Erschienen in:
18.03.2022 | Originalien
Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2018 zu Fixierungen
Zwangsmaßnahmen in den psychiatrischen Kliniken in Baden-Württemberg 2019 im Vergleich zu 2015–2017
verfasst von:
Prof. Dr. Tilman Steinert, Sophie Hirsch, Erich Flammer
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Ausgabe 7/2022
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Zusammenfassung
Am 23.07.2018 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass 5‑ und 7‑Punkt-Fixierungen, die länger als 30 min andauern, einer richterlichen Genehmigung bedürfen. Am selben Tag veröffentlichte die DGPPN ihre Leitlinie zur Prävention von Zwang und Gewalt. Es handelte sich damit vermutlich um die stärkste Intervention zur Reduzierung von Zwangsmaßnahmen auf nationaler Ebene weltweit. Das seit 2015 verfügbare Register für Zwangsmaßnahmen in Baden-Württemberg, in dem alle Zwangsmaßnahmen in den 32 psychiatrischen Kliniken auf Fallebene erfasst werden, ermöglichte es, die Wirkung der Gesetzesänderung zu evaluieren. Wir analysierten den Anteil der von Zwangsmaßnahmen betroffenen Fälle und die mittlere kumulative Dauer der Maßnahmen pro betroffenen Fall je ICD-10-Diagnosegruppe im Jahr 2019 im Vergleich zu den Daten von 2015 bis 2017 bei insgesamt 435.767 Aufnahmen. Der Anteil der Fälle, bei denen es zu Fixierung oder Isolierung kam, sank von 6,7 % im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2017 auf 5,8 % im Jahr 2019 (p < 0,001). Am stärksten waren die Effekte bei Patienten mit organischen (F0) und schizophrenen (F2) Störungen. Der Anteil der von Fixierung betroffenen Fälle sank von 4,8 % auf 3,6 %. Der Anteil von Fixierungen mit unter 30 min Dauer stieg von 1,8 % auf 10,5 %. Gleichzeitig stieg der Anteil der isolierten Patienten von 2,9 % auf 3,3 %. Die kumulierte Dauer der Maßnahmen sank im Median von 12,7 auf 11,9 h (p < 0,001). Die Intervention war vermutlich verantwortlich für einen Rückgang der von Zwangsmaßnahmen betroffenen Fälle um ca. 13 % und einen Rückgang der durchschnittlichen Dauer der Maßnahmen pro betroffenen Fall um ca. 14 %.