Hintergrund und Fragestellung
Ischämische Prozesse treten bei vielen Augenkrankheiten wie auch dem Glaukom auf [
21,
22,
25]. Eine Glaukomerkrankung geht mit Sehstörungen und einem Gesichtsfeldverlust einher, was letztendlich zur Erblindung führen kann [
14]. Derzeit sind etwa eine Million Deutsche von dieser Erkrankung betroffen, und die Bedeutung dieser altersbedingten Augenerkrankung wird in den kommenden Jahren aufgrund der alternden Gesellschaften deutlich zunehmen [
2].
In der Retina entwickelt sich eine Ischämie infolge einer Kapillarblockade und führt zu einer Nichtdurchblutung dieser Region. Bereits wenige Stunden nach der Ischämie treten sowohl Entzündungsreaktionen als auch apoptotische Prozesse auf [
14]. Diese führen zu einer Schädigung der Retina mit anschließendem Verlust von neuronalen Zellen. Da diese retinalen Zellen besonders sensibel auf Störungen der okulären Homöostase reagieren, ist eine Regeneration nahezu unmöglich. Folglich ist detailliertes Wissen über die nachgeschalteten Prozesse der Ischämie erforderlich, um sie therapeutisch gezielt zu bekämpfen. Als Ursache des retinalen Zelltods nach einer Ischämie standen zunächst apoptotische Prozesse im Fokus. Mittlerweile werden auch Nekroptose, Ferroptose oder Autophagie als wichtige Akteure in diesem Zusammenhang angesehen [
4,
8,
24,
30].
Eine dysfunktionale Autophagie ist bereits mit verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen, darunter Morbus Alzheimer, assoziiert [
13]. Die Bedeutung der Autophagie innerhalb ischämischer Prozesse in der Retina ist jedoch umstritten. Beispielsweise beobachteten Russo et al. im Tiermodell nach Ischämie-Reperfusion eine negative Regulation der Autophagie durch die Calpain-vermittelte Spaltung von Beclin‑1 [
19]. Dieser Prozess konnte wiederum durch die Behandlung mit einem Autophagieaktivator rückgängig gemacht werden, was zu einem verringerten Verlust von retinalen Ganglienzellen (RGZ) führte [
20]. Im Gegensatz dazu postulierte eine andere Arbeitsgruppe, dass die Zahl der RGZ 24 h nach Ischämieinduktion signifikant abnahm und dieser Verlust durch eine Autophagieblockade gestoppt werden konnte [
17]. Basierend auf den kontroversen Ergebnissen zur Rolle der Autophagie in der Retina, bleibt die Frage offen, ob die Autophagie einen schützenden oder selbstzerstörerischen Prozess darstellt. In eigenen Vorarbeiten zur Analyse der ischämischen Prozesse konnten wir 14 Tage nach Ischämie-Reperfusion sowohl immunhistologisch als auch auf mRNA-Ebene eine höhere Zahl an Lysosomal-assoziiertes Membranprotein 1 (LAMP1)-positiven Zellen, einem Marker für die späte Autophagie, beobachten, wohingegen Mikrotubuli-assoziierte Proteine 1A/1B Leichtkette 3B (LC3B), ein Marker für die frühe Autophagie, unverändert vorlag [
16]. Es bleibt somit zu klären, welchen Einfluss die Autophagie im zeitlichen Verlauf der ischämischen Prozesse auf die Retina hat.
Neben dem kontrollierten Zelltod der Apoptose und der Autophagie gibt es weitere ungeplante Zelltodmechanismen wie die Nekrose. Bei dem Zelltodweg der Nekroptose handelt es sich wiederum um eine regulierte Form der Nekrose. Im Gegensatz zu anderen Arten des Zelltods, insbesondere der Apoptose, unterscheidet sich die Nekroptose dadurch, dass sie stark proinflammatorisch ist. Durch den Integritätsverlust der Zellmembran kommt es in diesem Prozess zu einer Aktivierung des Immunsystems, und es werden Entzündungsprozesse ausgelöst [
1]. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Nekroptose erheblich zu Entzündungsprozessen sowie Netzhautschäden, die durch Ischämie ausgelöst werden, beiträgt [
4,
6]. Zurzeit werden Nekroptoseinhibitoren (z. B. GSK2982772) in experimentellen und klinischen Studien für neurodegenerative und Autoimmunerkrankungen auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit hin untersucht [
11]. Neben der Nekroptose stellt die Ferroptose ebenfalls eine neuartige programmierte Zelltodform dar, über die 2012 erstmals berichtet wurde [
3] und die durch Hauptmerkmale wie Lipidperoxidationen, GSH-Abbau und Ansammlung von Eisen (II) gekennzeichnet ist [
18]. Erste Studien haben gezeigt, dass Ferroptose auch bei retinalen Ischämie-Reperfusionsschäden auftritt und sich als möglicher therapeutischer Ansatzpunkt eignet [
27].
Obwohl in den letzten Jahren zahlreiche Untersuchungen zu den nachgeschalteten Prozessen der retinalen Ischämie-Reperfusion durchgeführt worden sind, ist nach wie vor unklar, welchen Einfluss die Autophagie auf ischämische Prozesse in der Retina hat. Es ist weiterhin ungeklärt, ob sich die Zelltodmechanismen im Laufe der ischämischen Prozesse verändern und welche genaue Rolle die Nekroptose nach Ischämie-Reperfusion einnimmt. Aus diesem Grund wurde in der folgenden Studie der Einfluss dieser Zelltodmechanismen 7 Tage nach Ischämie-Reperfusion im Tiermodell anhand des Autophagiemarkers LAMP1 und des Nekroptosemarkers Rezeptor-interagierende Serin/Threonin-Proteinkinase 3 (RIPK3) untersucht. Ergänzend wurde der Einfluss auf die Ganglienzellen und Astrozyten analysiert.
Material und Methoden
Tiermodell
Es wurde ein etabliertes Ischämie-Reperfusions(I/R)-Tiermodell verwendet [
5,
15]. Die Ratten wurden mit Ketamin/Xylazin/Vetranquil (0,65/0,65/0,2 ml) narkotisiert (
n = 6/Gruppe). Dann wurde ein Auge pro Tier mit 5 % Tropicamid (Pharma Stulln, Stulln, Deutschland) dilatiert und topisch mit Conjuncain betäubt (Bausch und Lomb, Berlin, Deutschland). Zusätzlich erfolgte eine Schmerzmittelinjektion (Novalgin; Zentiva, Frankfurt am Main, Deutschland). Der Augeninnendruck wurde durch Platzierung einer Kanüle in die vordere Augenkammer mit angeschlossener Kochsalzinfusion und anschließendes Anheben des Infusionsbeutels für 60 min auf 140 mm Hg erhöht. Hierdurch kam es zur Ischämie. Zur Reperfusion wurde die Nadel mit der Infusionslösung entfernt. Das andere Auge diente als Kontrolle. Nach 7 Tagen erfolgte die immunhistologische Analyse der Retinae beider Gruppen.
Immunhistologie
Die Augen beider Gruppen wurden in 4 % Paraformaldehyd fixiert (60 min). Im Anschluss erfolgte eine Entwässerung mit 30 % Sucrose (über Nacht). Dann wurde das Gewebe in NEG-50 Tissue-Tek-Medium eingebettet (Thermo Fisher, Waltham, MA, USA). Mithilfe eines Kryostates (Thermo Fisher) wurden 10 μm dicke Querschnitte der Retinae angefertigt und auf Superfrost+-Objektträger (Thermo Fisher) aufgetragen.
Es wurden spezifische Färbungen für neuronale Zellen (NeuN), Astrozyten (GFAP) sowie für Autophagie (LAMP1) und Nekroptose (RIPK3) durchgeführt (
n = 6/Gruppe). Im Fall der Auswertung von NeuN, LAMP1 und RIPK3 handelte es sich um Zellauszählungen, welche mithilfe der Software ImageJ (Entwickler: Wayne Rasband; Lizenz: public domain) und der Funktion „cell counter“ durchgeführt wurden. Eine Kolokalisation mit dem Zellkernmarker DAPI wurde als positives Signal identifiziert. Die Daten sind als Zellen/mm dargestellt. Die GFAP-Auswertung beinhaltete eine Flächenanalyse der Fluoreszenz und wurde mit Hilfe eines ImageJ Macros erhoben [
15]. Innerhalb dieser Analyse war es möglich, zwischen GFAP
+-Fläche und Intensität der Fluoreszenz (IntDen) im jeweiligen Bildausschnitt zu unterscheiden, diese Werte sind in Prozent pro Bild dargestellt.
Statistik
Die Daten sind als Mittelwert ± SEM dargestellt. Beide Gruppen wurden mittels t‑Test verglichen (Statistica; V 13.3; Tibco Software, Tulsa, OK, USA). p-Werte unter 0,05 wurden als statistisch signifikant angesehen: *p < 0,050; **p < 0,010; ***p < 0,001.
Diskussion
Ischämie-Reperfusionsschäden sind ein kritischer medizinischer Zustand, der eine große therapeutische Herausforderung darstellt und mit schwerwiegender klinischer Manifestation verbunden ist. Wenn die Blutversorgung nach längerer Ischämie wiederhergestellt wird, nehmen lokale Entzündungen und die Produktion reaktiver Sauerstoffspezies zu, was zu Sekundärschäden führt. Lange Zeit glaubte man, dass Zellschäden, die durch eine anhaltende Ischämie-Reperfusionsschädigung verursacht werden, lediglich auf eine Aktivierung apoptotischer Signalwege zurückzuführen seien. Mittlerweile wird auch Prozessen wie Autophagie, Ferroptose und Nekroptose eine entscheidende Rolle in der Entstehung anhaltender Ischämie-Reperfusionsschädigung zugeschrieben sowie eine Interaktion der unterschiedlichen Zelltodsignalwege postuliert [
18,
24,
28].
Basierend auf unseren Vorarbeiten, in denen wir 14 Tage nach Ischämie-Reperfusion ein verstärktes Auftreten des späten Autophagiemarkers LAMP1, jedoch keine Hinweise auf Bestandteile des frühen autophagischen Flusses detektieren konnten [
16], untersuchten wir in der vorliegenden Studie nun das Auftreten autophagischer und nekroptotischer Prozesse zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich 7 Tage nach Ischämie. Interessanterweise war im Gegensatz zu den Ergebnissen der 14-Tage-Studie die Anzahl LAMP1-positiver Zellen im Vergleich zur Kontrollsituation nach 7 Tagen unverändert, wohingegen sowohl die RGZ-Anzahl zu diesem Zeitpunkt schon signifikant reduziert war, als auch eine vermehrte Anzahl an Astrozyten detektiert werden konnte. Der Grund für das fehlende LAMP1-Signal nach 7 Tagen könnte beispielsweise darin begründet sein, dass der autophagische Fluss bereits viel früher aktiviert wurde und nach 7 Tagen erschöpft war. Dadurch kam es zu einer Ansammlung schädlicher Zellbestandteile was letztlich zum Verlust der RGZ führte. Dieser Ansatz wäre im Einklang mit Russo et al., die in ihrer Studie bereits wenige Stunden nach Ischämie eine protektive Hochregulierung der Autophagie beobachten konnten, die jedoch 24 h nach dem ischämischen Ereignis erschöpft war [
20]. Auch Piras et al. konnten 48 h nach Ischämie keine Autophagiemarker mehr detektieren [
17]. Zur Untermauerung dieses Ansatzes wäre es wichtig, 7 Tage nach Ischämie und auch zu früheren Zeitpunkten weitere und zwar frühere Bestandteile des autophagischen Flusses wie LC3B oder p62 zu analysieren, um festzustellen, ob es wirklich zu einer Erschöpfung des Flusses nach 7 Tagen gekommen ist. Das erneute Auftreten der LAMP1
+-Signale nach 14 Tagen [
16] spricht für eine wellenförmige Aktivierung der autophagischen Prozesse nach Ischämie-Reperfusion.
In Vorarbeiten der eigenen Arbeitsgruppe wurden bereits diverse Zeitpunkte nach Ischämie-Reperfusionsschaden analysiert, darunter 2, 6, 12, 24 h sowie 3 und 7 Tage. Dabei konnte im Verlauf ebenfalls eine wellenförmige Aktivierung der Caspase-8-Expression festgehalten werden, wobei nach 7 Tagen erneut ein Caspase-8-Anstieg detektiert wurde [
26]. Caspase 8 wird neben apoptotischen Prozessen auch mit der Regulation autophagischer Prozesse in Zusammenhang gebracht [
10,
12]. Um sowohl den bereits erwähnten Anstieg des LAMP1-Signals nach 14 Tagen als auch die Abwesenheit des Anstiegs nach 7 Tagen zu erklären, wäre es von Vorteil, die Caspase-8-Expression auch zu späteren Zeitpunkten sowie auf Proteinebene nach Ischämie-Reperfusionsschaden zu untersuchen. Die Regulation der Autophagie könnte eine Erklärung für das wellenförmige Auftreten des LAMP1-Signals und damit einen interessanten Interventionspunkt darstellen.
Zusätzlich zur Autophagie wurde mit RIPK3 auch ein Marker für Nekroptose analysiert. Dabei zeigte sich interessanterweise eine Hochregulation des Markers in den ischämischen Retinae nach 7 Tagen. Ein Zusammenhang zwischen einer Hemmung der Autophagie und der Akkumulation von RIPK3, die dann die Zellen für Nekroptose sensibilisieren kann, wurde bereits in einem Modell für Rückenmarkverletzungen nachgewiesen [
9]. Es wäre somit denkbar, dass eine verminderte Autophagie, wie von Russo et al. beschrieben, zu einer verstärkten Nekroptose und dadurch zu einem verstärkten RGZ-Verlust beigetragen hat. Das gleichzeitige Auftreten der Nekroptose in dieser Studie nach 7 Tagen und der bereits in der vorangegangenen Studie detektierte Anstieg an Caspase 8 [
16] untermauern das Vorkommen der PANOptose nach retinaler Ischämie-Reperfusion. Dabei handelt es sich um eine neu identifizierte Art des regulierten Zelltods, bestehend aus Pyroptose, Apoptose und Nekroptose [
23,
29]. Auch hier wären weitere Analysen zu früheren Zeitpunkten nach Ischämie interessant, um den genauen Zeitpunkt des Auftretens nekroptotischer Prozesse zu bestimmen.
Eine Limitation der Studie bestand darin, dass die Ergebnisse der Studie durch weitere bestätigt werden müssen. Dabei sollten in Folgestudien Nekrose- und Autophagiemarker zu früheren Zeitpunkten (2, 6 und 12 h) sowohl auf Proteinebene als auch auf Genebene näher untersucht werden. Weitere Analysen zu späteren Zeitpunkten (14 Tage) wären in Bezug auf RIPK3 und Caspase 8 durchzuführen. Eine weitere Einschränkung dieser Studie bestand darin, dass neben der Autophagie und Nekroptose auch die Ferroptose untersucht werden sollte. Daher sollten in zukünftigen Studien auch entsprechende Ferroptosemarker wie Nrf2 zum Einsatz kommen [
7].
Die vorliegenden Analysen zu alternativen Zelltodmechanismen nach retinaler Ischämie untermauern die Bedeutung nekroptotischer Mechanismen für den Schaden nach retinaler Ischämie und deuten auf das Auftreten von PANOptose hin. Die Bedeutung der Autophagie konnte anhand des untersuchten Zeitpunktes nicht näher identifiziert werden. Sowohl im Vergleich mit eigenen Vorarbeiten (14 Tage) als auch den Daten aus der Literatur (Stunden nach Ischämie) zeigt sich jedoch, dass der Autophagie eine entscheidende Rolle zugeschrieben werden muss und es möglicherweise zu einem wellenförmigen Aktivierungsmuster kommt.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Alle nationalen Richtlinien zur Haltung und zum Umgang mit Labortieren wurden eingehalten, und die notwendigen Zustimmungen der zuständigen Behörden liegen vor.
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