden zu vermeiden und ein Sterben in Würde möglich zu machen, aber den Sterbeprozess nicht zu verlängern. Therapien am Lebensende benötigen wie jede andere Therapie auch ein Therapieziel und müssen fachlich kompetent indiziert und durchgeführt werden.
Doppelwirkung
Es gilt die Regel der
Doppelwirkung (auch Doppeleffekt): Eine nützliche Handlung mit möglicherweise schädigenden Nebenwirkungen (schlechteres Husten, Schlucken, Aspiration, flachere Atmung) ist unter bestimmten Umständen berechtigt, wenn das Ziel der Symptomlinderung (und damit die Verbesserung der Lebensqualität am Ende des Lebens) im Vordergrund steht und hierfür unvermeidbare negative Nebenwirkungen (in der Sterbephase ist das der frühere Tod) in Kauf genommen werden dürfen (§ 49a ÄrzteG) [
18]. Die Regel, dass
Schaden durch Nebenwirkungen in Kauf genommen wird, ist beim sterbenden Menschen nicht angezeigt (z. B. Chemotherapie).
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