Zusammenfassung
Somatoforme Störungen machen in der Primärversorgung weltweit mindestens ein Viertel der Patienten aus. In der spezialisierten somatischen Versorgung leiden je nach Fachrichtung sogar bis zu 50% der Patienten unter somatoformen Beschwerden. Die Versicherungsträger stehen infolgedessen einer steigenden Zahl von Rentenanträgen aufgrund organisch nicht ausreichend erklärbarer Körperbeschwerden gegenüber. Gleichzeitig werden die Erkenntnisse über die Komplexität der biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren, die das subjektive Erleben von Beschwerden und die daraus resultierenden Beeinträchtigungen beeinflussen, immer spezifischer. Die auf Deskription von Symptomclustern basierende Diagnostik in der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen [ICD-10, Kap. V(F)] ist gegenüber diesem spezifizierten Wissen inzwischen unzureichend geworden. Hinzu kommt die notorische Schwierigkeit, in diesem Bereich genuines Beschwerdeerleben von Aggravation abzugrenzen. Auf der Grundlage des Leitfadens zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen im Rahmen der privaten Berufsunfähigkeit (s. Schneider et al. 2010 in dieser Ausgabe) werden hier diagnostische Aspekte somatoformer Störungen sowie differenzialdiagnostische Überlegungen exemplarisch am körperbezogenen Schmerzerleben diskutiert. Im Anschluss werden Überlegungen zur Beurteilung des Schweregrads und der Prognose somatoformer Störungen und somit letztlich zur Beurteilung der Berufsunfähigkeit vorgestellt.