Den passenden Wirkstoff finden

Cannabisbasierte Wirkstoffe können bei sehr verschiedenen schweren therapierefraktären Beschwerdebildern zu einer klinisch relevanten Symptomreduktion beitragen und die Lebensqualität der Patienten verbessern. Die Wahl des für den Patienten und die Symptomatik passenden cannabisbasierten Wirkstoffs ist jedoch eine therapeutische Herausforderung. Das Vorgehen anhand eines definierten Entscheidungsalgorithmus kann hierbei hilfreich sein. Seit Inkrafttreten des „Cannabisgesetzes“ können Cannabisblüten, Cannabisextrakte, der Rezepturwirkstoff Dronabinol (Delta-9-Tetrahydrocannabinol, THC) und die Fertigarzneimittel Nabilon und Nabiximols nach den Vorgaben des §31 Abs. 6 SGB V unter bestimmten Voraussetzungen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden [1]. Um den Einsatz von Cannabiswirkstoffen im klinischen Alltag und die Wahl des für den Patienten passenden cannabisbasierten Wirkstoffs zu erleichtern, kann ein schrittweises Vorgehen anhand des folgenden Entscheidungsalgorithmus hilfreich sein (Abb. 1) [2]. Abb. 1: Entscheidende Schritte für die Wahl des passenden Cannabiswirkstoffs für einen individuellen Patienten und sein Beschwerdemuster (modifiziert nach [2]) Springer Medizin Verlag GmbH × Schritt 1: Leitsymptom(e) identifizieren Zunächst gilt es, die Leitsymptome zu definieren, die primär von der Cannabistherapie adressiert werden sollen. Beschwerden, die einer Therapie mit den unterschiedlichen Cannabinoiden oder ihrer Kombination zugänglich sein können, sind z.B. chronische neuropathische oder degenerative Schmerzen, Spastik, Übelkeit, Erbrechen, Appetitmangel oder traumabedingte psychische Belastungen. Auch chronische Schmerzen mit immunologisch entzündlicher oder psychischer Komponente, z.B. Morbus Crohn oder rheumatoide Arthritis, aber auch epileptische Anfälle, Angst, depressive Antriebslosigkeit oder Niedergeschlagenheit gehören dazu. Schritt 2: Ist die Standardtherapie ausgeschöpft? Im zweiten Schritt gilt es, die bisherigen und aktuellen medikamentösen und nicht medikamentösen Maßnahmen zu überprüfen. Ist das Potenzial der leitliniengerechten bzw. Standardtherapie ausgeschöpft? Dies ist eine der drei wesentlichen Voraussetzungen für die GKV-Kostenübernahme (siehe Schritt 7) [1]. Die aktuelle Evidenz weist Cannabiswirkstoffe in der Regel als Drittlinien-Option aus, die (zunächst) Add-on verordnet wird [3]. Schritt 3: Ist eine Cannabinoid-Therapie geeignet? Die wichtigsten therapeutisch genutzten Cannabinoide, THC und Cannabidiol (CBD), weisen verschiedene Wirkspektren auf. THC wirkt vor allem analgetisch und muskelrelaxierend, außerdem antiemetisch, antikachektisch, sedativ und anxiolytisch [3]. CBD werden entzündungshemmende, antikonvulsive, anxiolytische, antidepressive und antipsychotische Eigenschaften zugeschrieben; die Kombination kann sich (abseits bestehender Zulassungen) anbieten, wenn analgetische, entzündungshemmende, aber auch stimmungsaufhellende bzw. antidepressive Effekte gewünscht sind [4–6]. Beide Wirkstoffe können sowohl einzeln als auch in Kombination als orale Zubereitungen oder in Form von Blüten ärztlich verordnet werden. Schritt 4: Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten definieren Das Festlegen realistischer Therapieziele gemeinsam mit dem Patienten ist wichtig, um Enttäuschungen, die zur Non-Compliance führen können, zu vermeiden. Zwar kann z.B. bei Patienten mit chronischen Schmerzen Schmerzfreiheit oft nicht erreicht werden. Gerade Cannabiswirkstoffe werden aber von vielen Ärzten wegen ihrer multisymptomatischen Effekte geschätzt. So können neben einer klinisch relevanten Schmerzreduktion auch die Verbesserung von Schlafstörungen, Mobilität und Alltagsfunktionalität sowie weiterer Parameter der Lebensqualität wichtige und durchaus realistische Therapieziele sein (Kasuistik 1). Mittelfristig ist nicht selten auch eine Reduktion analgetischer Wirkstoffe und entsprechender Nebenwirkungen möglich [7]. Kasuistik 1*: Deutliche Besserung von Schmerz, Schlaf und Stimmung bei diabetischer Neuropathie Leitsymptom bei einem 46-jährigen Typ-2-Diabetiker waren brennende Schmerzen in Füßen und Unterschenkeln, die er als stechend und stromstoßartig beschrieb und auf der numerischen Rating-Skala (NRS) mit dem Maximalwert von 10 einstufte (Chronifizierungsstadium III nach Gerbershagen). Die Schmerzsymptomatik begann zehn Jahre zuvor, zunächst im Rücken, dann auch in mehreren Gelenken. Im weiteren Verlauf manifestierten sich zusätzlich zu diesen nozizeptiven muskuloskelettalen Schmerzen polyneuropathische Schmerzen, die dominierend wurden und zu ausgeprägten Durchschlafstörungen führten. Die körperliche Untersuchung ergab Störungen im Gangbild, Gleichgewichtsstörungen, Hypästhesien und Beeinträchtigungen der Feinmotorik. Anamnestisch sind Burn-out und Suizidversuche bekannt. Der Patient befindet sich in neurologisch-psychiatrischer Begleitbehandlung. Die Standardtherapie ist ausgeschöpft. Unter Gabapentin, Tapentadol, Milnazipran sowie Trazodon abends und Novaminsulfon als Bedarfsmedikation und kombinierter Physiotherapie resultierte keine ausreichende Beschwerdelinderung. Der Patient litt unter hochdosisbedingten zentralnervösen Nebenwirkungen (Schwitzen, kognitive Einschränkungen und massive Tagesmüdigkeit). Das Gesamtbild (Schmerz, Schlaf, Stimmung) war konsistent sehr unbefriedigend. Eine Cannabinoid-Therapie wurde vorgeschlagen mit dem Ziel einer deutlichen Schmerzreduktion mit konsekutiver Stabilisierung, Verbesserung von Mobilität und Schlaf sowie einer deutlichen Dosisreduktion der laufenden Hochdosismedikation zur Reduktion der zentralnervösen Nebenwirkungen. Insgesamt war eine Verbesserung der Lebensqualität das Ziel. Begleitumstände: Der Patient hatte keine Vorerfahrungen mit Cannabinoiden, sodass im Hinblick auf eine Langzeitanwendung einer oralen Therapie der Vorzug gegeben wurde. Als Cannabinoid wurde aufgrund der Symptomatik der Rezepturwirkstoff Dronabinol (reines Tetrahydrocannabinol, THC) ausgewählt, der eine maßgeschneiderte Dosierung ermöglicht. Die Auftitration erfolgte zunächst mit 3 Tropfen am Abend (ölige Rezeptur-Tropfen 25mg/ml) und schrittweiser Steigerung auf täglich 3×5 Tropfen. Die Therapieziele wurden erreicht: Unter der Cannabinoid-Therapie kam es zu einer deutlichen Schmerzreduktion (NRS bis 4) und Verbesserung des Nachtschlafs. Die Tapentadol-Gabe konnte reduziert und die Dosierung von Gabapentin halbiert werden, was in einer Verbesserung von Tagesmüdigkeit und Kognition resultierte. Außerdem nahm die Mobilität zu, was eine Anpassung der Insulindosis ermöglichte und eine deutliche Gewichtsreduktion zur Folge hatte. Im Verlauf wurde die Behandlung aufgrund der Patientenpräferenz auf Dronabinol-Kapseln à 2,5mg umgestellt. Eine Kapsel entspricht drei Tropfen der öligen Dronabinol-Lösung. Mittlerweile erfolgt die Behandlung mit Dronabinol seit mehr als acht Monaten. Bei der letzten Wiedervorstellung beschreibt der Patient seine Befindlichkeit als „so gut wie schon lange nicht mehr“. Schritt 5: Begleitumstände klären Die beiden derzeit verfügbaren Applikationsformen – oral und inhalativ – unterscheiden sich stark in ihrer Pharmakokinetik: Bei oraler Gabe flutet THC langsam an mit einer Wirkdauer von 6–8 Stunden, während die Wirkung bei Inhalation innerhalb von Minuten spürbar wird, aber nach 1–2 Stunden wieder abgeklungen ist. Eine inhalative Applikation bietet daher z.B. bei unzureichender Wirksamkeit und/oder Verträglichkeit der oralen Anwendung eine Option, außerdem bei einem gewünschtem schnellen Wirkeintritt, u.a. bei Patienten mit Tourette-Syndrom/Tics oder Schmerzspitzen, wenn bei remittierenden Beschwerden keine Cannabinoid-Dauertherapie erforderlich ist, oder bei positiver therapeutischer Vorerfahrung des Patienten [8]. Die Kombination oraler und inhalativer Wirkstoffe ist möglich und in Einzelfällen wünschenswert (z.B. bei verbleibenden Schmerzspitzen oder nächtlichen Multiple-Sklerose-Spastiken trotz ansonsten erfolgreicher oraler Therapie). Schritt 6: Das richtige Cannabinoid Die Symptomatik bestimmt die Wahl des Cannabiswirkstoffs: Dronabinol oder THC-reiche Cannabisblüten sind Cannabiswirkstoffe der Wahl bei chronischen Schmerzen und schmerzhaften Spastiken, Kachexie, Übelkeit, Erbrechen, Appetitmangel, Agitiertheit oder traumabedingten psychischen Belastungen. Bei chronischen Schmerzen mit immunologisch entzündlicher oder psychischer Komponente, z.B. aufgrund von Fibromyalgie [4], Morbus Crohn [5] oder rheumatoider Arthritis, bewährt sich wegen der entzündungshemmenden sowie der antidepressiven Eigenschaften von Cannabidiol häufig eine Kombination von THC und CBD – sei es als orale Rezepturmischung oder durch entsprechende Wahl der Cannabisblütensorte. Epileptische Anfälle oder auch psychische Beschwerden wie Angst [6], depressive Antriebslosigkeit bzw. Niedergeschlagenheit sprechen häufig gut auf Cannabidiol an. Heute können die reinen Cannabinoide Dronabinol (THC) und Cannabidiol oder deren Mischungen/Kombinationen als orale Rezepturen verordnet werden. Medizinische Cannabisblüten stehen in einer Vielzahl von Zuchtformen mit Gehalten zwischen 15–25% THC und <0,5% CBD (z.B. Red No. 2, Red No. 4) über ausgeglichene Sorten wie Penelope (10% THC, 8% CBD) bis hin zu CBD-dominierten Sorten zur Verfügung. Für die praktische Anwendung von Cannabisblüten entscheidend ist, dass THC und CBD in den Cannabisblüten vor allem in Form ihrer organischen Säuren (CBDA und THCA) vorliegen. Diese müssen zunächst durch (Hitze-)Decarboxylierung in die pharmakologisch aktiven Wirkstoffe THC und CBD umgewandelt werden [9]. Medizinisch und pharmazeutisch akzeptabel ist hierzu nur das Verdampfen mit Hilfe eines Vaporisators. Vaporisatoren erhitzen Cannabisblüten üblicherweise auf 150–210°C. Bei Inhalation kommt zu einer raschen Anflutung von freiem THC und CBD, aber auch von Begleitsubstanzen wie Spuren-Cannabinoiden und Terpenen, die die Gesamtwirkung der Blüten modulieren können (Kasuistik 2). Kasuistik 2*: Cannabisblütentherapie reduziert Kopfschmerzattacken Leitsymptom des Patienten waren schwere, einseitige, meist stechende Kopfschmerzen, die zwischen zehn Minuten und drei Stunden andauerten, aber innerhalb der folgenden Tage mehrfach wiederkehrten. Vom Neurologen war die Diagnose „Cluster-Kopfschmerz“ gestellt worden. Der Patient hatte sich aufgrund der unvorhersehbar auftretenden, stark schmerzhaften Cluster-Attacken zunehmend sozial isoliert. Die Standardtherapie war ausgeschöpft. Mit der aktuellen Medikation von 10mg Zolmitriptan-Nasenspray, Lidocain-Nasenspray 4–10% und Inhalation von Sauerstoff wurde kein befriedigender Therapieerfolg erzielt. Eine Cannabinoid-Therapie als Add-on zur bestehenden Medikation sollte die Intensität der rezidivierenden Kopfschmerzattacken reduzieren und seine Lebensqualität verbessern. Begleitumstände: Bei diesem Patienten war zum einen eine Prophylaxe der Kopfschmerzattacken, zum anderen eine Akuttherapie mit einem schnellen Wirkeintritt gewünscht, um die plötzlich auftretenden Schmerzattacken zu kupieren. Idealerweise sollte dies mit derselben Therapie erreicht werden. Eine orale Dauertherapie kann dies nicht leisten. Die zunächst verordnete THC-dominierte Cannabissorte verschlimmerte die Clusterkopfschmerzen gegebenenfalls. Als cannabisbasierte Therapie der Wahl erwies sich eine ausgeglichene Blüte (Penelope; 10% THC, 8% CBD) zur Vaporisation. Die Inhalation mittels eines Vaporisators bewirkt eine minutenschnelle Anflutung der freigesetzten Cannabinoide mit einer mittleren Wirkdauer von einer bis anderthalb Stunden, sodass sich die Anwendung zur Reduktion von plötzlich auftretenden Schmerzen besonders eignet. Die Behandlung wurde als Add-on-Therapie mit 3× täglich zwei Inhalationszügen eingeleitet. Bei Bedarf erfolgt eine individuelle Anpassung auf 0,5–1g. Die Therapieziele wurden erreicht: Unter der Blütentherapie treten erheblich seltener Kopfschmerzattacken auf, gleichzeitig wird die Intensität der einzelnen Attacken spürbar reduziert. Im Verlauf konnte die Dosierung der Zolmitriptan-Standardtherapie halbiert werden. Der Patient berichtet, jetzt seltener seinen Hausarzt aufzusuchen und über eine insgesamt verbesserte Lebensqualität sowie eine allmähliche Wiederaufnahme seiner sozialen Kontakte. Schritt 7: Kostenübernahme klären Damit die GKV die Kosten für eine Cannabistherapie auf Antrag übernimmt, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein [1]: Der Versicherte leidet an einer schwerwiegenden Erkrankung nach Sozialgesetzbuch (SGB) V.Eine allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Leistung steht nicht zur Verfügung oder kann nicht zur Anwendung kommen.Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome. Detaillierte Informationen zu Antragstellung, Kostenübernahme und Verordnung s. [10]. Anders als THC (Dronabinol) oder Cannabisblüten (unabhängig von ihrem THC- und CBD-Gehalt) ist reines CBD als Rezepturwirkstoff zur oralen Applikation nicht im „Cannabisgesetz“ [1] genannt. Eine GKV-Kostenübernahme ist im Einzelfall auf Antrag als freiwillige Kassenleistung möglich. Übernimmt die GKV die Kosten für eine Therapie mit Cannabisblüten, werden in der Regel auch die Kosten für den Vaporisator übernommen. Schritt 8: Rezept ausstellen Cannabisarzneimittel mit Ausnahme reiner CBD-Zubereitungen sind Betäubungsmittel (BtM). Bei der Verschreibung von Cannabisblüten muss der Arzt auf dem BtM-Rezept konkrete Angaben zur verordneten Blütensorte und Menge (in Gramm), der Rezepturvorschrift (z.B. zerkleinert oder unzerkleinert; zur Inhalation; häufig entsprechend dem Neuen Rezeptur-Formularium [NRF]) und der Dosierung machen [10]. Bei Angabe „gemäß schriftlicher Gebrauchsanweisung“ muss der Apotheke diese Anweisung schriftlich vorliegen, da sie zur Plausibilitätsprüfung verpflichtet ist und die Angaben auf der abgegebenen Verpackung vermerken muss [10]. Schritt 9: Auftitrieren Für eine optimale Verträglichkeit sollte die Dosierung von Cannabinoiden einschleichend erfolgen („Start low, go slow“) [3]. Oft sind bereits niedrige Dosen für einen klinisch relevanten Effekt ausreichend. Allerdings unterscheiden sich die THC-Zieldosierungen erheblich zwischen oraler und inhalativer Applikation – etwa um das Zehn- bis Zwanzigfache! Therapeutische orale Dosierungen von Dronabinol liegen oft zwischen 5 und 20mg pro Tag. In Einzelfällen sind weit höhere Dosierungen möglich. Die Auftitration kann mit 2,5mg, bei starker Symptomlast mit 5mg abends beginnen und wird über 1–3 Wochen in kleinen Schritten von 2,5mg bis zur individuellen Zieldosis gesteigert [3]. Empfohlen wird das Auftropfen auf ein Stück Brot, keine Einnahme in Wasser oder Tee. Auch Cannabisblüten werden einschleichend über 1–3 Wochen dosiert. Anfangs wird bei Cannabis-naiven Patienten eine Inhalation am Abend auf Basis von 50–100mg Blüten empfohlen. Die Anzahl der Inhalationen kann alle 1–2 Tage gesteigert und zu Beginn nach jeder Inhalation der Wirkeintritt abgewartet werden (15–20min). Die Zieldosis liegt im Allgemeinen bei 0,5–1,5g Cannabisblüten pro Tag (patientenindividuell nach Wirksamkeit und Verträglichkeit). Je nach Anwendungsgebiet können auch höhere oder niedrigere Dosen nötig sein. Die Tageszeit der Inhalationen ist stark vom Beschwerdebild des Patienten abhängig [2]. Schritt 10: Therapieverlauf beobachten Der Therapieverlauf sollte beobachtet werden und gegebenenfalls der Wirkstoff, die Darreichungsform oder die Dosierung an die aktuelle Situation angepasst werden. *Es handelt sich um reale Fallbeispiele aus der Praxis zweier in Deutschland niedergelassener Schmerztherapeuten. Interview mit Dr. Johannes Horlemann „Das Schmerzregister der DGS zeigt den Stellenwert von Cannabinoiden auch bei älteren Patienten“ Dr. Johannes Horlemann, niedergelassener Schmerztherapeut und Palliativmediziner, Kevelaer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) privat × Sie haben auf dem virtuellen Schmerz- und Palliativtag Daten aus dem PraxisRegister Schmerz vorgestellt. Was ist das Besondere an diesem Register? Horlemann: Das PraxisRegister Schmerz stellt ein Kernanliegen der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin dar. Wir wollen damit die Versorgungsforschung unterstützen. Dies kann nur anhand von Real-World-Daten erfolgen, um tatsächlich ein realistisches Bild des Versorgungsalltags zu zeichnen. Großer Dank gebührt den vielen Schmerzzentren und Krankenhäusern, die anonymisierte Patientendaten einspeisen. Das PraxisRegister Schmerz ist weltweit das größte Register dieser Art, mit inzwischen fast 300.000 kompletten, umfänglich dokumentierten schmerzmedizinischen Patientendarstellungen. Eine solch große Datenmenge ist ein echter Schatz, den wir unter spezifischen Gesichtspunkten nach und nach heben. Einige Auswertungen zur Pharmakotherapie liegen bereits vor – so jetzt ganz aktuell zu Dronabinol. Wir wenden jetzt auch Module an, mit denen man bei Patienten beispielsweise seltene oder bisher nicht diagnostizierte Erkrankungen identifizieren kann. Als Beispiel sei der Morbus Fabry genannt. Dies ist äußerst spannend, weil solche seltenen Erkrankungen häufig jahrelang unerkannt bleiben und die Patienten bis zur Diagnose oft eine ausgedehnte Arzt-Odyssee erleben. Der Schmerz- und Palliativtag stand unter dem Leitthema „Schmerz im Alter“. Gibt es auch für ältere Patienten neue Daten aus dem PraxisRegister Schmerz? Horlemann: Auf dem Kongress habe ich die Daten einer Subgruppe älterer Patienten aus einer DGS-PraxisRegister-Studie vorgestellt, die mit dem Cannabis-Rezepturwirkstoff Dronabinol behandelt worden waren. Von insgesamt 1.100 Patienten, die Dronabinol erhalten hatten, haben wir gezielt die Daten der 279 älteren Patienten hinsichtlich der Verträglichkeit, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Dronabinol ausgewertet. Die Ergebnisse sind ausgesprochen eindrucksvoll. Die Daten bestätigen, dass auch bei Älteren anfängliche Nebenwirkungen oft nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Andere Nebenwirkungen treten gar nicht in dem Maße auf, wie wir das bisher gerade bei älteren Patienten befürchtet haben. Und man muss ganz ehrlich sagen, dass die Wirksamkeit von Dronabinol bei chronischem Schmerz überwältigend gut war: Die zwölfwöchige Behandlung mit Dronabinol – meistens zusätzlich zur bestehenden, unzureichend wirksamen Medikation – hat mehr als die Hälfte der wahrgenommenen Schmerzen in dieser Subgruppe der älteren Patienten reduziert. Eine umfassende Publikation dieser gleichermaßen wissenschaftlich beeindruckenden wie praxisrelevanten Daten ist bereits in Vorbereitung. Um welche Art Schmerzen handelte es sich bei dieser Patientengruppe? Horlemann: Vornehmlich litten die Patienten unter schwer behandelbaren neuropathischen, aber auch unter degenerativ bedingten Schmerzen, wie sie im Alter häufig auftreten. Neben der Wirkung von Dronabinol auf die chronischen Schmerzen haben wir auch die Schlafqualität und viele andere Parameter der Lebensqualität untersucht. Auch diese damit in Zusammenhang stehenden Beschwerden bzw. Symptome wurden durch die Therapie mit Dronabinol deutlich gebessert. Sie haben bei dieser Auswertung auch Nebenwirkungen erfasst. Wie war die Verträglichkeit von Dronabinol bei den älteren Patienten? Horlemann: Die Verträglichkeit war überzeugend gut. Gerade bei älteren Patienten, bei denen Therapien oft durch das Nachlassen von Nieren- und Leberfunktion, durch Multimorbidität und Multimedikation limitiert sind, ist dies oft entscheidend. Der Rezepturwirkstoff Dronabinol in Form öliger Tropfen ermöglicht eine maßgeschneiderte Dosierung: Ältere benötigen im Mittel ein Drittel weniger Dronabinol. Mit Dronabinol steht uns eine hochwirksame therapeutische Option bei degenerativen und/oder neuropathischen Schmerzen im Alter zur Verfügung. Literatur Bundesgesundheitsblatt Nr. 11, 9. März 2017 Spectrum Therapeutics, Data on file Horlemann J et al. DGS-PraxisLeitlinie „Cannabis in der Schmerzmedizin v1.0“, www.dgs-praxisleitlinien.de/index.php/leitlinien/cannabis (letzter Zugriff: 18.08.2020) Sagy I et al., J Clin Med 2019, 8:807 Naftali T, Dor M, Rambam Maimonides Med J 2020, 11:e0008 Khan R et al., J Cannabis Res 2020, 2:doi: 10.1186/s42238-019-0012-y S1-Leitlinie „Pharmakologisch nicht interventionelle Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen“, AWMF-Registernummer: 030/114 Seibolt M, „Therapeutischer Nutzen von Cannabinoiden: Was wir aus der realen Versorgung wissen“, virtuelles Satellitensymposium anlässlich des Deutschen Schmerz- und Palliativtags, 24. Juli 2020, Vortrag Di Marzo V, Petrocellis LD, Annu Rev Med 2006, 57:553–574 Broschüre „Verordnung von medizinischen Cannabinoiden“, Spectrum Therapeutics, Stand: Juni 2020 Impressum „Entscheidungshilfen für die Cannabistherapie: Den richtigen Wirkstoff finden“ Literatur, Kasuistiken und Interview Berichterstattung: Dr. Kirsten Westphal, Heimstetten Artikel gedruckt in: MMW – Fortschritte der Medizin, Band 162, Heft S2, September 2020 Mit freundlicher Unterstützung der Spectrum Therapeutics GmbH, Neumarkt Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Andrea Krahnert Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Entscheidungshilfe für die Cannabistherapie - Den passenden Wirkstoff finden

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