Duloxetin bei Stressinkontinenz – mehr Schaden als Nutzen?

Eine Analyse individueller Patientendaten aus klinischen Studie stellt den Nutzen von Duloxetin bei Stressinkontinenz infrage: Ein Schaden tritt danach bereits bei einer Behandlung von sieben Patienten auf, ein Nutzen erst bei acht. Für Metaanalysen ist es von Vorteil, wenn individuelle Patientendaten vorliegen. Zum einen lässt sich besser erkennen, ob Patienten und Therapien in den einzelnen Studien tatsächlich vergleichbar sind, zum anderen können Ärzte noch im Nachhinein nach Zusammenhängen schauen, für die sich bislang niemand interessiert hat. Ein Team um Dr. Emma Maund vom dänischen Cochrane Centre in Kopenhagen wollte mit einer solchen gründlichen Analyse herausfinden, ob bei einer Duloxetintherapie gegen Stressinkontinenz tatsächlich der Nutzen überwiegt. Dazu schauten sie sich EMA-Berichte zu vier bei der Agentur eingereichten placebokontrollierten Studien genauer an. Im Gegensatz zu anderen Zulassungsbehörden veröffentlicht die EMA den kompletten Datensatz, in diesem Fall waren das knapp 7000 Seiten. Diese durchpflügten die Forscher um Maund sowohl nach Hinweisen auf einen Nutzen als auch einen Schaden. Duloxetin knöpften sie sich deswegen vor, weil die FDA eine Zulassung gegen Stressinkontinenz in den USA abgelehnt hatte. Grund war eine erhöhte Rate von Suizidversuchen in Extensionsstudien mit Duloxetin bei Stressinkontinenz. Da der Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Stressinkontinenz-Patienten überaktivieren könnten, wird befürchtet, dass diese dann vermehrt zu Suiziden oder anderen Gewalttaten neigen. Das Team um Maund fahndete daher gezielt nach Symptomen, die ein solches Verhalten fördern könnten oder Gewalttaten vorausgehen, etwa innere Unruhe, Insomnie, Akathisie, Hyperaktivität, Angst, Panik, Reizbarkeit oder Aggressivität. Solche Symptome werden in der Regel in den publizierten Studien nicht detailliert erwähnt, lassen sich aber aus den Datensätzen zu den einzelnen Patienten extrahieren. Signifikanter Nutzen, aber geringe Effektstärken In den vier Studien hatten 958 Frauen Duloxetin (80 mg/d) und 955 Placebo erhalten; das Alter lag im Schnitt bei 52 Jahren. Patienten unter Antidepressiva wurden ausgeschlossen, auch solche mit Substanzmissbrauch; ansonsten konnten psychisch Kranke teilnehmen. Komorbiditäten, auch psychische, waren in den Studienarmen einigermaßen gleichverteilt, lediglich in einer Studie fanden sich im Placeboarm etwas mehr Patientinnen mit einer Depression in der Vergangenheit. Im Schnitt hatten die Frauen zum Studienbeginn knapp 17 Inkontinenzepisoden pro Woche. In den einzelnen Studien ging die Zahl um zwei bis acht Episoden zurück, unter Duloxetin traten im Schnitt 2,9 Episoden weniger auf als mit Placebo. Relativ betrachtet lag die Differenz bei 14%, die Unterschiede waren statistisch signifikant. Als klinisch relevant gilt eine Reduktion von mindestens 2,5 Episoden. Da das 95%-Konfidenzintervall diesen Wert unterschritt, sei eine klinische Relevanz zumindest fraglich, urteilen die Cochrane-Analysten. Auch die Effektstärken sind ihrer Ansicht nach nicht berauschend (standardisierte Mittelwertdifferenz 0,1–0,3). Beim klinischen Gesamteindruck (Patient Global Impression of Improvement) ergab sich eine große Heterogenität. Sie beruhte im Wesentlichen auf einer der vier Studien. Schlossen die Forscher diese aus, so mussten acht Patientinnen mit Duloxetin behandelt werden, damit eine ihren Zustand als „viel besser“ oder „sehr viel besser“ bewertete. Eher ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis Unerwünschte Wirkungen traten insgesamt bei 727 Patientinnen mit Duloxetin und 548 mit Placebo auf. Mit dem Scheinmedikament waren solche Ereignisse also etwa ein Drittel seltener. Aus diesen Angaben berechneten die Wissenschaftler um Maund eine „number needed to harm“ (NNH) von 7. Um einen Therapieerfolg zu erzielen, müssen folglich acht Patientinnen behandelt werden (number needed to treat, NNT), ein Schaden tritt aber bereits bei sieben auf, was für ein eher ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis spricht. Nun ist natürlich nicht jede Nebenwirkung relevant. Schauten sich die Forscher um Maund jedoch die Rate der Therapieabbrüche aufgrund unerwünschter Wirkungen an, so war diese unter Duloxetin fünffach höher als unter Placebo. Auch hierfür berechneten sie eine NNH von 7. Suizide und andere Gewalttaten wurden bei keiner der Patientinnen beobachtet – hierfür war die Teilnehmerzahl sicher zu gering. Bei zwei Frauen unter Duloxetin traten jedoch starke unerwünschte Wirkungen auf, die Suiziden oft vorausgehen. Dazu gehörten Panikattacken, schwere Depressionen und Angststörungen. Eine Überaktivierung wurde bei 187 Patientinnen mit Duloxetin und 42 unter Placebo beobachtet. Gewertet wurden hier etwa Insomnie, Agitation, Zittern oder Unruhe. Die NNH für solche Ereignisse lag ebenfalls bei 7. Mehr als eine solche Episode fanden sie bei 41 Frauen mit Duloxetin und bei fünf mit Placebo. Am häufigsten hatten die Studienärzte eine Insomnie registriert. Emotionale Störungen traten unter Duloxetin ebenfalls gehäuft auf (18 versus 3 Frauen), auch psychotische oder potenziell psychotische Erlebnisse (21 versus 9 Frauen). Zu solchen Ereignissen zählten Maund und Mitarbeiter etwa intrusive, inkohärente oder unübliche Gedanken, Verwirrung, Manie, Paranoia, Wahnvorstellungen und Halluzinationen. „Diese Resultate legen nahe, dass der Nutzen von Duloxetin bei Stressinkontinenz nicht den Schaden überwiegt“, schlussfolgern die Autoren der Analyse. Ferner hätten viele Patienten unter der Medikation unangenehme Erlebnisse, die Suizide oder Gewalttaten begünstigen könnten, schreiben sie. „Wir stellen daher die Rationale für Duloxetin bei Stressinkontinenz infrage.“

Springer Medizin

Duloxetin bei Stressinkontinenz – mehr Schaden als Nutzen?

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