Harnblasenfüllung nicht vorzeitig abbrechen

Urodynamische Tests sind unabdingbar für die Diagnostik der Dysfunktion des unteren Harntrakts. Doch sie bergen Tücken. Eine davon: zu geringes Volumen bei der Blasenfüllung. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. In den Lehrbüchern der Urologie steht zu lesen, für den zystometrischen Abschnitt der urodynamischen Diagnostik sei die Blase mit lauwarmer Kochsalzlösung zu füllen, und zwar bis zum Erreichen der Blasenkapazität. Theoretisch heißt das: bis starker Harndrang auftritt. Praktisch wird die Füllung jedoch oft bei einem eingelaufenen Volumen von 500 ml abgebrochen. Dahinter steckt die Furcht, es könne zu einer Überdehnung der Blase kommen, was dann wiederum eine Harnretention nach sich ziehen könnte. Doch was passiert mit Patienten, die eine höhere Blasenkapazität aufweisen – wie oft wird bei einem Stopp nach einem halben Liter eine bestehende Detrusorüberaktivität übersehen? Patienten mit Blasenkapazität > 500 ml Schweizer Urologen um Philipp Baumeister, Neurourologe an der Universität Zürich, haben diesem Problem nachgespürt. Sie untersuchten 1598 konsekutive Patienten mit einer Blasenkapazität (ausweislich ihres Blasentagebuchs) von mehr als 500 ml, die sich aufgrund einer Dysfunktion der unteren Harnwege einer urodynamischen Diagnostik unterzogen. 80% der Patienten wiesen eine neurogene, 20% eine nichtneurogene Störung auf. Ein überaktiver Detrusor fand sich bei 66% der Patienten mit neurogener und 44% der Patienten mit nichtneurogener Dysfunktion. Bei insgesamt 16% fiel die Detrusorüberaktivität erst bei einem Blasenvolumen von mehr als 500 ml auf. Das Phänomen trat bei neurogener Störung häufiger auf: Bei 18% dieser Patienten war die Überaktivität erst bei höheren Füllungsvolumen feststellbar, verglichen mit 9% der Patienten ohne neurogene Störung. „Wir empfehlen, sowohl bei Patienten mit neurogener wie bei jenen mit nichtneurogener Dysfunktion der unteren Harnwege die urodynamische Untersuchung nicht schon bei einem Füllvolumen von 500 ml abzubrechen“, folgern Baumeister und Kollegen. Ein überaktiver Detrusor werde sonst womöglich in einem relevanten Prozentsatz der Patienten übersehen – mit der Folge unzureichender Behandlung. Blasentagebuch beachten Baumeister und seine Mitarbeiter raten dazu, die Blase bis zu einem Punkt zu füllen, an dem ein starker und dauerhafter, aber nicht unangenehmer Harndrang besteht. Zu beenden sei die Füllung ferner bei Auftreten einer autonomen Dysreflexie, vesiko-uretero-renalem Reflux, Blasenschmerzen und Unwohlsein. Auch sei auf die Einträge im Blasentagebuch zu achten, so die Schweizer Urologen. Es ergebe keinen Sinn, die Blasenfüllung bei einem halben Liter zu stoppen, wenn die im Tagebuch ausgewiesenen Miktions- oder Katheterisierungsvolumina 800 ml betrügen. Das spiegle nicht die Situation, wie sie im Alltag der Patienten auftrete. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welche Folgen hat es für die urodynamische Diagnostik, wenn die Blasenfüllung bei einem Volumen von 500 ml beendet wird? Antwort: Bei rund 16% der Patienten mit einer Dysfunktion der unteren Harnwege und einer Blasenkapazität von mehr als 500 ml wird eine Detrusorüberaktivität übersehen, wenn die Füllung nicht über 500 ml hinausgeht. Bedeutung: Bei der urodynamischen Diagnostik sollte die Blase bis zum Auftreten starken Harndrangs gefüllt werden. Einschränkung: Die Studie fand an einem spezialisierten Zentrum statt, ein Selektionsbias ist nicht auszuschließen.

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